Schwedenkrimi „Spuren des Todes“: Je Arschloch, desto Fangemeinde
Der Ex-Profiler Bergman ist ein unerträglicher Mann, der nichts mehr zu verlieren hat. Gespielt wird er von Schwedens berühmtestem Krimidarsteller.
Er ist ein Kotzbrocken. Ein riesengroßer, blonder Kotzbrocken. „Der einzige Grund, warum ich heute hier stehe“, sagt der ehemalige Star-Profiler Sebastian Bergman vor einem Saal voller Studenten, „ist, dass mein Verleger findet, es sei höchste Zeit, dass ich mein Leben wieder in den Griff kriege. Und das eine oder andere Buch verkaufe.“ Danach baggert er schamlos eine Polizeichefin in der ersten Reihe an und schenkt ihr ungefragt sein Buch inklusive Telefonnummer. Die Studenten sitzen da wie geplättet.
Rolf Lassgård spielt den Mann, der nichts mehr zu verlieren hat. Wer sonst? Die Rolle wurde Schwedens berühmtesten Kriminalinspektorendarsteller von A bis Z auf den Leib geschrieben. Lassgård hat sie alle gespielt: den depressiven Wallander, den aggressiven Gunvald Larsson aus „Kommissar Beck“. Sebastian Bergman ist so was wie die Kreuzung aus beiden Figuren. Das ist kein Zufall, sind doch auch die Autoren dieselben. Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt machten schon schwedische Krimiserien, als einige ihrer heutigen Fans sich noch bei Astrid Lindgrens Kalle Blomquist gruselten.
Neu ist, dass die beiden Autoren die Romanvorlage gleich mit verfasst haben. Und zeitgleich auf den Markt geworfen. Mit riesenhaftem Erfolg. Sie wissen eben, wie es geht. Nach dem Motto „Je Arschloch, desto Fangemeinde“ haben Hjorth und Rosenfeldt ihren neuen Anti-Helden nicht nur in die obligatorische Midlifecrisis gestürzt. Bergman ist auch noch sexsüchtig, arrogant, manipulativ und – Das ist das Neue! – schwer traumatisiert.
Allemal unterhaltsam
Die einzigen Menschen, die er je geliebt hat, seine Frau und seine vierjährige Tochter, sind Weihnachten 2004 bei dem Tsunami in Thailand ums Leben gekommen, während er selbst überlebte. „Die ganze Zeit spürte ich ihre kleine Hand in meiner“, sagt Bergman, „Ich habe gewusst, dass ich sie nie, nie, nie loslassen darf. Aber dann war sie weg.“
Seither erwacht er jeden Morgen mit einem Krampf in der Hand aus demselben Alptraum, hat Panikattacken und weiß nie, wohin mit seinen Pranken. Die Kamera von Erik Molberg Hansen sitzt wie das leibhaftige Verdrängte im Nacken der Figuren. Gegen das Licht, gegen die Wand, durch Zigarettenrauch, Menschenmengen und eine Handkamera schauen wir den Menschen in einer piefigen Kleinstadt beim Lügen zu. Nichts, was wir nicht schon hundertmal gelesen und gesehen hätten.
Unterhaltsam ist es allemal. Ein 19-jähriger Eliteschüler ist ermordet worden. Genauer gesagt, wurde er zuerst erschossen, dann erstochen und zum Schluss wurde ihm das Herz aus dem Leib geschnitten. Darunter machen sie es heutzutage nicht mehr im Krimi.
Das gibt ein Erdbeben
Der dem Film zugrundeliegende Roman „Der Mann, der kein Mörder war“ erschien in Schweden bereits 2010, parallel zum Fernsehzweiteiler. Darin wird der Gestaltung der anderen Figuren, vor allem der übrigen Ermittler, viel Raum gelassen. Wir erfahren, wer mit wem ins Bett geht und wer wovor Angst hat. Vor allem erfahren wir noch viel mehr über das Verhältnis jeder einzelnen Figur zum Protagonisten. Informationen, die dem Roman Tiefe verleihen, die im Film jedoch glücklicherweise abgelöst werden durch die Leistung der Schauspieler.
Regisseur Daniél Espinosa konzentriert sich in der ersten Folge ganz auf die zentrale Gestalt der Geschichte. Lassgård spielt den Bergman erwartungsgemäß grandios. Niemand kann so erschütternd zusammenbrechen wie der große blonde Schwede. Wenn ein Koloss zu Boden geht, löst das immer ein Erdbeben aus. Das dritte Buch der Bergman-Reihe ist dieses Jahr auf Deutsch erschienen und wanderte direkt in alle Bestsellerlisten. Wenn Sebastian Bergman kommenden Sonntag das erste Mal leibhaftig vor dem Fernsehpublikum steht, werden die Verleger sich sicher auch freuen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett