Schwarzwälder „Südfrüchte“ bringen den Tod

Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch hat das Maschinengewehr G3 in über 80 Länder geliefert / Per Lizenzvergabe kommt die Präzisionsarbeit aus dem Ländle weltweit bei Kriegen zum Einsatz / Bonn bestreitet Umgehung von klaren Endverbleibsregelungen  ■  Von Erwin Single

Stuttgart (taz) - „Die Einwirkung der Kugel auf weiche Ziele entspricht internationalen Anforderungen.“ Noch auf 600 Meter dringt das abgefeuerte Geschoß durch Stahl. Ein Volltreffer - Made in Oberndorf. Mit aggressiven Slogans wirbt die baden-württembergische Waffenschmiede Heckler & Koch für ihr neuestes Produkt: das Maschinengewehr G11. Die neue „Wunderwaffe“ verspricht den schwäbischen Tüftlern wieder ein lukratives Geschäft mit dem Tod. Um ihre Klientel mußte sich die Firma Heckler ohnehin nie sorgen; das Waffen -Know-how aus Oberndorf gehört zu den Exportschlagern im internationalen Rüstungsgeschäft. Mit den „Südfrüchten“ aus dem Schwarzwald (in einem Geheimcode unter Waffenhändlern wurden Heckler-Gewehre als „Bananen“ und „Orangen“ bezeichnet) wird inzwischen auf der ganzen Welt geschossen. Nun muß befürchtet werden, daß das G11 bald das Vorläufermodell G3 auf den Kriegsschauplätzen der Dritten Welt ablöst.

Seit Jahren gibt es eine Reihe von Beweisen, welche die weltweite Verbreitung des Sturmgewehrs G3 belegen. Recherchen des Rüstungs-Informationsbüros Oberndorf (Rio) haben ergeben, daß das Schnellfeuergewehr in mindestens 50 Staaten von Armee- und Polizeieinheiten eingesetzt wird. Der Export in diese Länder erfolgte meist über ausländische Lizenzproduktionen. Sechs europäische und sieben weitere Länder besitzen G3-Lizenzen zum Nachbau, darunter Portugal, der Iran, die Türkei und Thailand.

Auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag gab die Bundesregierung im Oktober erstmals offiziell zu, bis zum Jahresende 1988 Exportgenehmigungen für Handfeuerwaffen und Maschinengewehre in 86 Länder erteilt zu haben, darunter an „über 80 Länder“ auch für G3-Gewehre. Nähere Details über die jeweiligen Empfängerländer wollte die Regierung jedoch nicht nennen. Begründung: Angaben über Rüstungsexporte seien aus „Gründen wirtschaftlicher Geheimhaltung der Industrieunternehmen, aber auch aus politischen Gründen sensitiv und daher nicht in Details für die Publizierung geeignet“. Die Bundesregierung habe bei der Vergabe von Ausfuhrgenehmigungen „stets im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften“ sowie „rüstungspolitischer Grundsätze“ entschieden.

Das G3 gilt als eine der zuverlässigsten Schnellfeuerwaffen überhaupt. Die Entwicklung des Gewehrs wurde in den 60er Jahren durch das Bundesverteidigungsministerium finanziert. Damals soll auch die Erlaubnis zum Nachbau unter anderem an die Nicht-Nato-Staaten Frankreich, Mexiko, Saudi-Arabien, Iran, Pakistan, Philippinen und Thailand gegangen sein. Unter heftigen Beschuß von Rüstungsgegnern gekommen, verwies der inzwischen abgelöste Pressesprecher von Heckler & Koch, Dirk Holzknecht, Kritiker an die Bundesregierung: Die Lizenzen seien „im Rahmen von Militärhilfeabkommen“ mit „Genehmigung des Bundes“ und teilweise sogar „auf Betreiben der Bundesregierung“ vergeben worden, war im März dieses Jahres im Schwarzwälder Boten zu lesen. Niemand kann dem Kriegswaffenhersteller somit ernsthaft vorwerfen, hierbei bundesdeutsche Rüstungsexportgesetze umgangen zu haben.

Staatssekretär Willy Wimmer aus dem Verteidigungsministerium teilte indes auf die Anfrage der Grünen mit, die G3-Lizenzen seien „vorwiegend in den 60er Jahren“ vergeben worden, genehmigt durch das Bundesamt für Wirtschaft. So schreibt es das Vergabeverfahren auch formal vor: Die Rüstungsfirma stellt einen entsprechenden Antrag beim Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft. Bei Gütern wie Maschinengewehren, die auf der Kriegswaffenliste der Außenwirtschaftsverordnung stehen, werden dann Stellungnahmen des Verteidigungs-, Wirtschafts- und Außenministerium eingeholt.

