Schwarz-gelbe Atomlobby will nur Gorleben: "Vor der Hacke ist es duster"
Bislang werden keine Alternativen zum Endlager in Gorleben geprüft. Dabei gibt es sogar im Bundesamt für Strahlenschutz Vorbehalte, nur einen Standort zu prüfen.
GORLEBEN/BERLIN taz | Roter Schutzanzug, Helm und Lampe auf dem Kopf, Sauerstoffgerät auf dem Rücken, Schuhe mit Stahlkappen an den Füßen: Ute Vogt fährt in den Gorlebener Salzstock ein. 90 Sekunden im Gitterkorb hinab. 840 Meter tief unter der Erde. Nun steht sie dort, wo vor langer Zeit mal ein Ozean war. Er ist verdunstet, ließ nur Massen von weiß-gräulich schimmerndem Salz zurück. Die Luft ist staubtrocken, es sind 25 Grad. Vor Jahren haben sich Bagger durch das Salz gefräst und Stollen freigelegt. "Welche Dimensionen!", sagt Ute Vogt jetzt.
Die SPD-Politikerin ist auf der Suche nach der "Wahrheit". Sie will zeigen, dass Gorleben nicht aus fachlichen, sondern aus politischen Erwägungen als Ort ausgewählt worden ist "für den Müll, der bis zu eine Million Jahre strahlt". Tatsächlich geht es um ein ungeheures Unterfangen. Ein Atom-Endlager muss auch noch im Jahr 50.010 oder 100.010 dicht sein, damit die radioaktiven Hinterlassenschaften der heutigen Generation nicht schleichend die Menschen der Zukunft vergiften.
Vogt ist Rechtsanwältin; Geologie und Atomphysik sind neu für sie. Doch seit sie in Berlin im parlamentarischen Untersuchungsausschuss Gorleben sitzt, hat sie sich durch Aktenberge zu Gorleben gewühlt, sie hat mit Einwohnern, Wissenschaftlern und Umweltschützern telefoniert.
Route: Dieses Wochenende rollt wieder ein Transport mit elf Atommüll-Behältern vom Typ Castor ins Zwischenlager nach Gorleben. Die taz berichter die ganze Zeit über in ihrem Live-Ticker von den Ereignissen. Der Zug startet voraussichtlich am Freitag Nachmittag im französischen La Hague. Wenn er nicht aufgehalten wird, treffen die Castoren am Sonntag in Dannenberg ein, wo sie auf Lastwagen umgeladen werden. Diese könnten dann am Montag in Gorleben eintreffen.
Aktionen: Am Wochenende protestieren die Atomkraftgegner gegen den Transport, die Weitererkundung des Salzstocks Gorleben und die von der Bundesregierung beschlossene Laufzeitverlängerung. Am Samstag findet um 13 Uhr eine bundesweite Demonstration in Dannenberg statt. Anschließend sind von mehreren Camps aus unter anderem Blockaden von Schiene und Straße geplant (Infos: www.castor2010.de). Auch im Ort Berg in der Pfalz, wo der Zug über die Grenze kommt, soll es eine Blockade geben.
Es ist das erste Mal, dass sie den Salzstock besucht. Damit hat sie CDU-Bundesumweltminister Norbert Röttgen etwas voraus. Er schickt in diesen Tagen zwar erstmals nach zehn Jahren Pause wieder Bohrtrupps und Bagger nach Gorleben, die erkunden sollen, ob sich der Salzstock im nordöstlichen Zipfel Niedersachsens als Endlager für Atommüll eignet. Doch vor Ort war er selbst noch nie, wie sein Ministerium auf Anfrage der Grünen offiziell bestätigt hat.
Vogt nimmt derweil Journalisten mit, lässt sich filmen. Sie wäre keine Politikerin, wenn sie Gorleben nicht auch nutzen würde, um sich zu profilieren. Man glaubt ihr trotzdem, wenn sie sagt: "Es wird Zeit, den Standort Gorleben zu delegitimieren - politisch, wissenschaftlich, juristisch."
Das Erkundungsbergwerk wirkt großzügig, aufgeräumt. Wer mag, kann an Tischen eine Brotzeit machen. Gelbe Jeeps und Gabelstapler stehen herum, der TÜV checkt sie alle 12 Monate. 1,5 Milliarden Euro wurden bereits im Salz verbaut. Doch nicht nur deshalb hält Röttgen verbissen an dem Standort fest.
Er kann gar nicht anders. Denn das Atomgesetz legt fest, dass für anfallenden Atommüll "ausreichende Vorsorge" getroffen wird. Vorübergehend kann dieser sogenannte "Entsorgungsvorsorgenachweis" zwar auch in Form von oberirdischen Zwischenlagern erbracht werden; doch weil die Haltbarkeit der Castorbehälter nur für 40 Jahre garantiert ist, ist auch die Genehmigung dieser Lagerhallen befristet. Zudem werden Gerichte die Zwischenlösung auf Dauer nicht akzeptieren - auch weil die Atommüllmenge durch die in der vergangenen Woche beschlossene Laufzeitverlängerung deutlich wachsen wird.
Drei Risikofaktoren
Um bei den absehbaren Gerichtsverfahren wenigstens belegen zu können, dass an einer Lösung des Problems gearbeitet wird, hat Röttgen vor kurzem den Erkundungsstopp aufgehoben, den die rot-grüne Regierung im Jahr 2000 für Gorleben verhängt hatte. Darum muss im Salz jetzt wieder gearbeitet werden. Trotz aller Bedenken.
In der Theorie ist Salz ein gutes Medium, um abgebrannte Brennelemente von der Umwelt abzuschirmen. Es verflüssigt sich, wenn es durch den 200 Grad heißen Atommüll aufgeheizt wird, und umschließt dann die Atombehälter wie ein Strumpf. Aber in der Realität von Gorleben stimmt die Theorie nicht. Vogt hat das schon gelernt. Von Ulrich Schneider zum Beispiel. Der Kieler Geologe hat schon Anfang der 80er Jahre an offiziellen Gorleben-Gutachten mitgewirkt. Heute ist er im Auftrag von Greenpeace tätig - und legt immer neue Risiken offen.
"Anhydrit" - das Fremdwort für Risikofaktor Nummer 1 sagt Ulrich Schneider mit so viel Nachdruck, dass man sofort ahnt, man sollte es sich besser merken. Der Anhydrit, ein Sulfat-Mineral, grenzt direkt an das Salz. Weil sein Gestein spröde ist, können Flüssigkeiten bis zum Salz durchsickern. Die Atombehälter könnten unbemerkt vor sich hin rosten.
Risiko 2 ist die Gorlebener Rinne. Als vor 15.000 Jahren Norddeutschland vereist war, lief durch sie Schmelzwasser ab; dies hat sich tief in das Gelände eingeschnitten und die isolierenden Tonschichten weggeschwemmt. Stattdessen liegen dort jetzt Schotter und Sande, durch die sich das Wasser zu leicht seinen Weg bahnen und von der Decke des Atommüllgrabs tropfen könnte. Dazu kommt Risiko 3: Gasblasen in dem Gestein, die sich ausdehnen und so das Salz sprengen können. Das Lager würde undicht.
Ute Vogt steht jetzt vor einem rostigen Metallrohr, das aus der Wand ragt, "RB 012" steht darüber. Über diese Stelle ist schon viel geschrieben worden. Mehr als 100 Meter wurde hier ins Gestein gebohrt. 165.000 Liter salzige Lauge sickerten heraus. "Ein Beweis für Wassereinbrüche, oder?", fragt Vogt einen der Bergleute, die ihr den Weg zeigen. Der hält das alles für übertrieben: "Das ist ein uraltes, isoliertes Laugennest", sagt er. Ungefährlich. "Gibt es davon noch mehr?" will Vogt wissen - und hört nur: "Vor der Hacke ist es duster." Der alte Bergmannsspruch besagt, dass es unter Tage keine Gewissheit über das Gebiet gibt, das man noch nicht durchbohrt hat.
Wer alle geologischen Risiken ausschließen will, müsste den Salzstock insgesamt erkunden. Doch davon sind Röttgen und seine Mannschaft weit entfernt. Der Salzstock ist eine 14 Kilometer lange Ellipse. Ursprünglich sollten 9 Kilometer erkundet werden - aufgeteilt in 9 Erkundungsbereiche. Ute Vogt erhält jedoch nur einen Eindruck von "EB 1". Er ist der einzige, in den bisher tatsächlich Stollen getrieben wurden. "EB 3" soll noch hinzukommen, dann ist Schluss.
Die Regierung musste die Erkundungsbereiche immer wieder verkleinern und verschieben. Mit Geologie, mit fachlicher Erkenntnis hatte das nichts zu tun - es geht allein um Eigentumsrechte. Der adlige Großgrundbesitzer Andreas Graf von Bernstorff und die evangelische Kirche weigern sich, die Salzrechte unter ihren Ländereien abzutreten.
Lange bevor Rot-Grün die Arbeiten in Gorleben unterbrechen ließ, forderte die Industrie im Jahr 1996 einem Gesprächsvermerk zufolge selbst ein Moratorium - wegen der Probleme mit den Salzrechten. Auch die Möglichkeit einer Enteignung, die Schwarz-Gelb wieder ins Gesetz geschrieben hat, hilft nur begrenzt: Die notwendigen Gerichtsverfahren dauern nach Schätzung von Juristen allein in der ersten Instanz drei bis fünf Jahre. Und die fehlenden Rechte sind nicht nur juristisch, sondern auch fachlich ein Problem.
Keine Alternativen
Ute Vogt ist zurück in Berlin. Ende September, Paul-Löbe-Haus, Europasaal 4900: Der Untersuchungsausschuss tagt. Vernommen wird Ulrich Kleemann, ehemaliger Bereichsleiter Entsorgung beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). "Für eine Eignungsaussage schien die Beschaffung aller Salzrechte erforderlich", sagt der Experte. Die Verschiebung und Verkleinerung der Erkundungsbereiche, die wegen der fehlenden Rechte nötig wurde, sei darum "nicht auf die Gegenliebe aller BfS-Mitarbeiter gestoßen".
Das Bundesamt ist offizieller Betreiber des Bergwerks in Gorleben. Anders als der ehemalige Bereichsleiter Kleemann, der die Behörde letztes Jahr verlassen hat, halten sich die aktuellen Mitarbeiter mit Äußerungen zum Verfahren zurück. Schließlich untersteht die Behörde Umweltminister Röttgen, der die Weitererkundung angeordnet hat.
BfS-Leiter Wolfram König, der einst vom grünen Umweltminister Jürgen Trittin eingesetzt wurde, hält es zwar weiterhin für möglich, dass Gorleben als Standort geeignet ist. Allerdings hatte er - vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr - stets erklärt, dass ein Vergleich mit anderen Standorten "aus fachlicher und juristischer Sicht" ratsam sei.
"Klagende Bürger könnten sonst immer darauf pochen, dass es besser geeignete Standorte gibt, diese aber nicht untersucht wurden." Heute äußert sich König nicht mehr selbst zum Thema; ein Sprecher des Amtes sagt der taz aber: "Unsere Position hat sich nicht geändert."
Solche Einschätzungen kommen bei Röttgen scheinbar nicht gut an: Er versucht, den Einfluss des Strahlenschutzamtes zu minimieren. Sein Vorstoß, dem Amt per Gesetzesänderung den Betrieb von Gorleben komplett zu entziehen, wurde zwar im September von der Kanzlerin kurzfristig gestoppt. Doch neue Stellen hat das Amt trotz der Wiederaufnahme der Erkundung nicht erhalten, wie eine Grünen-Anfrage ergab.
Und eine wichtige Aufgabe hat das BfS verloren: Eine "vorläufige Sicherheitsanalyse", die die Grundlage für die weitere Erkundung von Gorleben bieten soll, lässt das Ministerium nun bei der atomfreundlicheren Gesellschaft für Reaktorsicherheit erstellen.
