Schulexpertin über neue Pisa-Studie: "Die Lesekompetenz stagniert"

Nächste Woche wird die neue Pisa-Studie veröffentlicht. Vor neun Jahren waren die Ergebnisse miserabel. Ein Fiasko droht auch jetzt, glaubt die GEW-Vizevorsitzende Marianne Demmer.

"Kleinere Klassen, in denen sich die Lehrer um die individuellen Bedürfnisse der Schüler kümmern können, gibt es nach wie vor nicht." Bild: dpa

taz: Frau Demmer, lesen deutsche Schüler neun Jahre nach dem Pisa-Knall jetzt genauso gut wie die finnischen?

Marianne Demmer: Ich befürchte, nein. Die Lesekompetenz der Schüler wird - vermutlich - auf niedrigem Niveau stagnieren, und die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft wird sich wahrscheinlich sogar erhöht haben.

Sie sind so pessimistisch. Woraus ziehen Sie denn diese Schlüsse?

Marianne Demmer, 63, ist Vizevorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Sie leitet den Bereich Allgemeine Schulen.

Im letzten Sommer wurde gemessen, inwiefern die Schüler in allen Bundesländern die KMK-Bildungsstandards erreicht haben. Diese Ergebnisse liegen vor, und wenn man sie mit den Pisa-Ergebnissen von 2000 für das 9. Schuljahr vergleicht, kann man sagen: die Lesekompetenz stagniert, nur in Mathe und Naturwissenschaften gibt es leichte Verbesserungen.

Aber diese Ländervergleiche der Bildungsstandards sind doch nicht identisch mit den Pisa-Tests?

Die verantwortlichen Wissenschaftler vom Institut für Qualitätssicherung in Berlin haben den Anspruch formuliert, dass ihre Untersuchungen mit den Pisa-Tests vergleichbar sind. Die Schulen, die an Pisa teilgenommen haben, haben auch am Ländervergleich teilgenommen. Die Punkteskala wurde von Pisa übernommen, und zum Teil waren es dieselben Aufgaben.

Angenommen, ihre Befürchtungen stimmen: Es ist doch seltsam, dass sich nichts verändert haben soll. Es gibt kaum noch Hauptschulen, dafür aber 12.000 Ganztagsschulen. Wieso wirkt das nicht?

In den Schulen hat sich ja nicht viel verbessert. Es gibt weder kleinere Klassen, in denen sich die Lehrer um die individuellen Bedürfnisse der Schüler kümmern können. Noch gab es beispielsweise zielgerichtete Lehrerfortbildungen zur Leseförderung in Haupt- und Realschulen.

Sind die Lehrer überhaupt bereit, ihre Methoden zu ändern und dem geliebten Frontalunterricht abzuschwören?

Frontalunterricht ist mit der anstrengendste Unterricht, den es gibt. Aber den haben die meisten Lehrer gelernt. Wenn sie jedoch merken, dass individualisierende Unterrichtsformen ihnen etwas bringen, dann wollen sie die auch praktizieren. Sie müssen aber die Möglichkeit bekommen, umzulernen.

Haben die Länder die falschen Schwerpunkte gesetzt, als sie Bildungsstandards für die Schüler entwickelten, statt Fortbildungen für die Lehrer zu organisieren?

Die Bildungsstandards sind das Einzige, worauf sich alle Kultusminister einigen konnten. Also wurde ein großes Programm aufgelegt, und es wurde viel Geld und Personal in Tests investiert, die nicht per se dazu führen, dass sich die Schüler verbessern. Die individuelle Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund und Schülern mit schlechten Sprachfähigkeiten während der gesamten Schulzeit haben die Kultusminister vernachlässigt. Die Ressourcen wurden an der falschen Stelle eingesetzt.

Was machen Sie, wenn sich am 7. Dezember herausstellt, dass Sie doch nicht recht hatten?

Zuerst bin ich verwundert, dann suche ich nach Erklärungen, und wenn es sich um echte Verbesserungen und nicht um statistische Tricks handelt, freue ich mich natürlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.