Schulradar-Prozess: Kinder allein vor Gericht
Vor dem Hamburger Landgericht sagten Kinder über mutmaßliche Misshandlungen in der Grundschule aus - ohne ihre Eltern, die später drankommen sollen.
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Erst Minuten vor der Verhandlung am Hamburger Landgericht war klar: Die drei Kinder sagen aus - unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Überraschung: Auch die Eltern der drei zehnjährigen ehemaligen Schüler der Grundschule Rathsmühlendamm mussten den Saal verlassen. Das Gericht will sie später ebenfalls als Zeugen hören. Die Zeugenaussagen sollen der Kammer dabei helfen, den kniffligen Rechtsstreit zwischen der Hamburger Schulbehörde und dem Webportal-Betreiber Spickmich GmbH zu klären.
Wurden an der Hamburger Grundschule Kinder "von Lehrkräften misshandelt, seelisch wie auch körperlich"? Können die vorgeladenen Schüler diesen Vorwurf glaubhaft bestätigen? Ein Vorwurf, der bis heute auf dem Internetprotal Schulradar.de zu lesen ist, geschrieben vor gut einem Jahr von einem unbekannten User unter dem Namen Lycilla. Ein Vorwurf, den die Betreiberin der Seite, die Spickmich GmbH, partout nicht löschen will. Obwohl Hamburgs Schulbehörde dagegen klagt. Denn es handle sich um "eine unwahre Behauptung, die den Strafbestand der üblen Nachrede" erfülle.
"Eine Aussage der Schüler vor Gericht wollten wir nicht unbedingt", sagt Manuel Weisbrod, Geschäftsführer der Spickmich GmbH. Aber nachdem man mit Betroffenen gesprochen habe, sei eine klare Entscheidung getroffen worden: "Wir wollen lieber ein Gericht entscheiden lassen, als eine Aussage aus dem Forum zu nehmen, nur weil eine Behörde das so will." Und: Eltern und Kinder wünschten sich entschieden, auszusagen.
Am dritten Verhandlungstag im Juni wurde bekannt, dass ein Schüler der zweiten Klasse angeblich mehrmals verstopfte Toiletten säubern musste. Ein anderer habe vom groben Anfassen einer Lehrkraft Hämatome an den Handgelenken bekommen.
"Ich halte für richtig, dass die Schüler aussagen", sagt Angelika Bachmann vom Verein Lernen ohne Angst, der sich für Konfliktschlichtungen an Schulen einsetzt. Sie halte seit Monaten Kontakt zu den Eltern. "Die Eltern haben lange das Gespräch gesucht, aber Lehrer, Schulleitung und Schulbehörde haben sich um Schlichtung wenig bemüht." Stattdessen habe man die Beschwerden "unter den Teppich gekehrt".
"Zu dem Thema sagen wir derzeit nichts", sagt Jan Bruhns, Sprecher der Schulbehörde. Mit Hinweis auf das laufende Verfahren. Auch behördeninterne Dienstbeschwerden gegen mehrere Lehrkräfte und den Direktor der Grundschule wolle die Behörde nicht kommentieren. "Eine Informationssperre gibt es aber nicht", sagt Bruhns.
Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen vier Lehrkräfte und einen weiteren Mitarbeiter der Grundschule ist noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich aber "zuversichtlich, dass sie noch im November zum Abschluss gebracht werden".
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