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Schuld ist nur der Marcel Reif

Nach dem Champions-League-1:2 gegen Atletico Madrid schließen sich Dortmunder Anhänger der Medienpolitik des Borussen-Vorstandes an  ■ Von Christoph Biermann

Dortmund (taz) – Ja, dann hätte Ottmar Hitzfeld doch Stefan Reuter auf der rechten Seite angreifen lassen sollen. „Und wer hätte Libero gespielt?“ fragte Dortmunds Fußballehrer zurück. „Cesar!“ meinte einer der journalistischen Hilfstrainer leicht triumphierend. Ein Dutzend hatte Hitzfeld im Presseraum des Westfalenstadions eingekeilt. „Gut, und wer hätte dann neben Peddersen Manndecker gespielt?“ Paul Lambert, hieß der nächste Vorschlag.

Hitzfeld wollte sich auch darauf nicht einlassen. „Den hätte ich eventuell als Libero aufstellen können, aber wer hätte dann Pantic gedeckt? Wir mußten doch den Spielmacher und die gefährlichen Stürmer Esnaider und Kiko stoppen.“ Dafür standen mit Peddersen, Cesar und Lambert eben nur drei Kandidaten zur Verfügung. Und Reuter als Libero. „Zorc“, rief nun einer der hilfswilligen Co- Taktiker, vom Geistesblitz durchschossen, „Zorc hätte doch Manndecker spielen können.“

Doch Ottmar Hitzfeld schaute jetzt nur noch tadelnd und mitleidig aus dem Augenwinkel, wie ein Lehrer auf einen vorlauten, aber etwas schusseligen Schüler, und hatte dann genug: „Wir machen doch hier keine Mannschaftssitzung.“

Dortmunds Trainer trieben sowieso andere Fragen um als die nach dem Für und Wider taktischer Optionen. Er war auch nicht bereit, das Fehlen von zehn verletzten oder gesperrten Profis zum Thema zu machen: „Ich bin einfach sauer darüber, wie wir nach 30 guten Minuten das Spiel aus der Hand gegeben haben.“ Erstaunlich gefällig kombinierte die dezimierte Borussia in jener ersten halben Stunde. Andreas Möller durfte sich mit schönen Pässen und Läufen profilieren, der kantige Knut Reinhard war auf der linken Außenbahn gefährlich, René Tretschok bestätigte die guten Leistungen der letzten Wochen, Stefan Reuter hatte wenig Probleme mit der Abwehrorganisation, und Julio Cesar degradierte Esnaider so, als hätte er sich dafür gar nicht umziehen müssen.

Irgendwie paßte es ins Bild, daß auch der Linienrichter mit Borussia war. Beim 1:0 von Herrlich übersah er, daß – für ein Spiel auf diesem Niveau rekordverdächtig – gleich drei Borussen im Abseits standen. Die Fans auf der Südtribüne hatten damit das Spiel bereits weitgehend abgehakt und wandten sich vergnügt schwarzgelber Medienpolitik zu.

„Und schon wieder keine Ahnung, Marcel Reif“, war einer der Sprechchöre. Die Dortmunder Fans sind ganz der Ansicht des Vereinsvorstands, daß der Kommentator von RTL angesichts der Leistungen ihrer Borussen zu wenig Überschwang an den Tag lege. Weshalb sie ihm noch lautstark mitteilten, daß seine Zeit um und er zum letztenmal in Dortmund sei, er jetzt gehen könne, weil er doch überhaupt ein Bayern-Schwein sei. Das machte Spaß, und der Gegner aus Madrid war darüber allseits in Vergessenheit geraten.

Dortmunds Offensivspieler gingen indessen etwas laxer mit ihren defensiven Aufgaben um. Und so ging plötzlich alles ganz schnell. „Wir hatten die Freiräume, die uns im Hinspiel gefehlt haben“, meinte Atleticos Trainer Radomir Antic. Innerhalb von zehn Minuten schoß zunächst der überragende Pantic an den Pfosten. Dann glich Roberto nach einer „indirekten Ecke“ (Hitzfeld) per Kopf aus. Und schließlich verwandelte Pantic einen Freistoß zum 1:2 (42.). Hitzfeld wollte da einen „Kunstschuß“ gesehen haben, der unglücklich postierte Torwart Klos meinte: „Man kann darüber streiten, ob man weiter hinten stehen muß, aber dann schießt er ihn vielleicht vorne rein.“ So aussichtsarm ist das manchmal.

Damit war das Spiel eigentlich vorbei. In der zweiten Halbzeit mauerte sich Atletico ein. Viel Anstrengungen kostete das allerdings nicht. „Uns fehlten die spielerischen Mittel, um das Bollwerk zu knacken“, gab Hitzfeld zu. Auch das zwanzigminütige Dauermantra von der Südtribüne, in dem unermüdlich „Olé, Super-BVB“ beschworen wurde, trug die Mannschaft nicht zu großen Taten. Eine große Torchance hatte Lars Ricken noch, als die Dortmunder endlich einmal hinter die Abwehr der Spanier gekommen waren; doch ein Verteidiger rettete auf der Linie.

Der Rest war gähnende Langeweile und sicherlich harte Arbeit für den Fernsehreporter, der den Fans aber erst wieder bei Abpfiff und Bestätigung der Niederlage einfiel: „Schuld daran ist nur der Marcel Reif!“

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