: Schwieriger Dialog auf dem Deutschen Umwelttag
■ FrankfurterInnen wollten Umwelt-Honoratioren nicht hören/ Kritische Worte von Bundespräsident Weizsäcker/ Atomlobby erst auf massiven Druck wieder ausgeladen/ Keine „Körner- und Kräutermesse“
Frankfurt am Main (taz) — Dialog '92 heißt die Zeitung des Deutschen Umwelttages. Und vom Dialog, vom Miteinanderreden und -streiten war gestern allenthalben die Rede zur Eröffnung des „Deutschen Umwelttages“ (DUT) auf dem Frankfurter Römer. Bundespräsident Richard vom Weizsäcker verlangte in seiner Rede vor dem Römer einen „vernünftigen, verständnisbereiten Streit“ zwischen Bürger und Politik, zwischen Industrie und Umweltverbänden. Reinhard Sander, Präsident des Umwelttages, wollte „die Kunst des Streitens“ suchen. Allein dem hessischen Ministerpräsidenten Eichel (SPD) ging es „nicht mehr ums Streiten“. Mehrheiten für konsequentes Handeln erhoffte der Sozialdemokrat — zum Beispiel bei der Ablehnung der gegenwärtigen Verkehrspolitik. Der Bonner Bundesverkehrswegeplan „muß abgelehnt werden“.
Doch Dialog und Streit fallen den Politikern nicht leicht. Vor allem, wenn die fehlen, mit denen man sich streiten will. 100.000 Besucher hatten die Veranstalter vollmundig für den bis Dienstag dauernden Umwelttag prognostiziert. Vor dem Frankfurter Römer fehlten die Frankfurterinnen und Frankfurter gestern jedoch fast völlig. Cheforganisator Wolfgang Weinz zog sich auf die schweigende Mehrheit zurück, die eben fehle. Auch wenn er zugeben mußte, daß anläßlich der großen Erfolge der Frankfurter Eintracht sich mehr Menschen am Römer zu versammeln pflegen.
Wenn der Dialog mit den Menschen auf dem Platz mangels Masse nicht so recht gelingen wollte, so war doch der Bundespräsident zumindest für einige Merksätze gut, die sich Alltagspolitiker in Bonn und anderswo ins Poesiealbum schreiben können: Nur ein „tiefgreifender Schuldenerlaß kann den Teufelskreis des Ausverkaufs an Vorräten der Erde im Schuldendienst aufbrechen“. Das Geld dazu wäre da. „Die reichen Länder der Welt geben jährlich den vierfachen Betrag ihrer Entwicklungshilfe für Subventionen ihrer eigenen Landwirtschaft aus.“ Und damit der Zeigefinger auch weiter gekrümmt blieb und nicht vom eigenen Beitrag an der globalen Umweltkatastrophe ablenkt, wurde der grauhaarige Bedenkenträger aus dem Palais Schaumburg ungewöhnlich deutlich: „Wir können uns nicht länger auf das rasante Bevölkerungswachstum der Entwicklungsländer berufen.“ Der reiche Norden verbrauche 80 Prozent der Ressourcen. Nach so viel klugem Selbstgespräch fehlte die Aufforderung zum Streit im Detail. Nur an einer Stelle ließ Weizsäcker eine Position in der aktuellen Tagespolitik durchblitzen. Auf die Energiesteuer sollte nicht verzichtet werden, so meinte der Präsident, nur „weil etwa die USA oder andere Wettbewerber nicht mitzugehen bereit wären. Es gibt zwar einen Gleichheitsgrundsatz, aber doch nicht in der Unvernunft.“
Der Dialog wird in den kommenden Tagen Probleme bereiten. Joachim Spangenberg, ehedem für die Konzeption des Umwelttages zuständig, unkte in einer Zeitung des „Umwelttages von unten“, daß nicht nur die Frankfurterinnen mit der Schulter zucken werden. „Alle dachten, die Leute aus den Bewegungen kommen sowieso.“ Doch die Bewegung fühlte sich von der Präsenz der chemischen Industrie und der Chuzpe der DUT-Macher ausgeladen. „Wir arbeiten nicht für irgendeine Körner- und Kräutermesse“, hatte DUT-Chef Weinz noch vor Wochen vollmundig verkündet. Erst massive Proteste sorgten für eine Wiederausladung der Atomlobby. Dialog braucht eben Menschen, nicht Messehallen. Hermann-Josef Tenhagen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen