■ Reaktionen zu Christian Füllers Kommentar: Schulmisere und Hochschulkrise
betr.: „Protest der Privilegierten“ (StudentInnendemos), taz vom 10. 6. 02
Ministerpräsident Clement und sein Finanzminister Steinbrück planen zur Ausbesserung des Lochs in der Haushaltskasse, das im Übrigen unter anderem durch undurchschaubare Steuerrückzahlungen an Großfirmen entstand, einerseits eine Einführung von so genannten Rückmeldegebühren in Höhe von 50 Euro pro Studierendem pro Semester, des Weiteren sollen Langzeitstudierende (d. h. Studierende, die mehr als vier Semester über der Regelstudienzeit liegen.) 650 Euro pro Semester bezahlen. Zusätzlich sollen die Landesgelder für die Studierendenwerke in NRW gestrichen werden, was einer zusätzlichen Belastung von 140 Euro pro Semester pro Studierendem entspräche. […]
Eine solche Belastung würde unter anderem dazu führen, dass von Ihnen angesprochene Privilegien nur noch denen zugute kämen, die es sich leisten können. Elitenbildung im Sinne einer monetären Elite würde verstärkt, soziale Gerechtigkeit rückte in noch größere Ferne, als sie eh schon liegt. […]
FLORIAN DICKE, Aachen
Sie werfen den Studenten vor, lediglich aus Karrieregeilheit auf die Straße gegangen zu sein und sich dabei nur gegen die akute Bedrohung Studiengebühren gewandt zu haben. Dies ist so nicht richtig.
Zu den Rednern bei der Abschlusskundgebung gehörte neben der Sprecherin der Schülervertretungen in NRW auch ein Vertreter der GEW. Beide sprachen den Studenten ihre Solidarität aus und bestätigten, dass auch in den Schulen in NRW teilweise katastrophale Zustände herrschten. Gemeinsam mit den Vertretern der Studentenschaft riefen sie sowohl die Politiker als auch Schüler, Eltern und Lehrer dazu auf, gegen den Bildungsnotstand einzuschreiten. Ebenso wurde auf zahlreichen Plakaten und Flugblättern auf den Zusammenhang zwischen der Schulmisere und der Krise an den Hochschulen hingewiesen. Uns ist sehr wohl bewusst, dass es hier um weit mehr geht als um finanzielle Einbußen für die ohnehin Bessergestellten. […] Dass die Studiengebühren nur die Spitze des Eisberges sind, brauchen Sie niemandem, der in den letzten zehn Jahren eine Uni von innen gesehen hat, zu sagen. Viellleicht ist all dies einfach noch nicht nach Berlin durchgedrungen. EVA-LAURA BEUTIN, Bonn
Langes Studieren ist nicht kostenlos, denn von irgendwas möchte man als Student schließlich auch leben. Nur 20 % der Studenten erhalten Bafög, 70 % müssen nebenbei arbeiten. Daneben haben wir das Privileg, mit 500 Leuten eine Vorlesung oder mit 60 ein Seminar zu teilen und an Klausurenkursen mit 70 % Durchfallquote teilzunehmen. Sicherlich ist auch eine frühe Förderung von Kindern aus bildungsunfreundlicher Umgebung nötig. Aber soll ihnen dann weitere Bildung verwehrt werden, nur weil inzwischen Studiengebühren eingeführt wurden? […]
CHRISTINA MOTEJL, Bonn
Der Kommentar von Christian Füller war ein Schlag ins Gesicht für mich. […] Ich bin Studentin und werde bei Einführung der Studiengebühren enorme Probleme haben, mein Studium überhaupt fortzusetzen. Als Angehörige der so genannten „bildungsfernen Schichten“ war es schon etwas Besonderes für mich, überhaupt das Abitur zu machen. Dass ich erst eine Ausbildung gemacht und gearbeitet habe, lag nicht zuletzt daran, dass ein Studium auch ohne Studiengebühren erst einmal bezahlt werden muss. Und zwar von mir und nicht von meinen Eltern.
Mit Einführung der Studiengebühren ist Studieren tatsächlich nur noch eine Sache der Privilegierten. Heute haben wenigstens einige Studenten wie ich die Chance zu studieren. Hierbei geht es auch nicht „um den Erhalt von Karrierechancen“. Wer nicht gerade BWL und Jura studiert, sondern marktwirtschaftlich gesehen nicht so rentable Studiengänge belegt, hat seine Schäfchen für die Zeit nach dem Studium lange nicht ins Trockene gebracht. Natürlich sollte es nicht nur beim studiengebührenfreien Studium bleiben, sondern es sollte sich an der Schulsituation allgemein etwas ändern. Allein durch die Einteilung in Haupt-, Realschule und Gymnasium trennt man schon in gesellschaftliche Klassen. Aber indem man die Situation umkehrt und bis zum Abitur Chancengleichheit schafft und danach nur die höheren Schichten zur Universität lässt, löst man unser Bildungsproblem auch nicht. An Bildung darf zu keiner Zeit gespart werden. Sie ist Allgemeingut, und zwar nicht erst ab der Universität. […] EVELYN LEHMANN, Trier
Hut ab. Fest steht doch mal Folgendes:
1. Alle Studenten sind in ihren Interessen gleich und studieren Soziologie. 2. Alle Studenten sind selbstlose Supermenschen, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als neben ihrem Studium, welches viele ohnehin gewählt haben, um später mal unsere Gesellschaft mitgestalten zu können, Pläne über die Verbesserung unseres Zusammenlebens in organisierten Strukturen auszuhecken und in die Tat umzusetzen. 3. Wenn Gewerkschaften für mehr Lohn streiken, dann ist das okay. Wenn Studenten für den „Erhalt ihrer Karrierechancen“ streiken, dann ist das eine Schweinerei aus oben genannten „Gründen“. Die Studenten sollten am besten gleich noch für den Weltfrieden sorgen.
Vielen Dank für so viel seriösen Journalismus.
JÖRG BURKHARDT, Bochum
Das ist nur ein Bruchteil der LeserInnenbriefe zu Christian Füllers Kommentar. Wegen des Andrangs schreibt die Bildungsseite einen Wettbewerb um Manuskripte aus. Das Thema lautet: Wie egoistisch sind die StudentInnen? Überprüft werden soll die These: „Die studentischen Aktionen richten sich eigennützig gegen die Einführung von Studiengebühren. Sie sind weder intellektuell noch organisatorisch Teil der Bewegung gegen die Bildungsmisere.“ Texte (4.500 Zeichen) an: bildung@taz.de .
Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.
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