piwik no script img

SchulpolitikVerjüngung auf Kosten der Älteren

Prämien und die Aussicht auf Vollzeitbeschäftigung sollen Junglehrer nach Mecklenburg-Vorpommern locken. Ihre älteren Kollegen, die 1995 zur Teilzeit gezwungen wurden, protestieren.

Nachwuchs verzweifelt gesucht: Mecklenburg-Vorpommern will Junglehrer ins Land locken. Bild: dpa

Kaum ein Bundesland ist bei jungen Lehrern so unbeliebt wie Mecklenburg-Vorpommern. Allein in diesem Jahr konnten von 170 freien Stellen nur etwa 100 besetzt werden. Das hat Folgen: Der Lehrkörper droht zu überaltern. Um diesen Trend zu stoppen, hat die Landesregierung gestern ein Junglehrerprogramm beschlossen. Vom Sommer 2010 an sollen dabei - zunächst bis 2011 - jährlich zehn Millionen Euro in die Schulen fließen. Mit dem Geld will man ausdrücklich Junglehrer locken: Ihnen soll neben einer Einmalzahlung von 2.500 Euro die Option auf Vollzeitbeschäftigung geboten werden.

Beim Landesverband Bildung und Erziehung (VBE) löst das Programm von CDU und SPD allerdings keinen Jubel aus. "Die älteren Lehrer haben jahrelang die Kastanien aus dem Feuer geholt", sagt Landesvorsitzender Michael Blanck. Hintergrund: Wegen des so genannten Lehrerpersonalkonzepts von 1995 sind Lehrer in Mecklenburg-Vorpommern verpflichtet, in Teilzeit zu arbeiten. Damals sollten Entlassungen wegen der sinkenden Schülerzahlen verhindert werden.

Und nun dies: Erst wenige Tage ist das Lehrerprogramm der Landesregierung alt - und schon glühen bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Telefondrähte. Viele ältere Lehrer fühlten sich betrogen, sagt die Landesvorsitzende Annett Lindner. Denn statt sie wieder Vollzeit arbeiten zu lassen, will man für die älteren Lehrer ein Prämiensystem einführen. Knapp 1,5 Millionen Euro stellt das Land dafür zur Verfügung - "eine Farce", findet die GEW. Jede Schule erhielte rund 2.700 Euro pro Schuljahr, um einzelne Lehrer für "besondere Leistungen" zu belohnen.

Referendare im Norden

Nach dem Ersten Staatsexamen müssen Lehramtsstudenten ein Referendariat ausüben. Doch die Plätze sind sehr begehrt.

Bremen: Gerade mal 143 Stellen gibt es hier, davon 113 in Bremen und 30 in Bremerhaven.

Hamburg: 234 Referendare haben am 30. April ihren Dienst begonnen. Die Zahl der Bewerber ist um ein Vielfaches höher.

Niedersachsen: Im August wurden die Plätze von 4.240 auf 5.900 erhöht. Wer einen schlechteren Numerus Clausus als 1,5 hat, muss es woanders probieren.

Lobende Worte findet die GEW für die geplanten Neuerungen beim Referendariat: Die Zahl der Plätze soll landesweit von 340 auf 500 erhöht werden. Außerdem sieht das Programm zwei Einstellungstermine jährlich vor. Derzeit wird nur zum April eingestellt.

Damit hat das Land Mecklenburg-Vorpommern das Referendariat letztlich aufgewertet. Denn das dortige Einstellungsverfahren gilt derzeit als desaströs. So verschickt das Kultusministerium die Zusagen routinemäßig zwei Wochen vor Schulbeginn. Den Namen ihrer Schule erfahren die Referendare oft erst am ersten Arbeitstag.

Im größten Internet-Forum für angehende Lehrer, www.referendar.de, schreiben sich etliche den Frust von der Seele. Ein Klick auf die Seite hätte der Landesregierung auf die Sprünge helfen können. Denn Referendare in Mecklenburg-Vorpommern fordern vor allem die Anerkennung ihrer Ausbildung als Berufsjahre. In anderen Bundesländern ist das längst der Fall: Dort wird diese Zeit bei der Einstufung in die Gehaltsgruppe berücksichtigt.

Das heißt aber nicht, dass andernorts Lehramtstudenten besser behandelt werden. So liegt der niedersächsische Numerus Clausus für Gymnasialreferendare bei 1,5 - auch wenn jemand das Mangelfach Mathematik studiert hat. Auch in Hamburg bekommen laut GEW rund 90 Prozent aller Bewerber keinen Referendariatsplatz. Die ziehen dann entweder weiter oder warten mitunter jahrelang auf eine frei werdenden Platz.

Im benachbarten Schleswig-Holstein kennt man diesen Bewerberstau. Einer Anfrage der FDP-Landtagsfraktion zufolge gab es zum 1. Februar 2009 etwa 90 Stellen für gymnasiale Referendare. Auf der Warteliste standen jedoch schon 104 Bewerber. Um Platz für jüngere Lehrer zu machen, müsste die Altersgrenze herabgesetzt werden, sagt Michael Blanck vom VBE in Schwerin. "Im Berufsschulbereich liegt der Altersdurchschnitt bei weit über 50 Jahren", sagt er. Viele Lehrer seien jetzt schon ausgelaugt.

Aber auch die Interessen der Schüler müsse man berücksichtigen. "Die wollen nicht mehr von der Großeltern-Generation unterrichtet werden", sagt Blanck. Sollte das mecklenburg-vorpommersche Junglehrer-Programm funktionieren, wäre dieses Problem zumindest dort demnächst gebannt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • N
    Nea

    Da lernt man das System in Baden-Württemberg doch ganz neu zu schätzen. Immerhin hat dort jeder nach Abschluss des Studiums ein Anrecht auf einen Referendariatsplatz - und bekommt ihn ohne lästige oder jahrelange Wartezeit.