: Schutzmaßnahmen gegen die drohende Privatisierung
■ Was geschieht mit den Mietern der Altbaubezirke, wenn die Sanierungsgebiete abgewickelt werden, die Mieten steigen und die Privatisierung der Häuser droht?/ Die Bezirke versuchen es mit der Milieuschutzsatzung, aber der Senat trägt das nicht mit/ Anderes hat der Senat aber auch nicht anzubieten
Berlin. Seit die Mauer fiel und Berlin Hauptstadt wurde, steigen die Mieten. Denn seit ein zahlungskräftiges Publikum hierher kommt, lohnt es sich für private Hauseigentümer zu investieren. Die Senatsverwaltungen für Bau und Stadtentwicklung haben bislang eher hilflos reagiert. Bescheidene Ansätze der Bezirksämter, Mieter per Planungsrecht vor Spekulation zu schützen, finden im Senat kaum Unterstützung. Dabei werden schon seit Jahren straßenzugweise die Gründerzeitbauten in Kreuzberg, Tiergarten, Charlottenburg oder Schöneberg modernisiert. Die Mieten können sich daraufhin ganz legal verdoppeln und verdreifachen. Dachgeschosse werden ausgebaut und gleichzeitig damit werden — rechtlich problemlos möglich — Wohnungen zu teurem Gewerberaum zweckentfremdet. Dazu könnte ab Mitte diesen Jahres eine Welle von Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen und Eigenbedarfskündigungen drohen. Denn zu diesem Zeitpunkt wird ein Urteil des gemeinsamen Senates von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht erwartet, das womöglich die Umwandlung beim Altbau erleichtert. Dem Ostteil der Stadt steht diese Entwicklung größtenteils noch bevor, sobald dort erst einmal die Vermögensverhältnisse geklärt sind. Die Immobilienpreise im Osten, die Vorboten der Mietsteigerungen, haben freilich schon ähnlich angezogen wie im Westteil der neuen Hauptstadt.
Sanierungsgebiete werden abgewickelt
Gleichzeitig zieht sich die Stadt langsam, aber sicher aus der mit öffentlichen Geldern geförderten Stadterneuerung zurück. Geld für staatliche Modernisierungsprogramme — die Mietbegrenzungen zur Folge haben — steht für den Westteil der Stadt immer weniger zur Verfügung, während für Ost-Berlin Stadterneuerungsgelder selbst in Milliardenhöhe ein Tropfen auf dem heißen Stein wären. Die Modernisierungs- und Instandsetzungsrichtlinien werden derzeit von der Senatsbauverwaltung mit dem Ziel überarbeitet, in das einzelne Haus weniger staatliches Geld zu stecken und dafür im Gegenzug die daraus folgenden Mietbindungen zu lockern. Es ist sogar in der Diskussion, bei Wohnungen, die mit öffentlichen Mitteln modernisiert werden, überhaupt keine bezifferbaren Mietobergrenzen mehr festzusetzen, sondern die Mieten an den — sehr viel vageren — Mietspiegel zu koppeln.
Zudem werden die Sanierungsgebiete in Kreuzberg, Wedding oder Schöneberg, die seit fast 30 Jahren bestehen, sukzessive abgewickelt. Auch das hat Folgen für die Mieter. Denn in Sanierungsgebieten dürfen Häuser nur mit Zustimmung des Bezirksamtes und zum Verkehrswert verkauft werden, was Spekulationen automatisch einen Riegel vorschiebt. So steht in Kreuzberg das Sanierungsgebiet Kottbusser Tor kurz vor der Entlassung, obwohl nach einem Gutachten der dortigen Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. in vielen Blöcken noch einiges getan werden müßte. So werden in Kreuzberger Häuser, bei denen während der ersten Instandsetzungswelle vor einigen Jahren auf den Einbau von Zentralheizungen verzichtet wurde, möglicherweise keine öffentlichen Gelder mehr gesteckt.