Die beauftragte mit der Durchführung Bruno Thomauske - den ehemaligen Chef der Atomsparte von Vattenfall, der nach dem Brand im AKW Krümmel 2007 seinen Job verlor und auf einen von RWE unterstützten Lehrstuhl an der Hochschule Aachen wechselte - für das Ministerium ist er ein "anerkannter Experte".
Die Qualitätskontrolle für das Gutachten übernimmt das Institut für Endlagerforschung der TU Clausthal, das von den vier großen Energiekonzernen finanziert wird. Und im Ministerium wird das Ganze koordiniert und ausgewertet von Gerald Hennenhöfer, früher Manager beim Eon-Vorgängerkonzern und heute Chef der Abteilung für Reaktorsicherheit.
Alternativen werden nicht erkundet. Unter Grünen-Umweltminister Jürgen Trittin hatte eine Expertenkommission noch empfohlen, mindestens drei unterschiedliche Regionen zu untersuchen. Nur so lasse sich der "bestmögliche" Schutz der Bevölkerung sicherstellen, den das Bundesverfassungsgericht etwa im Kalkar-Urteil verlangt habe. Doch weder Trittin noch sein Nachfolger Sigmar Gabriel (SPD) brachten die Suche voran. Bei dem Thema gibt es für keinen Politiker viel zu gewinnen.
Gorleben hoch 3? Aufruhr hoch 3? Gott bewahre! - "Keine Diskussion über alternative Standorte, sonst zünden wir die ganze Republik an", warnte zum Beispiel Max Straubinger, Vize der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Das war im Frühjahr, direkt nachdem Röttgen erklärt hatte, Gorleben werde selbstverständlich "ergebnisoffen" geprüft. Gorleben? Ergebnisoffen? "Pah", macht Ute Vogt. "Die Regierung denkt doch gar nicht daran, in süddeutschen Unionsgefilden nach dichten Ton- oder Granitlagern zu suchen."
Dass die Union Gorleben nicht kampflos aufgeben wird, zeigt sich auch an anderer Stelle im Untersuchungsausschuss. Warum wurde Gorleben ausgewählt? Zu dieser zentralen Frage des Ausschusses wird der Physiker Helmut Röthemeyer vernommen. Er schrieb die Studie, auf deren Basis die Kohl-Regierung 1983 entschied, Gorleben zu erkunden.
In einem Entwurf riet er, parallel zu Gorleben andere Standorte zu untersuchen - in der Endfassung nicht mehr. Ute Vogt will wissen: Musste er seinen Bericht auf Druck von oben umschreiben. Der Physiker räumt ein, die Regierung habe den Wunsch geäußert, den Hinweis auf Alternativen zu streichen; dies habe er als Weisung verstanden.
Doch weil Röthemeyer auch sagt, auf "sicherheitsrelevante fachliche Einschätzungen" habe die Regierung keinen Einfluss genommen, sieht sich auch die Regierung bestätigt. "Es gab keine Manipulation", folgert Reinhard Grindel, Obmann der Unionsfraktion. Der "Vorwurf der politischen Einflussnahme" sei "widerlegt", meint FDP-Mitglied Marco Buschmann.
Die Koalition, daran lässt sie keinen Zweifel, will Gorleben durchdrücken. Doch dass sie wirklich an den Erfolg glaubt, bezweifelt der ehemalige Umweltminister und heutige SPD-Chef Sigmar Gabriel entschieden. "Sie wussten immer, dass Gorleben ein virtuelles Endlager ist", warf er Union und FDP vergangene Woche im Bundestag vor.
"Es wird scheitern." Dass es keine Alternative gebe, wenn Gorleben eines Tages vor Gericht gestoppt werde, nehme Minister Röttgen billigend in Kauf, mutmaßt Gabriel: "Dann werden Ihre Leute sagen: Lasst uns den Atommüll ins Ausland bringen, in die Weiten Sibiriens. Das ist das Ende Ihrer Strategie."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin