Schwerste Dürre seit 60 Jahren: Somalis am Ende ihrer Kräfte
Krieg und Dürre verbinden sich in Somalia zu einer katastrophalen Mischung, vor der jeden Tag 3.000 Menschen die Flucht in Nachbarländer ergreifen.
NAIROBI taz | Eine Zeltplane, eine Matte zum Schlafen, ein Wasserkanister, Getreide, Salz und Speiseöl – für den 60jährigen Rukiah Ali ist das der Beweis dafür, dass er gleichsam im Vorhof des Paradieses gelandet ist. Nach einem mehrwöchigen Fußmarsch hat der Somalier vor einigen Tagen das Flüchtlingslager Dadaab im Nordosten Kenias erreicht.
Vom UN-Welternährungsprogramm WFP bekam er eine erste Notration für 15 Tage. "Ich gehe nie wieder zurück", erklärte Rukiah Ali gegenüber der kenianischen Tageszeitung Daily Nation. "Auch nicht, wenn die Dürre vorbei ist." Denn in seiner Heimat Somalia herrscht seit 20 Jahren Krieg. Zusammen mit der Dürre ist das für viele eine tödliche Mischung – und die treibt derzeit tagtäglich Tausende in die Flucht.
Nach UN-Angaben leiden am Horn von Afrika rund 10 Millionen Menschen unter der schwersten Dürre seit 60 Jahren. Den Angaben zufolge fliehen jeden Tag 3.000 Menschen aus Somalia in die Nachbarländer Kenia und Äthiopien. In Kenia suchen nach Angaben des UNHCR täglich 1.300 Somalier Zuflucht.
"Alarmierend" sei die Ernährungslage der Kinder unter fünf Jahren, erklärte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) am Mittwoch. In manchen Regionen seien 11 Prozent der Kinder unter fünf Jahren akut mangelernährt. Laut IKRK ist das die höchste Rate der Welt.
Ausfall von zwei Regenzeiten
Besonders hoch ist die Mangelernährungsrate ausgerechnet in den einst sehr fruchtbaren südsomalischen Regionen Bay und Lower Shabelle. Dass sie nun die Bevölkerung nicht mehr ernähren können, liegt nicht nur am Ausfall von zwei Regenzeiten. Es liegt auch daran, dass die Menschen infolge des Krieges immer wieder vertrieben wurden und ihre Felder nicht regelmäßig bestellen konnten. "Sie haben keine Reserven mehr", sagt der Somalia-Experte von Brot für die Welt, Helmut Hess.
Das Wenige, das sie vielleicht doch noch erwirtschaften konnten, haben ihnen die jeweils herrschenden bewaffneten Gruppen häufig wieder abgepresst oder abgenommen. Die meisten Teile Südsomalias sind derzeit in der Hand der radikalislamischen Gruppe al-Shabaab. "Die Shabaab haben uns gezwungen, ihnen Lebensmittel als Almosen zu geben", erzählte Rukiah Ali in Dadaab der Daily Nation. "Wenn einer sich weigerte, wurde er getötet."
Den humanitären Helfern in Dadaab berichten auch andere Flüchtlinge aus Somalia von Zwangsabgaben der Islamisten. Mehrere hundert Familien sollen deshalb wie Rukiah Ali erklärt haben, dass sie nicht wieder zurückkehren wollen. "Das Überleben hier ist eine Herausforderung", wird Mahmoud Gulled, Sprecher von über 400 Flüchtlingsfamilien, in kenianischen Medien zitiert. "Aber hier kriegen wir wenigstens regelmäßig zu essen, und unsere Kinder werden medizinisch behandelt."
380.000 Flüchtlinge in einem Lager
In dem für 90.000 Menschen ausgelegten Lager Dadaab leben rund 380.000 Somalier. Die Menschen hätten bei ihrer Ankunft oft einen wochenlangen Fußmarsch hinter sich, erklärte Serene Arir von Ärzte ohne Grenzen am Dienstag. "Wir versuchen nach Kräften, sie irgendwie zu ernähren." Doch vor allem von den Kindern könnten sie nur die kräftigsten retten.
Zurzeit habe das WFP noch ausreichend Lebensmittel, erklärte WFP-Sprecher David Orr am Mittwoch. "Die Rationen sind bis Oktober gesichert." Danach aber steht die Finanzierung noch nicht. "Bis zum Ende des Jahres fehlen uns 24 Millionen Dollar."
Angesichts der dramatischen Lage haben auch die Islamisten der Shabaab ihre Haltung zu internationaler Hilfe geändert. Ein Sprecher der Organisation bat in der vergangenen Woche um Hilfe. Seit Ende 2009 hatten die Shabaab-Milizen humanitäre Programme in ihrem Gebiet von Bedingungen abhängig gemacht, die das WFP für nicht akzeptabel erklärte. Das Welternährungsprogramm hatte daraufhin alle Mitarbeiter aus den Shabaab-Gebieten abgezogen; nicht nur internationale, auch somalische Helfer wurden gezielt verfolgt und getötet.
Am Mittwoch erklärte das WFP, es werde nun "prüfen", ob die Wiederaufnahme der Lebensmittelhilfe möglich sei.
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