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Schwangerschaftsabbrüche in MexikoGericht kippt absolutes Verbot

Im Bundesstaat Coahuila haben Rich­te­r ein absolutes Abtreibungsverbot als verfassungswidrig erklärt. Das Urteil hat Auswirkungen auf ganz Mexiko.

Frauen feiern die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Nation, 7.September 2021 Foto: Daniel Becerril/reuters

Berlin taz | Das Urteil des Obersten Gerichtshofs Mexikos (SCJN) war eindeutig: Alle zehn anwesenden Richterinnen und Richter des Gremiums entschieden am Dienstag, dass das absolute Abtreibungsverbot verfassungswidrig ist. Mit diesem Beschluss kippten sie zwar nur einen Paragraf des Strafgesetzes des nördlichen Bundesstaates Coahuila, ließen jedoch keine Zweifel daran, dass der Urteilsspruch für das ganze Land gelten werde.

Da unter den Richtern eine Mehrheit von über acht Beteiligten erreicht worden sei, seien alle regionalen und föderalen Gerichte gezwungen, sich an diesen juristischen Vorgaben zu orientieren, schrieben sie in ihrer Begründung.

Dem umstrittenen Paragraf 196 zufolge konnten Frauen, die aus einer „freiwilligen Entscheidung“ heraus ihre Schwangerschaft abbrachen, bislang in Coahulia mit ein bis drei Jahren Haft bestraft werden. Auch Personen, die an der Abtreibung beteiligt waren, mussten mit der Strafe rechnen.

Das höchste Gericht entschied nun, dass ein Fötus zwar geschützt werden müsse, das Recht von Frauen auf reproduktive Freiheit dadurch aber nicht verletzt werden dürfe. Die Kriminalisierung der Abtreibung verletzte die Rechte von Frauen auf eine freie Entwicklung der Persönlichkeit, auf Nicht-Diskriminierung und auf den Zugang zur gesundheitlichen Versorgung. „Ab jetzt beginnt ein neuer Weg der Freiheit, der Würde und des Respekts gegenüber allen Beteiligten, aber vor allem der Frauen“, sagte der Vorsitzende Richter Arturo Frenando Zaldívar.

Sieg für die Frauenbewegung

Für die mexikanischen Frauenbewegungen ist dieses Urteil ein großer Erfolg. Die Entscheidung des Gerichts zeige, dass die mexikanische Gesellschaft Schritt für Schritt die Rechte von Frauen durchsetzen werde, erklärte Ana María Hernández von der feministischen Organisation Consorcio.

Bislang sind Schwangerschaftsabbrüche in den meisten Regionen des katholisch geprägten Landes verboten. Lediglich in den Bundesstaaten Mexiko-Stadt, Oaxaca, Veracruz und Hidalgo können Frauen nicht mehr juristisch bestraft werden, wenn sie sich entscheiden, in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft abzutreiben. Nur der Abbruch nach einer Vergewaltigung ist bislang im ganzen Land nicht strafbar.

Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador, der ein traditionelles Familienbild verteidigt, äußerte sich bislang immer zurückhaltend gegenüber der Frage. Kurz vor Bekanntgabe des Urteils erklärte er, „das müssen die Frauen lösen“. Viele Politikerinnen und Politiker seiner linken Partei Morena hatten sich jedoch in den Bundesstaaten für die Entkriminalisierung eingesetzt.

Olga Sanchez Cordero (Morena), die jüngst das Amt als Innenministerin abgab und nun dem Senat vorsitzt, twitterte nach dem Urteilsspruch: „Nie wieder eine Frau im Gefängnis, weil sie sich zur Abtreibung entschieden hat.“ Ihre Partei sprach von einem historischen Tag, während die zweitstärkste Partei, die rechte PAN, betonte, man setze sich „für die Verteidigung des Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod ein.“

Die Regierung von Coahuila ordnete nach dem Urteilsspruch an, sofort alle Frauen aus dem Gefängnis zu entlassen, die wegen eines Schwangerschaftsabbruchs einsitzen. Ob und wie das Verbot der Kriminalisierung jedoch letztlich in den einzelnen Bundesstaaten umgesetzt wird, bleibt offen. Vor allem in extrem konservativen Regionen werden Frauen weiterhin dafür kämpfen müssen, dass sie zu ihrem Recht kommen. Jeder Bundesstaat kann mit eigenen Vorgaben festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Abtreibung durchgeführt werden darf. Viele rechtliche Auseinandersetzungen sind also vorprogrammiert.

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