Schwedische Fans auf der Truchaniw-Insel: „Wir lieben Natur und Fußball“

In „Camp Schweden“ bei Kiew funktionierte anfangs so gut wie gar nichts. Die skandinavischen Fans hatten weder Strom noch einen Speiseraum – bis sie selbst Hand anlegten.

Patente Wikinger trotzten bei Kiew allen Widrigkeiten und bastelten sich ihr Fan-Camp selbst. Bild: dapd

Mit dem Auto erreicht man die Truchaniw-Insel auf dem Dnipro nur aus nördlicher Richtung. Hat man die Moskauer Brücke verlassen, wartet schon ein paar hundert Meter weiter der erste Posten, der nach einem „Propusk“, einem Passierschein verlangt. Für ein Auto mit schwedischem Kennzeichen braucht man keinen.

Die neu asphaltierte schmale Straße führt mal durch den Wald, mal durch eine postsozialistische, von schiefen Zäunen umrahmte Landschaft mit Industrieruinen. Hin und wieder taucht ein Wagen aus Schweden auf, der sich penibel an das Tempolimit (60 km/h) hält. Es ist warm und schwül an diesem Tag in Kiew. Eine Streife langweilt sich an der Kreuzung und weist den richtigen Weg.

Man fährt an einem grünen runden Gebäude vorbei, das wie ein verrostetes Raumschiff aussieht. Einige Kilometer weiter kommt eine Schranke und noch ein Posten. Hier liegt das „Camp Sweden“, das schwedische Zeltlager am Ufer des Dnipro.

Vor den Toren begrüßt einen das übliche Angebot für Touristen – kitschige Souvenirs, ein Pferd zum Reiten, ein ausgedienter gepanzerter Mannschaftswagen aus russischer Produktion für Ausflüge ins Umland. Mehrere Taxen, die gerne bereit sind, jeden Willigen zu Wucherpreisen ins Zentrum zu fahren, warten am Eingang.

Servicedamen im roten T-Shirt

Allerdings gibt es dazu eine Alternative – zu Fuß kann man die Stadt über die Fußgängerbrücke gratis erreichen, und dazu noch schneller. Im gelben Zelt am Eingang ist die Information. Die Damen in roten T-Shirts mit der Aufschrift „Crew“ informieren Frischankömmlinge, wie es weiter geht.

Und weiter geht es erstmal durch das mit billigem Wellblech beschlagene Tor. Hier endet auch der befestigte Gehweg. Nun muss man durch den Sand strampeln. Das versucht auch eine junge Schwedin, die gerade angekommen ist. Es gelingt ihr nur mühsam, zumal sie noch einen schweren Rollkoffer durch den Sand schleppen muss. Keine leichte Aufgabe.

Doch im Vergleich zu den ersten Tagen sieht es hier fast idyllisch aus. Als die ersten Touristen kamen, war das Lager noch halb fertig – kein Strom, Probleme mit der Wasserversorgung, die Toiletten und Duschen waren noch nicht fertig. Vom Speiseraum war nur das Gerüst zu sehen, das Wetter wechselte stündlich.

Dieses Komplettpakett gab es für 15 Euro pro Nase. Die Einwohner Kiews starteten die Aktion „Rettet die Schweden!“ Viele Menschen boten ihre Wohnungen an, auch im Internet gab es zahlreiche Anzeigen. Doch die naturgebundenen Schweden haben ihr Camp nicht aufgegeben. Allerdings mussten sie selber Hand anlegen, bis das Lager halbwegs bezugsfertig war.

1.700 km Fahrt bis zum Camp

Nils steht im Kreis zusammen mit anderen Jugendlichen und kickt den Ball, der zuvor immer wieder im Sand stecken gebleiben ist, über die zwischen den Zelten aufgespannt Leine mit schwedischen Flaggen. Rund 1.700 km hat er mit dem Auto zurückgelegt, zunächst mit der Fähre nach Gdansk, dann über Warschau weiter nach Kiew.

„Die Natur hier ist schön. Anfangs ist noch nicht alles rund gelaufen, aber jetzt haben wir uns hier eingelebt“. Das Zentrum von Kiew gefalle ihm, die Plattenbauten nicht, an die zahlreichen Mücken am Dnipro habe er sich gewöhnt. Und er ist von der Gastfreundschaft der Ukrainer überrascht.

„Es war schon super nett, dass die Ukrainer uns ihre Zimmer angeboten haben, aber wir wollten alle hier bleiben. Regen gibt es schließlich auch in Schweden“. Trotzdem hat er sich im Camp mehr Service erwartet. „Hier kann keiner richtig Englisch, und die Preise sind ziemlich hoch“.

Der nächste Supermarkt liegt weit weg. So nutzen die Verkaufsbuden die Gunst der Stunde und verlangen für Haarshampoo oder Duschgel umgerechnet sieben Euro pro Flasche. „Die Kinder fühlen sich hier wohl“, sagt Freja, die hier mit ihrem Mann und zwei Söhnen campt und gerade von der Fußgängerbrücke runterkommt. „Wir lieben Natur und Fußball“.

Nur das Angebot für die Kinder findet sie etwas dürftig. Es ist sowieso nicht viel los im Camp um die Mittagszeit. Zusätzlich zum Panzerwagen und Pferd kann man noch eine Bootsfahrt am Dnipro buchen. Auch ein Ausflug nach Tschernobyl für rund 160 Euro wird angeboten.

Ausflug nach Tschernobyl für rund 160 Euro

Das bedeutet ein Risikoaufschlag von hundert Prozent, denn für ein Ausflug in ein nichtkontaminiertes ukrainisches Dorf zahlt man sonst nur 80 Euro. Damit ist das Rahmenprogramm auch zu Ende. Doch die Schweden sind nicht Tschernobyl hier.

Spätestens am Spieltag werden die rund 6.000 Fans am Nachmittag zu einem Marsch durch die Stadt aufbrechen, bevor sie das Stadion erreichen. Auf dem Chrestschatyk, der offiziellen Fanmeile, geht die Party jeden Tag am frühen Nachmittag los – mit zwei „Swedish Corners“, einer schwedischen Band, Carlsberg und McDonalds.

Zu den Preisen, die auch im Stadion üblich sind. Und das heißt: das Vierfache für einen normalen Cheeseburger, das Doppelte für das Beer. Doch wenn die eigene Mannschaft gewinnt, spielt das keine Rolle. Wenn sie verliert, auch nicht.

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