Schulabbrecher und Arbeitsmarkt: Ringelreihen um Problemschüler
Ohne Abschluss aus der Schule: Der Bund darf den Schulabbrechern nicht richtig helfen, die Länder wollen nicht wirklich. Aber passieren muss was.
Es gibt sie in der Politik, im Sport, in der Unterhaltungsbranche: Schulabbrecher. Joschka Fischer gehört dazu, der Schriftsteller Benjamin Lebert und auch das gerade verstorbene Schachgenie Bobby Fischer ebenfalls.
Gerne würde man also den knapp acht Prozent der Jugendlichen, die die Schule jährlich ohne Abschluss verlassen, sagen: Alles nicht so schlimm, ihr könnt dennoch viel erreichen. Das stimmt nur in Ausnahmefällen. Die Stellen für gering Qualifizierte nehmen ab. Heute sind 26 Prozent von ihnen ohne Arbeit und ohne Perspektive. Schulabbruch bedeutet allzu häufig: ab in eine Spirale aus Depression, Alkohol und manchmal Gewalt.
Die Kultusministerkonferenz und die Bundesregierung haben deshalb beschlossen: Bis 2010 soll die Zahl der Schulabbrecher um die Hälfte reduziert werden. Ein ehrgeiziges Ziel, findet Heike Solga, Leiterin der Forschungsabteilung "Ausbildung und Arbeitsmarkt" am Wissenschaftszentrum Berlin. In absoluten Zahlen würde es bedeuten: In drei Jahren sollen 38.000 Jugendliche weniger als heute die Schule ohne Abschluss verlassen. Was tun Bund und Länder dafür?
Der Bund kann nur Brunnenputzer spielen, wenn das Kind längst in eben diesen gefallen ist. Denn er hat praktisch keine Bildungskompetenzen mehr - von der Forschung abgesehen (s. "Mehr zum Thema"). Dennoch ist auch in Kreisen der großen Koalition längst das Bewusstsein dafür da, dass man abschlusslosen Teenies helfen muss. Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen (CDU) hat die Länder unverhohlen gewarnt, auf dem Feld weiter untätig zu bleiben - und Anstrengungen des Bundes angedroht.
Der Bund hat bereits ein Programm zur Förderung von Schulabbrechern aufgelegt. Allerdings bezahlt er es mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds. "So genannte Fall-Manager kümmern sich an 73 Standorten in Deutschland als feste Begleiter der Jugendlichen vor Ort darum, dass sie wieder regelmäßig in die Schule gehen", heißt es in dem Programm. Leider können nur etwa 1.500 Jugendliche daran teilnehmen - pro Jahr.
Die schulischen Möglichkeiten liegen allein bei den Ländern. Um schlechte Schüler an die Arbeitswelt heranzuführen, haben viele Länder Praxisklassen eingeführt. In den letzten beiden Schuljahren gehen die Hauptschüler ein bis zwei Tage die Woche in Betriebe oder machen Praktika. Das soll sie motivieren, sich doch noch für einen Abschluss ins Zeug zu legen. Um die Zeit dafür freizuschaufeln, müssen die Schulfächer auf Kernfächer reduziert werden. Sinnvoller wäre es daher, die Schule dafür um ein Jahr zu verlängern, meint Heike Solga. "Sonst nimmt man den Schülern Zukunftsoptionen. Denn was ist so ein Abschluss nachher noch wert?"
Ein Problem ist, dass die Mittel oft nicht ausreichen, die Schüler zusätzlich zu fördern. Und: Sonderschüler fallen aus den Maßnahmen raus - obwohl sie am stärksten betroffen sind: "80 Prozent der Sonderschüler verlassen ihre Schule ohne Hauptschulabschluss. Sie stellen 40 Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss", warnt Solga. Ihr Vorschlag für eine sinnvolle Strategie: die Unterrichtspraxis ändern und gemischte Lerngruppen schaffen. Schlechtere Schüler werden dann nicht mehr aussortiert, sondern lernen weiter.
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