: Sdraik! Shef is krume Hunt! Von Wiglaf Droste
Als im hoffnungslos hessischen Gießen ein paar hundert Erstsemester ihre überfüllten Seminare sprengten, zeigten sie der Welt damit: Wir wären gerne fleißig und möchten studieren, dürfen das aber nicht. Zu viele Studenten, zu wenig Geld – so geht es beim besten Willen nicht weiter! Die FAZ, traditionelles Zeughaus rechtsgerichteter Politik und dabei alles andere als zimperlich, drosch nun keineswegs auf diese Studenten ein, sondern rief aus: Laßt die Kleinen in Ruh'! Nichts dürfe man sagen gegen die Forderungen der Studenten, die endlich einmal nicht die Dritte-Welt-Revolution im Augen hätten, sondern allein ihre berechtigten Interessen – und das, wo doch die FAZ seit Jahren die sogenannte Verschlankung und Entschlackung des Studiums fordert und nach Eliten brüllt, womit gemeint ist, daß nur sehr wenigen und qua sozialem Status dazu auserwählten jungen Menschen das Grundrecht auf Fachidiotie und akademische Verblödung zustehen soll.
Man kann schon staunen darüber, wer alles die streikenden Studenten umarmt, als seien sie Soldaten im Oderbruch; die Angst vor einem nicht allein auf Studenten begrenzten und nicht mehr zu kontrollierenden Streik ist offenbar groß genug, daß alle Welt sich schnell an die Spitze des Streiks zu setzen versucht oder Appeasement betreibt.
So verdächtig das alles ist: Als mir Mitte November in Frankfurt/ Main ein Studentenveteran der altlinken Bauart verklickern wollte, wie „unpolitisch“ die streikenden Studenten doch seien, weil sie „keine Forderungen wie früher“ mehr im Gepäck hätten, wurden mir die jungen Streikenden richtig sympathisch. Bei aller studentischen Stieseligkeit und bei aller Skepsis, weil an diesem Streik auch Leute beteiligt sind, die ihren zukünftigen Arbeitgebern nur signalisieren wollen: „Hier, hier! Ich, Ich, Ich! Nehmt mich! Ich bin doch willig!“ – jede soziale Bewegung, die gegen den Mangel und gegen den im Lande herrschenden Klassenkampf von oben nach unten antritt, und sei es zunächst auch nur an einem einzelnen, isolierten Punkt, soll freudig begrüßt werden, selbst wenn die Protagonisten beim Formulieren ihrer Forderungen eine Menge Ungeschick zeigen: „Lucky Streik“ z.B. klingt böse nach Ost-Kabarett – wie himmlisch dagegen tönt Bernd Pfarrs geniale Sondermann-Parole: „Sdraik! Shef is krume Hunt! Wolle meh Gelt! Unt wenige Ahbeit!“ Aber geschenkt: Sollen die Studenten nur machen – die weniger beschränkten von ihnen wissen ohnehin, daß es nicht bloß um ihre eigenen Angelegenheiten geht. Eine dumpfe Fixierung auf das Erreichen irgendwelcher Ziele allerdings knicken sich die Streikenden besser – sonst folgt nach ein paar Wochen wieder das blöd-resignative Geheule: Das bringt doch alles nichts, es kommt ja doch nichts dabei heraus usw. Falsch! Inhaltismus macht debil / Beim Streiken ist der Weg das Ziel. Was ist ein popeliges Ergebnis gegen das Erlebnis, den Laden aufzumischen und ihn vielleicht sogar ins Wanken zu bringen, und sei es nur für ein paar Tage?
Ob aber auch die jüngeren Deutschen ihre Revolten nach alter, schlechter Tradition unbedingt im schauderhaft naßkalten November veranstalten müssen, das möchten sie bitte noch einmal überdenken.
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