Schwuler Tourismus in Spanien: Hauptsache Waschbrettbauch
Das Künstlerdorf Sitges, unweit von Barcelona, boomt dank seiner wirtschaftlich interessanten Klientel und der unverschandelten Landschaft.
Enge Badehosen sind bei jungen Männern seit einiger Zeit schon aus der Mode. Der Großteil der Strandgäste kommt doch eher leger daher. Keine Seltenheit, dass die bunten Surfershorts bis über die Knie baumeln. Anders ist das in Sitges, rund 40 Kilometer südöstlich von Barcelona. Knapp und knapper ist die Bademode. Die Männer bräunen ihre gestählten Oberkörper in der spanischen Sonne, der Stil der Schwimmhosen: eng und kurz. Hier und da liegen ein paar Familien - und ja, ab und zu auch ein paar Männer mit langen bunten Surfershorts.
Keine fünf Minuten verweilt man zwischen den körperbewussten Strandbesuchern, da kommt auch schon der erste Promoter vorbei. Party heute Abend im Queenz, ein rosa Flyer mit zielgruppengerechter Aufmachung: männlicher Oberkörper mit Waschbrettbauch, enge gelbe Badeschorts und durchtrainierte Oberschenkel - alles komplett enthaart. Knie und Brust sind bereits nicht mehr im Bildausschnitt. Hose und Bauch interessieren. Rosa und gelb.
Sitges, das ist das Künstlerdorf an der Costa del Garraf, umgeben vom Naturpark Garraf und seinen kalkigen Bergen. Die Strände sind sandig und weit, das Wasser ist sauber und das Klima mild. Und im Gegensatz zu vielen anderen Badeorten ist das Panorama nicht durch hohe Betonbunker entlang der Küste verschandelt. Kein Wunder also, dass Sitges ein beliebtes Touristenziel ist.
Berühmt ist der Ort aber aus anderen Gründen: Im Frühjahr lockt der Karneval die erste Welle partywütiger Besucher an. Der „Carnestoltes“ gilt als wildester Karneval ganz Spaniens, seit mehr als 100 Jahren - das Verbot Francos schlicht ignorierend - verwandeln exzentrische Karnevalisten das Dorf für knapp eine Woche in den wohl schrillsten und schrägsten Ort Spaniens.
Im Herbst findet dann das Festival Internacional de Cinema Fantàstic de Catalunya statt, auch bekannt als Festival von Sitges. Weltweit gilt es als eines der bedeutendsten Festivals für Fantasy- und Horrorfilme. Inspiriert wird es dieses Jahr von Stanley Kubricks Klassiker „The Shining“.
Und überhaupt: Seitdem Santiago Rusiñol - Zeitgenosse Pablo Picassos und einer der bedeutendsten Künstler des „Modernisme“ - Sitges im Jahr 1891 für sich entdeckte, hat sich das Dorf zu einem lebendigen Zentrum nahe der Metropole Barcelona entwickelt. Die Avantgarde hielt Einzug; die einen suchten das hedonistische Vergnügen, die anderen die seichte Entspannung. Kunst und Weltoffenheit lockten aber noch eine andere gesellschaftliche Gruppe in die Stadt: Seit den 60ern ist Sitges unzertrennlich mit einem Attribut verbunden: schwul.
Am Gay-Strand Platja La Bassa Rodona liegen vor allem Männer dicht an dicht. Etwas außerhalb befindet sich der schwule Nacktbadestrand mit dem irreführenden Namen Platja de lhome Mort (Strand der toten Männer). Auch an den Buchten rund um Sitges badet der Großteil der Menschen nackt.
„Viele Homosexuelle laufen nur durch die Berge und halten an den Buchten, um abzuchecken, ob sie etwas zum Vögeln bekommen. Wenn man dort spaziert, findet man Kondome, gebrauchte Taschentücher, teilweise sogar Dildos“, erzählt Tonino Loi. Er kam vor vier Jahren ursprünglich als Erasmus-Philologiestudent von Bochum nach Barcelona, lernte seinen Freund kennen, verliebte sich in die katalanische Hauptstadt und blieb: „Die spanische Kultur ist direkter und schneller, dafür auch ehrlicher“, sagt er. „Man kommt sofort zum Punkt, und wenn man nicht das bekommt, was man gesucht hat, dann sucht man eben, bis man fündig wird.“
Insofern eigentlich verwunderlich, dass erst dieses Jahr zehntausende Besucher Anfang Juli die erste Gay-Pride feierten und vier Tage und Nächte Strand, Promenade, Clubs und Kneipen in eine Partymeile umwandelten. Höhepunkt der Veranstaltung: Bei der Pride-Parade lief das schwul-lesbische Partyvolk entlang des Strands ausgerechnet bis zur Kirche Sant Bartomeu, die als Wahrzeichen der Stadt auf einem kleinen Hügel über den Stränden thront.
Information: Das Tourismusbüro befindet sich in der Nähe des Bahnhofs an der Carrer de Sínia Morera 1. Tel.: (+34) 9 38 94 42 51, www.sitgestur.cat.
Anreise: Mit dem Zug benötigt man je nach Verbindung von Barcelona (Passeig de Gràcia oder Estaciò Sants ) ca. 45 Minuten.
