Schwere Krawalle in Griechenland: Brennende Wut
Nachdem ein Polizist einen 15-Jährigen in Athen erschossen hat, liefern sich am Wochenende tausende Demonstranten in mehreren Städten heftige Straßenschlachten mit der Polizei.
ATHEN dpa/rtr Der Tod eines 15-Jährigen bei Zusammenstößen zwischen Autonomen und der Polizei in Athen hat in Griechenland die schwersten Ausschreitungen seit mehr als zwei Jahrzehnten ausgelöst. Der Jugendliche war am späten Samstagabend durch eine Polizeikugel getroffen worden. In der Hauptstadt Athen warfen jugendliche Demonstranten daraufhin Brandsätze, demolierten Autos sowie die Fensterscheiben von Banken und Geschäften. Danach griffen die Unruhen, die bis in die Morgenstunden des Sonntags dauerten, auf die zweitgrößte Stadt Thessaloniki über. Auch in Komotini und Ioannina im Norden des Landes gab es wie auf der Mittelmeerinsel Kreta und in der Hafenstadt Patras Ausschreitungen. Nach ersten Schätzungen der Feuerwehr wurden allein in Athen 60 Geschäfte, 16 Banken und mindestens 40 Autos demoliert.
Ein 37 Jahre alter Polizist, der den tödlichen Schuss abgegeben haben soll, bekräftigte, er habe lediglich drei Warnschüsse abgefeuert. Einer davon habe den Jugendlichen als Querschläger getroffen. Zuvor habe eine Gruppe Autonomer seinen Streifenwagen, in dem er zusammen mit einem Kollegen gesessen habe, mit Steinen angegriffen. Die beiden Beamten hätten versucht, die Randalierer festzunehmen, hieß es. Nach Darstellung von Augenzeugen soll es jedoch zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den Autonomen und den Polizisten gekommen sein. Anschließend habe ein Polizist direkt in Richtung des Jungen geschossen. "Es war kaltblütiger Mord", meinte ein Augenzeuge im Radio.
Die beiden Beamten wurden vorläufig festgenommen. Innenminister Prokopis Pavlopoulos wies vorschnelle Schuldzuweisungen zurück und erklärte: "Wir warten auf die gerichtsmedizinischen Ergebnisse." Die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen. Ministerpräsident Kostas Karamanlis sprach der Familie des Opfers sein Beileid aus. Ein Rücktrittsangebot des Innenministers lehnte er ab.
Am Sonntagnachmittag gingen in Athen mehrere tausend Autonome und andere Linksgerichtete sowie Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen auf die Straßen und protestierten gegen den tragischen Zwischenfall. Eine Gruppe von meist vermummten 100 Randalierern schlug wieder Fensterscheiben ein, wie Reporter berichteten. Die Polizei setzte erneut Tränengas ein.
"Mörder, Mörder", skandierten die Demonstranten, als sie sich der Polizeidirektion von Athen an der Alexandras-Chaussee näherten, wie das Fernsehen zeigte. Die Polizei verstärkte ihre Einheiten vor Polizeistationen und Banken.
Die Protestwelle greift auch auf andere Städte Griechenlands über. In Heraklion auf Kreta entsteht an mindestens drei Bankfilialen Schaden durch Brandsätze. In Patras wurde das Polizeipräsidium mit Brandsätzen beworfen, in Ioannina ein Polizist durch Steinwürfe verletzt. In Thessaloniki gingen die Fenster des Rathauses zu Bruch.
Ausschreitungen solchen Ausmaßes hatte es zuletzt 1983 in Griechenland gegeben. Auch damals war ein 15-Jähriger durch Schüsse eines Polizisten im Athener Viertel Exarchia während einer Demonstration getötet worden. Schon seit Jahrzehnten verüben Autonome in der griechischen Hauptstadt fast jede Nacht Brandanschläge. Ihre Attacken richten sich gezielt gegen Banken, Vertretungen multinationaler Unternehmen und Polizeistationen. Die Autonomen kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Der 15-Jährige, der am Samstagabend Opfer der tödlichen Polizeikugel wurde, war der Sohn eines bekannten Athener Schmuckhändlers. Die griechische Autonomenbewegung sieht ihre Ursprünge in der Zeit des Widerstandes gegen die Obristenjunta (1967-1974). Vor allem der Stadtteil Exarchia im Zentrum Athens ist seit Jahren eine Art "verbotene Stadt" für die Sicherheitskräfte. Dort haben die Autonomen, aber auch Drogenbanden das Sagen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt