piwik no script img

Schwedische Tauschbörse gegen HollywoodAttacke auf die Daten-Piraten

In Stockholm startet der Prozess gegen Macher der Datentauschbörse "Pirate Bay". Es geht um Urheberrechtsfragen, die Zukunft der Platten- und Filmfirmen - und freien Informationsaustausch.

Bislang konnten die Hollywood-Riesen "Pirate Bay" noch nichts anhaben. Bild: dpa

Die Musik- und Filmindustrie führt im Internet einen aussichtslos scheinenden Kampf: Über Datentauschseiten kann sich jeder Musik und Filme runterladen, ohne dafür je eine CD oder DVD gekauft zu haben. Den Platten- und Filmfirmen rauscht so ein Millionengewinn weg. Eines dieser Löcher im Netz, die Internetseite "Pirate Bay", soll jetzt gestopft werden. Am Montag in Stockholm beginnenden Prozess gegen die vier Macher der Filesharing-Seite hängt auch die Zukunft der Branche - doch die sieht nicht gut aus.

Das ist "Pirate Bay"

"Pirate Bay" ist eine Art Suchmaschine, die aber keine Links zu anderen Webseiten bereithält, sondern von Nutzern hinterlassene "Wegweiser" ("Torrents") - aktuell über 1,7 Millionen - zu Dateien mit spezifischen Inhalten auf deren Rechner. Zusammen mit einem auf dem Rechner installierten "BitTorrent"-Programm können andere Nutzer mit Hilfe dieser "Torrents" ihre Rechner im Internet miteinander kommunizieren lassen. Die BitTorrent-Technik ermöglicht die schnelle Verteilung großer Datenmengen zwischen verschiedenen Nutzern. Dateien werden dabei nicht von einem Server an die jeweiligen Nutzer ausgeteilt, sondern direkt zwischen Nutzer und Nutzer. User, die eine Datei herunterladen, holen sich einzelne Teile dieser Datei - etwa Filme, Musik oder Computerspiele - gleichzeitig von verschiedenen anderen und teilen ihrerseits die auf ihrem Rechner bereits vorhandenen Datei-Teile wiederum mit vielen weiteren Nutzern: Wer nimmt, gibt gleichzeitig - und der Datentausch ist so schwerer nachzuverfolgen. Die derzeit umfangreichsten Torrent-Verzeichnisse ("Tracker") sind

"Wenn die Macher von Pirate Bay verurteilt werden, wird es wahrscheinlich die Zukunft des Filesharing nicht beeinflussen, und sie werden auch noch Märtyrer", glaubt Sam Sundberg. Er ist Kulturredakteur bei der Stockholmer Tageszeitung Svenska Dagbladet und Mitverfasser eines Buchs über die Geschichte von Pirate Bay, dem weltweit größten Bit-Torrent-Tracker mit über 25 Millionen regelmäßigen UserInnen. Die Seite ist so etwas wie eine technische Nabe des Filesharing-Netzes und das Flaggschiff der Filesharing-Kultur einer großen Internetgemeinde.

Drei Verhandlungswochen sind eingeplant, es ist der bislang umfangreichste Urheberrechtsprozess der schwedischen Rechtsgeschichte. Das Fernsehen überträgt erstmals ein Gerichtsverfahren live und in voller Länge. Angeklagt sind Fredrik Neij, Gottfrid Svartholm und Peter Sunde, die sich offen als Administratoren der Seite bekannt haben, und Carl Lundström, weil er mit einem Rechner und kostenloser Bandbreite zu den Aktivitäten beigetragen haben soll. Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Urheberrechtsbruch.

Die eigentlichen "Täter", Millionen Internet-UserInnen, die untereinander Musik oder Filme ausgetauscht haben, stehen nicht vor Gericht. Formal geht es um 35 Fälle von Urheberrechtsverletzungen, 22 gelten Musikstücken, neun Filmen und vier Computerspielen.

Diesen Aufstand hatten sich die Gründer von thepiratebay.org vermutlich nicht träumen lassen, als sie im November 2003 ihre Seite starteten. Mit einem PC in einem Keller in Mexiko-Stadt, wo einer von ihnen damals gerade arbeitete, und zwei Sätzen auf einer Webseite: "Wir haben nun einen Bit-Torrent-Tracker aufgemacht - The Pirate Bay. Dort kann man untereinander Spiele, Filme, Musik, TV-Shows und anderes teilen."

Einige Monate vorher hatten sie mit dem Debattenforum "Piratenbüro" ("Piratbyrån") versucht, eine Gegenstimme für alle zu schaffen, die für den freien Fluss von Informationen und Kultur im Internet sind. Eine öffentliche Debatte, die bis dahin vor allem die Lobby der Film- und Plattenkonzerne beherrschte. Der Weg von der Diskussion zur Praxis ergab sich dann ganz natürlich.

Zwei Jahre zuvor hatte die Filesharing-Seite "Napster" einen langen Prozess gegen die Musikbranche verloren, die damit glaubte, das Problem gelöst zu haben, dass Leute, statt CDs zu kaufen, Musik in digitaler Form untereinander übers Internet tauschten. Es war bekanntlich ein Pyrrhussieg für die Branche.

Zwar verschwanden Nachfolgeseiten meistens schnell wieder, sobald ein erster Drohbrief der Musikbranche dort eintrudelte. Mit dem Auftauchen von Pirate Bay wurde das anders. Die Macher der Seite standen nicht nur zu dem, was sie da machten, sondern waren auch überzeugt, dass das legal war. In einer ersten Pressemitteilung verteidigten sie das "Piratkopieren als positive Kraft".

Ende 2004 war die Seite der weltweit größte Bit-Torrent-Tracker. Mit einer eingeschworenen Fan-Gemeinde, die auch den Stil liebte, in dem Pirate Bay mit den Drohungen der Musik-, Spiel- und Filmbranche umsprang. Wie man Microsoft ausgesucht höflich darüber informierte, dass Schweden kein Bundesstaat der USA sei, oder anderen BranchenvertreterInnen etwas drastischer empfohlen wurde, sich doch bitte Stacheldraht in den Hintern zu schieben oder mehr Drohbriefe zu schreiben, weil das Klopapier gerade knapp werde.

Im Herbst 2005 bekam das schwedische Justizministerium Besuch von Vertretern der US-Musik- und -Filmbranche. Und es gab offenbar auch Drohungen seitens der US-Administration in Washington, in denen sogar auf die Möglichkeit eines Handelsboykotts hingewiesen wurde, sollte Stockholm nicht gegen Pirate Bay aktiv werden.

Wenige Monate später machte ein Großaufgebot von 50 Polizeibeamten eine Razzia gegen die "Piraten" und beschlagnahmte 186 Rechner und Server. Auf denen sich allerdings kein urheberrechtlich geschütztes Material befand. Das hält Pirate Bay auch gar nicht bereit, sondern vermittelt nur ähnlich wie eine Suchmaschine "Wegweiser" zwischen Anbietern und Interessenten. Ob das Bereitstellen einer Internetplattform für solche "Wegweiser", also im Prinzip eine Art "Google" zum Finden von unter anderem auch urheberrechtlich geschütztem Material, Beihilfe zum Bruch von Urheberrecht sein soll, wird die schwedische Justiz nun zu entscheiden haben.

Die Staatsanwaltschaft glaubt das. Sie ist der Überzeugung, dass die Aktivitäten der Webseite eine regelrechte Aufforderung zum Copyrightbruch darstellen, und erhob nach 20 Monate andauernden Ermittlungen Anfang 2008 Anklage gegen die vier "Piraten". Musik- und Filmbranche wollen von den vier Angeklagten außerdem einen Schadensersatz von zusammen umgerechnet rund 12 Millionen Euro haben. Der Straftatbestand, auf den die Anklage abzielt, hat einen Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Haft.

Peter Sunde ist Sprecher von Pirate Bay. Er glaubt an einen Freispruch. Eine mögliche Geldbuße oder Schadensersatzforderungen interessieren ihn nicht: "Wir haben sowieso kein Geld, zwei von uns wohnen gar nicht mehr in Schweden. Was interessiert es sie, ob sie hier Schulden haben?"

Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass Pirate Bay Millioneneinnahmen aus Werbung hat. "Sobald jemand bei uns Werbung schaltet, erhält er einen Schwall von Anrufen, die ihn unter Druck setzen, und dann zieht er seine Kampagne schnell wieder zurück. Werbemäßig haben wir nur Kleinkram." Klar, man habe daraus einige Einnahmen, aber die würden von den Kosten für Technik und Webverkehr aufgefressen: "Ich habe nie einen Lohn bekommen", sagt Peter Sunde.

Pirate Bay werde weiterleben, gleich wie der Prozess ausgeht, glaubt Sunde: "Filesharing ist ganz einfach Evolution. Die sind die Vergangenheit, wir die Zukunft." Auch Anders Mildner, Kulturredakteur bei Sydsvenska Dagbladet in Malmö - einer Zeitung, die mittlerweile Teile ihres Inhalts über Pirate Bay verbreitet -, sieht das ähnlich. Die "Piraten" seien nur ein öffentlicher Ausdruck einer weltweiten Bewegung für die freie Verbreitung von Informationen, die alte Machtstrukturen in Frage stelle.

Sein Kollege Sam Sundberg von Svenska Dagbladet spekuliert, was passieren würde, wenn Peter Sunde & Co wirklich ins Gefängnis müssten: "Dann würden Jugendliche sich Peter-Sunde-Poster ins Zimmer hängen. Er würde der Che Guevara der Filesharing-Bewegung werden." Und er sieht für diesen Fall auch eine Gefahr: "Keiner wäre der Gewinner. Wir würden eine Gesellschaft mit noch mehr Überwachung werden, und Filesharing würde eben in die Illegalität abtauchen."

Und ein Freispruch? "Wenn Pirate Bay gewinnt, wird das im Prinzip ein Präjudiz, das Schweden zu einem Filesharing-Paradies macht", glaubt Sundberg: "Dann wäre die Piratenbewegung wohl der größte schwedische Exporterfolg dieses Jahrhunderts."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!