: „Schwarzer“ Terror in Italien
Achtzehn Jahre plagt sich Italien mit seinem Rechtsterrorismus herum - achtzehn Jahre, ohne daß bisher auch nur eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt wäre. Ob das „Ludwig“–Urteil am Ende denselben Weg gehen wird wie alle anderen Verfahren gegen den „schwarzen“ Terror (wie er im Gegensatz zu linken, „roten“ Anschlägen genannt wird), ist offen - möglich wäre es durchaus. Es kommt darauf an, wer die Sache abschließend zu bewerten hat. Gerät eine Revision irgendwann einmal in die erste Sektion des Kassationsgerichtshofes, dem ein gewisser Dr. Corrado Carnevale vorsteht, kann man sicher sein, daß alle Mühen der Ermittler umsonst waren - reihenweise spricht diese letzte Instanz Neofaschisten und Angehörige der Terrororga nisation „Ordine Nuovo“ oder „Ordine Nero“ frei. Vor zwei Tagen wurde das in zwei Instanzen bestätigte „Lebenslänglich“ gegen den „Ideologen“ der „Ordine Nuovo“, Professor Paolo Signorelli im Fall des 1976 ermordeten Richters Occorso aufgehoben; vor zwei Wochen der allererste blutige Anschlag des rechten Terrorismus mit einem Freispruch für alle Angeklagten endgültig „beerdigt“: Das Attentat auf die Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana in Mailand mit seinen 17 Toten wird ebenso unaufgeklärt bleiben wie der Anschlag auf den Bahnhof Gicia Tauro 1970 (sechs Tote) oder die Bombe im „Italicus“– Schnellzug 1974 (zwölf Tote). Ob in dem laufenden Wiederholungsverfahren über den Handgranatenwurf auf eine Gewerkschaftsversammlung in Brescia durch die „Ordine Nuovo“ (acht Tote) am Ende eine Verurteilung herauskommt, scheint ebenso fraglich wie bei dem schon wieder verschobenen Prozeß um die Sprengung des Bahnhofs Bologna 1980 (85 Toten). Ungeklärt auch andere Verbrechen in diesem Zusammenhang: Was hatte es z.B. mit dem mysteriösen Sturz eines nach dem Attentat von Mailand verhafteten Anarchisten aus dem oberen Stock des Polizeipräsidiums auf sich? Wer hat dafür gesorgt, daß die mutmaßlichen Hinterleute das Attentat von Bologna ungehindert vorbereiten, die ausführenden Täter ins Ausland entkommen konnten? Jeder Prozeß ruft in Italien wieder die Jahre jener „Strategie der Spannung“ ins Gedächtnis, mit der rechte Bombenleger, ehrgeizige Politiker und noch ehrgeizigere Geheimdienst–Chefs Italien ins Chaos stürzen wollten - ein Chaos, von dem bisher noch nicht einmal der genaue „Sinn“ klar wurde: Ging es „nur“ darum, die drohende Einbeziehung linker Sozialisten, später Kommunisten,in die Regierung zu verhindern? Ging es darum, die bestehenden Verhältnisse „unangetastet“ zu lassen, wo jeder Mächtige sein Schäfchen ins Trockene bringen konnte - waren die Bomben also nur „Avvertimenti“, Drohungen? Oder ging es tätsächlich um den Weg in den Faschismus. Nur zaghaft getrauen sich Historiker an eine Analyse heran, wie weit die späteren Anschläge linker Gruppen eine Antwort auf rechte Bomben waren, wie weit die Deckung der Rechten durch Staatsorgane ging - und wie weit die ab Mittte der siebziger Jahre hochkommende linke Gewaltwelle gar von denselben Hintermännern gesteuert wurde wie vordem die rechten Anschläge. Die „Gruppe Ludwig“ schien bisher „leichter“ zu behandeln, die beiden Angeklagten schienen von jeder anderen neofaschistischen Aktivität isolierbar, zwei Einzeltäter also, die sich zusammengefunden haben. Doch der Spruch des Gerichts von Verona hat die juristische Bombe gleich mitgeliefert: Wenn die beiden „nur“ für die Hälfte der ihnen zur Last gelegten Morde und Anschläge verantwortlich sind - wer steckt hinter den anderen? Nach der Verhaftung der beiden 1984 lief jedenfalls noch ein Runenschrift–Brief nach Muster früherer „Bekennerschreiben“ ein, und da stand: „Die Verhaftung von zwei Personen bedeutet nicht notwendig das Ende von Ludwig. Wir werden wieder zuschlagen, und noch härter.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen