Schul-Architekt übt Kritik an Schulen: Schulen sehen aus wie Strafanstalten

Der Schularchitekt Peter Hübner übt radikale Architekturkritik beim Konvent "der dritte pädagoge" und fordert: Baut Bibliotheken in die Schulen!

Die Wartburg-Schule bietet ihren Schülern nicht nur den pädagogischen Anlass, sondern auch die Nischen, in denen man gerne lernt und liest. Bild: dpa

Es gibt Momente, das ist selbst die Wartburg-Grundschule in Münster ein abweisender Ort. Dann sitzen die Schüler in ihren Lernhäusern mit den Namen Afrika, Europa, Asien oder Australien - und lesen. Auch Schulleiterin Gisela Gravelar, ihre LehrerkollegInnen und der Hausmeister schmökern. In der schuleigenen Bibliothek sind überall lesende Kinder verstreut. Die ganze Wartburg-Grundschule ist dann "lesende Schule".

Wahrscheinlich gibt es kein schöneres Beispiel dafür als die derzeit beste Schule in Deutschland, dass Architektur und Lernen etwas miteinander zu tun haben. Denn es finden sich viele Schulen in Deutschland, in denen ein kollektiver Leseanfall wie an der Wartburgschule undenkbar wäre - weil Schulen eine unfreundliche Anordnung von Rechtecken (den Klassenzimmern) und langen Geraden sind (den Fluren). Der Architekt Peter Hübner meint: Das hat System! "Pädagogische Fragen werden schon bei der Ausschreibung auf Raumprogramme reduziert, in denen es vor staatlichen Größenvorgaben wimmelt. Sie verhindern, dass Schulen zu schönen Häusern werden."

Hübner, derzeit der gefragteste deutsche Schularchitekt, unterzog die Schulgebäude einer ätzenden Generalkritik. Da war der Münsteraner Konvent des "Archivs der Zukunft" über das Gebäude als den "dritten pädagogen" genau der richtige Ort. Viele Schulen sähen aus wie Jugenstrafanstalten, sagte Hübner - und bewies das an preisgekrönter Schularchitkektur: Eine Schule in München-Riem, die nebeneinander sechs Meter hohe Klassenquader setzt und die dabei entstehenden Innenhöfe mit gleich hohen Zäunen verbindet. Tatsächlich entstehen dabei eine Art Pausenkäfige. Oder eine Schule, in der ein 160 Meter langer Flur als "Rückgrat der Schule" gefeiert wird - inklusive Mittelstreifen. "Der Architektenschaft müsste verboten werden", sagte Hübner, "dass sie Schulen zu Architektur macht."

Aber wie geht es dann, wenn sowohl das alte anstaltshafte als auch das neue überästhetisierte fürs Lernen nicht taugt? Die lesende Wartburg-Schule gibt einen Wink, denn sie bietet ihren Schülern nicht nur den pädagogischen Anlass, sondern auch die Nischen, in denen man gerne lernt und liest. In der Bibliothek etwa, die hier Leseoase heißt, finden sich unzählige Lesekissen, -podeste und -sessel. Die Schule für das neue Lernen hat eine leicht erklärbare Grundstruktur: Wenn der Gleichschritt als Marschbefehl des Lehrers nicht mehr das grundlegende Lernprinzip der Schule ist, sondern das individuelle Lernen und Forschen der Schüler, dann müssen neue Orte entstehen. Orte der Konzentration, des Teamworks und der Vergesellschaftung.

Der Schweizer Rolf Schönenberger hat sie geschaffen. Ohne einen millionenschweren Bauauftrag. Sondern mit dreimal 10.000 Euro, um Wände aus seinem Schulhaus zu schlagen. Schönenberger ließ so ein Großraumbüro von rund 200 Quadratmetern entstehen, in dem er die zuvor getrennten Schüler seiner Sekundarschule Bürglen mischt. Rund um das Großraumbüro gibt es Instruktionsräume, das sind in etwa die früheren Klassenzimmer. Und es finden sich viele kleine Lernnischen, wo man die Tür hinter sich zuziehen kann, um in der Minigruppe zu arbeiten.

"Sind sie mal abends um zehn in einer Stadt angekommen, ohne ein Hotelzimmer zu finden?", fragte Schönenberger. "Stellen Sie sich dieses Gefühl vor - denn es ist exakt das, was wir mit den Schülern bisher gemacht haben. Wir ließen sie in Sekundarschulen heimatlos umherziehen. Deswegen haben wir in Bürglen jedem Schüler einen eigenen Arbeitsplatz gegeben, wo er zu Hause ist."

Schulumbau wäre gar nicht so schwer, möchte man meinen. Gerade in den Zeiten, da 8,5 Milliarden Euro eines Konjunkturprogramms bereitstehen, die ausgegeben werden müssen für Schulerneuerung. Allerdings, so einfach ist das nicht. Das zeigt die Äußerung eines CDU-Stadtrats in Berlin. Er kritisierte das Land dafür, dass es die Baumilliarden für den Umbau von Haupt- und Realschulen nutzt - und damit das Konjunkturprogramm missbraucht. Er verlangte ultimativ, das Geld ausschließlich für energetische Sanierung auszugeben. Auch die Schilderungen in den Münsteraner Workshops zeigten, dass Berlin nicht länger das Privileg für sich beanspruchen kann, die dümmsten CDU-Stadträte Deutschlands zu haben. Überall wuchern die Bestimmungen und Vorschriften und ihre Exekutoren, die nur gleichförmige Klassenzimmer genehmigen wollen.

"Jede Schule ist so gut wie ihre Bibliothek", sagte Peter Hübner listig, denn er weiß, es gibt kaum Bibliotheken in deutschen Schulen. Diese Orte aber sind die versinnbildlichte Störung, die deutsche Schulanstaltsbauten brauchen - pädagogisch wie architektonisch. Steckt die Milliarden in Schulbibliotheken, sie bringen Lern- und Leseanlässe in die Schulhäuser - und den Zwang, die Schulkatakomben endlich umzubauen. Verfassung hin oder her. CHRISTIAN FÜLLER

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