Wie die Rüstungsindustrie die Grauzonen der Waffengeschäfte zu ihrem Vorteil zu nutzen weiß, zeigen die G3-Exporte aus portugiesischer Lizenzproduktion. Dort wird das G3 von dem Lissabonner Unternehmen INDEP hergestellt. Die Genehmigung hatte die Vorgängerfirma FMBR noch zu Zeiten der Militärdiktatur unter Salazar erhalten. Von Portugal aus ging der Waffenexport ungehindert weiter: So sollen nach 1978 150.000 G3-Nachbauten an das südafrikanische Apartheid -Regime geliefert worden sein; rund 3.800 Gewehre wurden 1985/86 den Contras in Honduras und Nicaragua zugeleitet. Im Januar dieses Jahres wurde eine Ladung von 1.000 portugiesischen G3s auf einem Frachter von jamaikanischen Behörden entdeckt und beschlagnahmt. Der eigentliche Bestimmungsort: Kolumbien.

Die Außenwirtschaftsverordnung schreibt zwar seit 1961 einen Endverbleibsnachweis bei direkt exportierten Rüstungsgütern vor, jedoch nicht für Lizenzproduktionen. Ein sogenannter „indirekter Endverbleib“ wurde erst 1982 durch einen Beschluß der Bundesregierung geregelt, allerdings nur in Form einer Absichtserklärung. Bereits 1984 hatte die Regierung Kohl erklärt, daß die Exportkontrolle auch aus Lizenzfertigung „ausschließlich der Verantwortung des Exportlandes“ unterliegt. Daß der Endverbleib zudem schwerlich kontrollierbar ist, liegt auf der Hand. Zwar kann bei Verstößen die Lizenz wieder aufgeboben werden; aber nicht einmal im Fall Portugal wurde die Genehmigung wieder zurückgezogen. Die Regierung bleibt indes bei ihrer Auffassung, daß die geltenden Bestimmungen „Mißbräuche bei Lizenzvergaben in hinreichender Weise“ ausschließen. Und von einer nach Meinung der Bundestagsfraktion der Grünen „legalisierten Umgehung bestehender gesetzlicher Bestimmungen“ kann bei der bis 1982 praktizierten Regelung „keine Rede“ sein, erklärt die Bundesregierung. Ob für den „Fall Portugal“ gar eine Exportgenehmigung in Drittländer durch die sozialliberale Koalition unter Brandt vorlag, wollte die Bundesregierung weder dementieren noch bestätigen.

Welch fatale Folgen eine Lizenzvergabe haben kann, zeigt sich im Iran, wo mit G3-Gewehren in den Krieg gezogen und in den Gefängnissen exekutiert wird. Mitte der 60er Jahre begann das bundeseigene Unternehmen Fritz Werner in der Nähe von Teheran mit dem Bau einer Waffen- und Munitionsfabrik, in dem später auch die Maschinengewehre G3 und MG 3 in Lizenz hergestellt wurden. Die Blaupausen und Fertigungsunterlagen kamen von Heckler & Koch. Mit Ausführgenehmigung des Bundes für die Zulieferungen wurden rund eineinhalb Millionen G3-Gewehre im Iran bis Ende 1987 gebaut. Kassiert hat bei den G3-Geschäften nicht nur Heckler & Koch, sondern auch der Bund - aus Lizenzgebühren. Wie hoch die Einnahmen durch die von der Bundesregierung vergebenen G3-Lizenzen waren, darüber konnte Staatssekretär Wimmer keine Angaben machen, da „Unterlagen aus der damaligen Zeit nur noch teilweise vorhanden“ seien.

Im neuen Jahr wird über die Lizenzfertigung des Nachfolgemodells G11 verhandelt werden. Wie das G3 wurde auch die G11-Entwicklung aus Haushaltsmitteln finanziert. 60 Millionen Mark für die Serienvorbereitung sind im Haushalt von 1990 bis 93 noch veranschlagt. Der erste Lizenzvertrag ist bereits abgeschlossen - mit dem amerikanischen Verteidigungsministerium. Die Grünen im Bundestag werden demnächst eine aktuelle Stunde zu dem Thema beantragen.