Nachtleben: Nachtschwärmer sollten sich umhören. Oft ist nur zu bestimmten Zeitfenstern was los, dann zieht das Partyvolk weiter. Eine gute Info-Quelle ist am frühen Abend das Parrots an der Plaça de la Indústria. Später fokussiert sich das Nachtleben auf die Primer de Mayo. Viele Gay-Kneipen liegen in der Carrer Bonaventura. Aufgepasst: Mit Flyer ist der Eintritt in Clubs oft kostenlos. Trailer und Organic sind Gay-Clubs.
Kultur: Es gibt die drei Museen Cau Ferrat, Maricel und Romàntic (Eintritt: 3,4 Euro, Kombiticket 6,5 Euro, der erste Mittwoch im Monat ist frei). Die Museen Cau Ferrat und Maricel liegen nahe der Kirche, das Romàntic im Ortsinneren (Sant Gaudenci 1). Ursprung des Cau Ferrat sind zwei Fischerhütten, die Santiago Rusiñol umgestaltete und als Atelier, Wohnhaus und Privatmuseum nutzte, bevor nach seinem Tod 1932 ein öffentliches Museum eingerichtet wurde. Neben schmiedeeisernem Kunsthandwerk, schöner Keramik und Werken Rusiñols, sind auch Frühwerke Picassos und zwei Gemälde von El Greco zu sehen.
Das Museu Maricel präsentiert eine bunte Mischung von Möbeln, Skulpturen und Gemälden aus der Gotik über Barock und Renaissance bis hin zum Modernisme. Höhepunkt ist aber das prächtige Gebäude selbst. Im Museu Romàntic erfahren die Besucher bei einer Führung, wie reiche Gutsherrenfamilien im 18. und 19. Jahrhundert lebten.
Aber nicht nur während der Gay-Pride überbieten sich die Clubs und Bars in den schmalen Gassen rund um den Plaça de la Indústria im Wettbewerb um den lautesten Sound: Als „Calle del pecado“ - die Straße der Sünde - bezeichnet das Partyvolk die nächtliche Vergnügungsmeile Carrer Primer de Mayo und dessen Verlängerung Carrer de Marquès de Montroig. Von einer Häuserfront zur nächsten wummern am Wochenende die Bässe bis in die frühen Morgenstunden. Etwas nördlich in der Carrer de Sant Bonaventura findet das Nachtleben hinter verschlossenen Türen statt.
Allerdings ist Sitges nicht nur Party, Weltoffenheit und Spaß. Es ist auch elitär. Die Boutiquen und Bars sind kostspielig. Nicht von ungefähr tagte die diesjährige Bilderberg-Konferenz in dem Küstenstädtchen, in dem eigentlich nur 25.000 Einwohner sesshaft sind. Der Club der Mächtigen und Mächtigeren beriet beim informellen Treffen über die vermeintliche Weltrettung - anwesend waren Gäste wie José Luis Rodríguez Zapatero, Josef Ackermann oder Bill Gates.
Zu erstem Reichtum kam das einstige Fischerdorf bereits im 18. Jahrhundert, als das Königshaus in Madrid den Handel mit amerikanischen Kolonien erlaubte. Auf der „Ruta de los Americanos“ können Besucher die prachtvollen Häuser betrachten, die von Heimkehrern - vor allem aus Kuba - gegen Ende des 19. Jahrhunderts mithilfe der Gewinne aus dem Kolonialhandel errichtet wurden.
Heutzutage sind es nicht mehr die Heimkehrer, sondern die Touristen, die für Geld in den Kassen sorgen. Kein Wunder, dass inzwischen andere Urlaubsregionen versuchen, sich aktiv auf homosexuelle Besucher auszurichten, denn: Diese sind im Urlaub deutlich spendabler als Heterosexuelle. Schwule und Lesben genießen das Nachtleben, Kultur und gutes Essen. In einer Studie des spanischen Fremdenverkehrsinstituts wird festgestellt, dass Lesben, Schwule, Trans- und Bisexuelle im Durchschnitt 130 Euro täglich ausgeben und damit 30 Prozent mehr als heterosexuelle Touristen.
Neben Sitges sind vor allem Gran Canaria, Ibiza, Benidorm und Torremolinos beliebte schwule Reiseziele. Und die Homophobie hält sich laut Eurobarometer in Grenzen. Andere beliebte südeuropäische Reiseziele wie Italien, Portugal und insbesondere Griechenland sind deutlich homophober - und selbst Franzosen sind diesbezüglich intoleranter als die spanische Bevölkerung.
Das verkaufsträchtige und konjunkturunabhängige Erfolgsrezept des einstiges Mekkas der katalanischen Bohème: Sex. „Teilweise kommen die Besucher ohne Kleidung, aber mit einem Koffer Kondome“, erzählt Tonino Loi, der ehemalige Erasmusstudent aus Bochum. Für ihn selbst Grund genug, sich ein wenig aus der Szene auszuklinken, denn: „Ich finde es einfach zu anstrengend, ständig Leuten sagen zu müssen, dass ich kein Interesse habe, dass ich nicht so gerne angefasst werde, dass ich nicht mit aufs Klo möchte und auch nicht zu einem Pärchen als Dritter dazu stoßen möchte.“
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