■ Wider die westlichen Rituale der Selbstberuhigung angesichts des hereinbrechenden Winters in Bosnien: Schutz für Hilfskonvois jetzt – eine Südosteuropa-Konferenz morgen
Mit brutaler Logik geht der Völkermord in Bosnien-Herzegowina weiter seinen unerbittlichen Gang. Voraussagen und Warnungen aus dem Sommer, damals noch belächelt und in den Wind geschlagen, sind inzwischen zur grausamen Realität geworden. Drei Millionen Menschen, die in den kommenden Wintermonaten „akut“ vom Hunger-und Kältetod bedroht sind – das ist kein überzogene Horrorvision, sondern die jüngste Lagebeurteilung des in seinen Einschätzungen bislang immer eher zurückhaltenden UNO- Flüchtlingshochkommissariats. Da müssen natürlich neue Argumente nachgeschoben werden, um die weiterhin passive Zuschauerrolle der euphemistisch immer noch sogenannten „internationalen Staatengemeinschaft“ zu rechtfertigen.
Objektiv hat UNO-Vermittler Stoltenberg natürlich recht, wenn er jetzt auf andere Kriege und Konflikte in der Welt verweist, die ebenso schlimm oder gar schlimmer und schon bislang opferreicher sind als der nunmehr fast zwanzigmonatige Krieg in Bosnien- Herzegowina. Und die daher stärkerer Zuwendung der UNO bedürften, deren personelle und finanzielle Ressourcen immer geringer werden. Und auch der Hinweis, das starke Interesse unserer Öffentlichkeit wie unserer Politiker am Thema Jugoslawien bei zugleich weitgehender Ignoranz etwa gegenüber dem blutigen Bürgerkrieg in Burundi sei Ausdruck unserer eurozentristischen Weltsicht, ist immer wieder richtig. Doch in der jetzigen Situation haben diese Argumente vor allem die Funktion, das eigene Versagen gegenüber der Katastrophe in Ex-Jugoslawien zu verschleiern und die eigene Verantwortung abzuschieben. Auch die deutsch-französische Initiative dient vorrangig dem Zweck, später wenigstens sagen zu können: „Wir haben uns bemüht, die Katastrophe abzuwenden.“ Daraus machen Diplomaten im Bonner Außenamt inzwischen kaum mehr ein Hehl.
Der Fall Jugoslawien ist ein Lehrbeispiel dafür, wie nichtmilitärische Maßnahmen zur Verhinderung eines gewalttätigen Konflikt beziehungsweise zu seiner Deeskalation und Befriedung, nachdem er ausgebrochen war, nicht gegriffen haben, ja gar nicht erst versucht wurden. Nach dieser Erfahrung ist es mit Blick auf künftige Konflikte um so wichtiger, nicht-militärische Maßnahmen als die vorrangigen und wichtigsten Mittel von Außen-und Sicherheitspolitik zu betonen und einzufordern, wie es etwa die Grünen in ihrem Parteitagsbeschluß Mitte Oktober gemacht haben. Doch für Bosnien hilft diese Haltung allein derzeit nicht weiter, zumindest nicht um das unmittelbar bedrohte Leben von vielleicht bis zu drei Millionen Menschen zur retten.
Es gibt in der jetzigen Situation keine Alternative mehr, als lebensnotwendige Hilfskonvois mittels massierter militärischer Begleitung zu den Menschen zu bringen, die ansonsten elendig verhungern und erfrieren werden. Um mehr kann es bei einem derartigen Einsatz militärischer Mittel nicht gehen: Weder um die Befreiung von Lagern oder eingeschlossenen Städten oder die Festnahme von Kriegsverbrechern noch um die Entwaffnung von Kriegsparteien oder die Rückgewinnung eroberter Gebiete. Und schon gar nicht um eine politische Lösung. Je klarer und eindeutiger die UNO dieses eng begrenzte Ziel eines verstärkten Einsatzes militärischer Mittel vorab gegenüber allen Kriegsparteien erklärt, desto geringer ist die Gefahr von bewaffneter Eskalation zwichen den UNO-Begleittruppen der Hilfskonvois und Streitkräften der bosnischen Kriegsparteien.
Sie würde weiter verringert, wenn zugleich mit diesem Einsatz eine neue Initiative für eine politische Lösungssuche ergriffen wird – im Idealfall von der KSZE oder zumindest einigen westlichen, östlichen und neutralen Staaten aus dieser KSZE. Diese Initiative müßte die zwei Grundfehler des seit September 92 versuchten und völlig fehlgeschlagenen UNO/EG- Ansatzes und ihrer diversen Vorschläge vom Vance/ Owen-Plan bis zum zuletzt auf dem Tisch liegenden Dreiteilungsmodell vermeiden: Die Einführung von ethnischer beziehungsweise von kultureller und religiöser Zugehörigkeit nicht als Kriterium für politische oder geographische Aufteilungen. Zum zweiten wäre die Konsequenz aus der Erfahrung zu ziehen, daß die Suche nach einer auf Bosnien oder auch auf das ganze Ex-Jugoslawien beschränkte Lösungen sich als unrealistisch erwiesen hat.
Angesichts der Vestricktheit der Probleme in der gesamten südosteuropäischen Region bietet – wenn überhaupt – nur ein breiter Ansatz die Chance für einen politisch ausgehandelten Interessenausgleich. Drei Vorbedinungen müssen hierfür erfüllt sein: Waffenstillstand in allen derzeitigen Kriegsregionen, völlig ungehinderte Zugänge für humanitäre Hilfslieferungen, Inaussichtstellung massiver Wirtschafts-und Wiederaufbauhilfe durch die EG. Dann könnte eine Südosteuropa-Konferenz zusammentreten, an der neben den ex-jugsolawischen Republiken auch Albanien, Griechenland, Bulgarien und die Türkei beteiligt werden sollten.
Andreas Zumach,Genf
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