Schlimmer noch: Die Senatsbauverwaltung erwog in einem internen Papier, Häuser aus Westberliner Sanierungsgebieten an Privat zu verkaufen, selbst wenn diese noch nicht saniert wurden (die taz berichtete). Und auch in Ost-Berlin wurden Sanierungsgebiete, die der Magistrat ausgewiesen hatte, von der West- Bauverwaltung aus finanziellen Gründen wieder gekippt, etwa die Karl-Marx-Allee.
Milieuschutz noch in der Erprobung
Eine Möglichkeit, bedrohliche Mietsteigerungen aufzuhalten, ist die Ausweisung von Gebieten, in denen ein sogenannter Milieuschutz gilt. Damit können alle Baumaßnahmen, die zu für die ortsansässige Bevölkerung nicht mehr bezahlbaren Mieterhöhungen führen, vom Bezirksamt untersagt werden (siehe Interview). Diese Milieuschutzsatzung wird von den Bezirksämtern in Absprache mit der Senatsbauverwaltung aufgestellt und nach einem Jahr von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung festgesetzt. Derzeit gibt es nur ein einziges Gebiet, in dem eine solche Satzung festgesetzt wurde, und zwar den Stefanskiez in Moabit. Aufgestellt wurden Milieuschutzsatzungen oder Erhaltungssatzungen, so der Presserefent der Stadtentwicklungsverwaltung, Straub, aber von fast allen Bezirken in Ost und West. Milieuschutz soll etwa im Moabiter Huttenkiez gelten, im Kreuzberger Graefekiez, auf der Schöneberger Insel (siehe Kasten) und in einigen Kiezen von Neukölln, Wedding und Charlottenburg. In der Diskussion ist eine solche Satzung für die Gegend um den Görlitzer Park und nördlich der Kreuzberger Bergmannstraße. In der Spandauer Vorstadt in Mitte und in Alt-Köpenick gilt eine bauliche Erhaltungssatzung. Diese macht jedoch nur Veränderungen an der Bausubstanz, also am Stadtbild genehmigungspflichtig, nicht aber Änderungen der Miethöhe und damit der Bevölkerungsstruktur.
Widerstände im Senat und bei Hausbesitzern
Ob die Milieuschutzsatzung tatsächlich Mietsteigerungen aufhalten kann, wird sich erst zeigen. Denn die von Stellenkürzungen bedrohten Bauämter der Bezirke sind schwerlich in der Lage, jeden einzelnen Bauantrag zu überprüfen. Trotzdem hat diese Satzung in Hausbesitzerkreisen bereits Staub aufgewirbelt: So bieten die dem Berliner Haus- und Grundbesitzerverband nahestehenden Fachseminare Referate an, in denen Hauseigentümer über »Gegenstrategien« informiert werden.
Auch beim Senat zeigt man dieser Satzung gegenüber eher Skepsis. Zum einen werden damit, glaubt man in der CDU, sozial schwache Bevölkerungsstrukturen festgeschrieben. Wenn zum anderen Bezirksämter private Modernisierungen ablehnen, verhindern sie damit eben auch, daß private Eigentümer in den Stadtteilen investieren — was erklärtes Ziel des Senates ist. Vor allem im Ostteil der Stadt wäre das problematisch, denn dort kann der Sanierungsbedarf mit Sicherheit nicht allein von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Bausenator Wolfgang Nagel befürchtet zudem, daß per Milieuschutzsatzung Dachgeschoßausbauten unterbunden werden. Denn Dachgeschoßmieten können von armen Kreuzbergern oder Moabitern kaum bezahlt werden. Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) will, wie er kürzlich sagte, Milieuschutzsatzungen nur in wenigen ausgewählten Gebieten zulassen. Der Senator versucht seit einigen Monaten, den Bezirken die Kompetenz für das Aufstellen der Milieuschutzsatzung wegzunehmen, ein Vorhaben, das bislang noch im Zuständigkeitsdschungel der Verwaltungen gescheitert ist. Wenn es gelingt, ist es mit dieser Art von Mieterschutz erst einmal vorbei. Anderes — geschweige denn Besseres — hat dieser Senat aber auch nicht zu bieten. Eva Schweitzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen