: Schwan tot, Huhn im Stall
Rasche Ausbreitung der Vogelgrippe überrascht Experten. Virus möglicherweise schon lange in Deutschland
VON WOLFGANG LÖHR
Klaus Kenzler ist beunruhigt. Nicht weit von der Wittower Fähre auf der Ostseeinsel Rügen hält der Landwirt Geflügel. Seine 40 Hühner und einige Enten hat er gestern früher als geplant wieder einsperren müssen. „Die Sorge ist sehr, sehr groß“, sagte Kenzler gestern der Nachrichtenagentur AP.
Anlass für die Unruhe: An der Wittower Fähre wurden schon vor einer Woche zwei tote Schwäne gefunden. Am Dienstagabend wurde bekannt, dass sie nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin das auch für Menschen gefährliche Vogelgrippevirus H5N1 in sich tragen. Gefunden wurde das Virus auch bei einem toten Habicht. Landrätin Kerstin Kassner rief einen Krisenstab zusammen und ließ eine Schutzzone im Umkreis von drei Kilometern rund um den Fundort einrichten. Dort muss Geflügel fortan in den Stall. In einer Überwachungszone von zehn Kilometern im Umkreis gelten Transportbeschränkungen und verschärfte Hygienevorschriften. Zudem ist die Jagd auf Wildvögel verboten. Allerdings hatte Mecklenburg-Vorpommern bereits in der Nacht zu Mittwoch eine landesweite Stallpflicht für Geflügel angeordnet. Geflügelmärkte und -ausstellungen wurden verboten.
Auch in Berlin trat ein Krisenstab zusammen – und traten Politiker vor die Presse, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) versicherte mit dem ihr eigenen Optimismus: „Für die Bevölkerung ist das Risiko nicht gestiegen.“ Es handele sich um eine Tierseuche. Verbraucherminister Horst Seehofer(CSU) war überrascht, dass die Seuche so schnell nach Deutschland gekommen ist. Nun gehe es darum, das Überspringen des Virus von Wild- auf Nutztiere zu verhindern. Alle Bestände bei Geflügelzüchtern sollen nun auf eine mögliche Infektion überprüft werden.
Denn das Vogelgrippevirus kann auch für Menschen gefährlich werden. Über 90 Menschen, vor allem in Südostasien, sind inzwischen schon an Vogelgrippe gestorben. Alle hatten sich durch engen Kontakt mit Haustieren infiziert. In keinem Fall konnte eine Mensch-zu-Mensch-Infektion nachgewiesen werden. Befürchtet wird jedoch, dass H5N1 mutiert und so hochinfektiös auch für Menschen wird. Eine Pandemie ist dann fast unvermeidbar. Um dagegen gewappnet zu sein, wollen die Bundesländer bis Ende März einen „Pandemie-Plan“ entwickelt haben. Die Bundesregierung bewilligte 20 Millionen Euro für die Entwicklung eines Impfstoffs.
Besorgt sind die Experten vor allem über die hohe Geschwindigkeit, mit der sich das Virus ausbreitet. Im Herbst 2005 wurde H5N1, das sich schon seit 10 Jahren in Südostasien verbreitet, das erste Mal in Europa registriert. Im Januar wurde das Virus dann in Nordzypern festgestellt, vergangene Woche in Italien, Griechenland und Bulgarien, kurz darauf in Slowenien und Österreich – und jetzt auf Rügen.
Bisher gibt es keine Erklärung dafür, wie das Virus so große Sprünge machen kann. Der Vogelzug kann nicht die Ursache sein, denn der beginnt erst im März. Auffallend und auch für die Experten unerklärlich ist, dass bei den letzten Infektionsmeldungen immer nur Schwäne betroffen waren. Auf Rügen waren es Höckerschwäne. „Dieses Phänomen ist nicht zu erklären, denn es hat offensichtlich nichts mit dem Vogelzug zu tun“, erklärte der Wilhelmshavener Vogelforscher Franz Bairlein. Die Tiere sind bisher nicht als Vielflieger bekannt. Die toten Schwäne können somit nicht aus Vogelgrippe-Regionen gekommen sein. Eventuell aus Osteuropa, sagt Elke Reinking, Sprecherin des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit auf der Insel Riems. „Wir wissen nicht, wie weit sie fliegen können.“
Möglich sei aber auch, dass sie sich bei Wildenten angesteckt haben, die das Virus vermehrt in sich tragen. Diese könnten sich schon im vergangenen Jahr bei Zugvögeln mit H5N1 infiziert haben. „Dann kam das Virus bis jetzt unentdeckt in der Wildpopulation vor“, erklärte Reinking. Stress und Hunger hätten dann zum Ausbruch geführt.
Das kann aber auch bedeuten, dass die bekannten Vogelgrippefälle nur ein kleiner Ausschnitt der Epidemie sind und das Virus längst weiter verbreitet ist. Denn nicht alle Tiere, die sich infiziert haben, werden auch krank. Die Viren vermehren sich aber in ihrem Magen-Darm-Trakt und werden mit dem Kot ausgeschieden.
Auch die EU rüstet im Kampf gegen die Geflügelseuche auf. Die EU-Kommission bewilligte gestern mehr als 1,9 Millionen Euro zusätzliche Unterstützung für nationale Kontrollprogramme. Die EU-Landwirtschaftsexperten sprachen sich bei einem Treffen in Brüssel zudem für strengere Importverbote aus. Außerdem wurde die Einfuhr unbehandelter Federn aus allen Nicht-EU-Staaten verboten.