Schweden will Einblick in Bürger-DNA: Ausgeforscht bis aufs Blut
Die schwedische Regierung will den Sicherheitsbehörden künftig Zugriff auf die seit 1975 routinemäßig eingelagerten Blutproben aller Bürger gewähren.
STOCKHOLM taz "Auch wenn man nichts zu verbergen hat, sollte man nicht aktiv zu so einem Register beitragen." Der EU-Parlamentarier Christofer Fjellner ist einer von hunderten SchwedInnen, die in den letzten Tagen schriftlich die Vernichtung ihrer Blutprobe aus einer Biobank beantragt haben. Denn die soll womöglich demnächst zu einem umfassenden DNA-Register umgewandelt werden.
Bei jedem in Schweden geborenem Kind entnimmt eine Krankenschwester mit einem Stich in die Ferse eine Blutprobe. Die landet im PKU-Register, einer 1975 eingerichteten staatlichen Biobank. Dort wird die Probe auf Krankheiten hin untersucht, deren Symptome erst in einem späteren Lebensalter sichtbar werden könnten. Die Probe wird gelagert und darf für Forschungszwecke - und ausschließlich für Forschungszwecke - verwendet werden. Auf diese Biobank, die gleichzeitig ein potenzielles DNA-Register über mittlerweile dreieinhalb Millionen SchwedInnen unter 34 Jahren ist, hat die Regierung in Stockholm nun ein Auge geworfen. Über eine Änderung des Biobank-Gesetzes soll die Möglichkeit geschaffen werden, dieses der polizeilichen Ermittlungsarbeit zugänglich zu machen.
Für die Initiative hätte wohl kaum ein schlechterer Zeitpunkt gewählt werden können. Die durch die Verabschiedung des "Orwell-Gesetzes", das eine nahezu vollständige Kontrolle der E-Mail- und Telefon-Kommunikation schaffen soll, sowieso sensibilisierte schwedische Öffentlichkeit, hat nun gleich eine weitere Debatte zum Thema Überwachungsstaat bekommen. "Überwacht, abgehört und jetzt auch noch das Blut registriert", kommentiert die Stockholmer Tageszeitung Svenska Dagbladet.
Am Rande oder jenseits der Legalität war das PKU-Register in der Vergangenheit schon hin und wieder für Polizeiermittlungen zugänglich gemacht worden. Der letzte öffentlich bekannt gewordene Fall stand im Zusammenhang mit der Suche nach dem Mörder der Außenministerin Anna Lindh 2003. Damals war im PKU-Register tatsächlich das letzte Puzzleteil gefunden worden, um den Mörder zu überführen. Früher hatte das Register aber auch entlastende Beweise für Mordverdächtige geliefert.
Es gibt nur einen Weg, einen staatlichen Zugriff auf die eigene DNA vorbeugend zu verhindern: Man muss deren Vernichtung beantragen. Am Freitag veröffentlichte der MUF, die Jugendorganisation der regierenden Konservativen, vorformulierte Musterbriefe, mit denen man bei der Biobank die Zerstörung der eigenen Blutprobe beantragen kann. "Wir wollen damit signalisieren, dass es nun reicht mit den Integritätsverstößen", begründet MUF-Vorsitzender Niklas Wykman. Ab dem Moment, in dem die Sicherheitsbehörden auf das Register zugreifen können, soll nach dem Willen der Regierung die Möglichkeit entfallen, die eigene Probe vernichten zu lassen.
REINHARD WOLFF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat
Boris Pistorius wählt Olaf Scholz