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Schwierzina bediente nur die Gulaschkanone

Berlin (taz) — Der Ostberliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina war in den 60er Jahren Mitglied einer Betriebskampfgruppe. Das gab gestern der Ostberliner SPD-Fraktionschef, Knut Herbst, auf einer Pressekonferenz bekannt. Herbst, der mit der Bekanntgabe dieser Tatsache „in Umlauf befindenden Gerüchten“ entgegentreten wollte, meinte weiter, Schwierzina habe sich nichts zuschulden kommen lassen und genieße weiterhin „das volle Vertrauen der Fraktion“.

In einem Interview mit der taz erklärte Schwierzina, daß er „weder direkt noch indirekt am Mauerbau beteiligt gewesen“ sei. Er habe die Fraktion erst in den vergangenen Tagen über seine Betriebskampfgruppen-Zugehörigkeit informiert, weil er dieser Tatsache „keinerlei weitere Bedeutung“ zugemessen habe. Der Fraktionschef Knut Herbst erklärte, daß es sich bei Schwierzinas Vita um einen „typischen DDR-Lebenslauf“ handele.

Wie Schwierzina der taz erklärte, trat er 1959 den Kampfgruppen bei. „Ich bin da eingetreten, weil ich weder in der SED war, noch in einer Blockpartei“, sagte Schwierzina. Deshalb sei er immer wieder gedrängt worden, doch wenigstens bei den Kampfgruppen mitzumachen, um zu zeigen, daß er dem Staat ein gewisses Interesse entgegenbringe. Schwierzinas Betriebskampfgruppe gehörte in den Bereich der Fischwirtschaft. „Das war ein Versorgungszug. Unser Einsatzwerkzeug war die Gulaschkanone.“ Schon 1960 habe er „Ärger mit der Partei“ bekommen, da er nicht regelmäßig an den Übungen der Betriebskampfgruppe teilgenommen habe. Rund 400.000 DDR-Bürger waren damals in solchen Gruppen organisiert.

Am 13. August habe er mit seiner Freundin und einem Bekannten einen Ausflug unternommen. Um nicht in den Mauerbau verwickelt zu werden, habe er sich mit „statischen Beschwerden“ krank schreiben lassen. 1964 wurde Schwierzina wegen „Nichtanzeigen eines Staatsverbrechens“ zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Familie seiner Frau wollte damals durch einen Tunnel nach West-Berlin flüchten, wurde aber erwischt. Nach einem Herzinfarkt im Jahre 1968 ist er völlig aus der Betriebskampfgruppe ausgeschieden. Wegen der Herzbeschwerden sei er dann als Frührentner anerkannt worden. Jetzt fühle er sich wieder so gesund, daß er den Stress seines Oberbürgermeisteramtes aushalten könne.

Schwierzina fungierte zu Anfang der 50er Jahre auch als Trauzeuge bei Günther Guillaume, den er 1950 im „Deutschen Komitee der Kämpfer für den Frieden“ kennenlernte. Ob er den früheren Freund jetzt einmal wiedersehen will: „Dieses Bedürfnis ist auf meiner Seite nicht vorhanden.“ CC Mahlzahn

(siehe Interview im Lokalteil)

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