Schuften fürs Zauberbuch: Wie ein Buch entsteht
Wie entsteht ein Buch? Es ist ein Abenteuer zwischen Hungerlohn und Begeisterung, zwischen Lieblingsversen und Zahnschmerzen. Am Schluss erscheint Walt Whitman auf Deutsch - Weltliteratur.
Am 1. Januar 2008 tappt der Autor, Lyriker und Übersetzer Jürgen Brôcan in Pantoffeln die schmale Treppe in seinem Reihenhaus in Dortmund-Dorstfeld hinauf. Er ist 42 Jahre alt, ein großer, schwerer Mann, dem man die Liebe zu Gedichten nicht unbedingt ansieht. Das Haar ist kurz, das Gesicht unauffällig, die kleinen Augen hinter der Metallbrille gucken ins dämmrige Licht des Arbeitszimmers. Brôcan schiebt sich an den Bücherregalen vorbei, zwängt sich hinter den Schreibtisch, schaltet den Computer an. Er ist zufrieden. Eine Zufriedenheit, die von der Vorfreude kommt und vom Gefallen an der eigenen Disziplin.
Es ist der erste Tag im neuen Jahr, aber Brôcan ist wie immer am Silvesterabend zu Hause geblieben, er hat unten auf der Couch im Wohnzimmer mit seiner Frau alkoholfreien Sekt getrunken, ist früh schlafen gegangen, um kurz nach fünf wieder aufzustehen. Draußen vor dem Fenster liegt der Garten im Halbdunkel, aber drinnen in seinem Kopf ist es klar, Brôcan fühlt sich bereit für seine gewaltige Unternehmung, bereit für seinen persönlichen Beitrag zur Weiterverbreitung von Weltliteratur.
So berichtet Jürgen Brôcan von diesem Neujahrsmorgen, er kann sich an alles genau erinnern, weil dieser Tag so wichtig war. Wichtig für ihn und wichtig für die Geschichte vom Entstehen eines Buches. Von den Zufällen, Entscheidungen, von Leidensfähigkeit und Vorfreude, die zusammenkommen müssen, damit ein Buch erscheinen kann.
Nicht irgendein Buch. Aber doch nur eins von 400.000 Produkten, die ab Dienstag in den Frankfurter Messehallen präsentiert werden. Jürgen Brôcan hat von diesem Neujahrstag an Walt Whitman übersetzt, den amerikanischen Dichter, seine ganze Werksammlung "Leaves of Grass", rund 150 Jahre nach der Entstehung. Das ist ein Ereignis für Liebhaber moderner Lyrik. Denn Whitman ist ein Klassiker und in den USA in etwa so bedeutsam wie hierzulande Goethe. Manche Autoren behaupten, dass die eigentliche Entstehung Amerikas - als Schmelztiegel, als Land, das sich immer wieder neu erfinden kann - sich in Whitmans Gedichten vollzog. Aber die Neuübersetzung dieser 700 Seiten umfassenden Sammlung ist auch ein wenig verrückt. Und doch kann man gerade an diesem Beispiel einiges erzählen über die Mechanismen der Literaturwelt.
Eigentlich beginnt die Geschichte schon vorher, im Jahr 2007, sie beginnt im Kopf von Michael Krüger. In der deutschen Literaturszene ist Krüger längst auch eine Legende: einer der letzten wirklich unabhängigen Verleger von Bedeutung. Der von ihm geleitete Hanser Verlag gehört keinem Konzern, sondern ist in Familienbesitz. Die Eigentümerfamilie lässt Krüger weitgehend freie Hand. Im Gegenzug hat er den Verlag zu einer literarischen Marke ausgebaut, an der in Deutschland derzeit niemand vorbeikommt. Botho Strauß und Orhan Pamuk werden bei Hanser verlegt - genau wie Herta Müller, die dieses Jahr den Literatur-Nobelpreis bekommt.
Und doch muss auch so jemand wie Michael Krüger erst einmal den Kaufmann in sich überreden, bevor er sich so ein Projekt wie die Übersetzung Walt Whitmans erlaubt. Krüger benutzt diese Formulierung wortwörtlich: "der Kaufmann in mir". So bedeutsam der Verlag ist, nüchtern betrachtet ist er nur ein mittelständischer Betrieb mit nicht mal 50 Mitarbeitern. Krüger ist klar: Die Übersetzung würde seinem Verlag zwar Renommee einbringen. Aber kein Geld. Rechnen würde sie sich erst ab 10.000 verkauften Exemplaren. Die werden wohl erst zusammengekommen sein, wenn ich tot bin, sagt sich der 65-Jährige.
Es gibt aber auch Zahlen, die dem Kaufmann Mut machen. Die Neuübersetzung des Werks Emily Dickensons, so etwas wie des weiblichen Gegenstücks zu Whitman, hat sich vor zwei Jahren immerhin rund 4.000-mal verkauft. Außerdem steht Hanser gut da. Die Bücher des Autors Rüdiger Safranski verkaufen sich bestens. Der Verlag sitzt in einer Villa im feinen Münchner Stadtteil Bogenhausen, gerade bekommt sie einen modernen Anbau. Wenn man in dem Verlegerzimmer die Fenster öffnet, um zu lüften, dringt der Krach von Baumaschinen hinein.
Und man muss häufiger lüften, denn Michael Krüger ist ein starker Raucher. Sein Arbeitszimmer sieht wie das Klischee eines Verlegerzimmers aus. Bücher überall. Manuskripte. Stapel mit Korrespondenzen. "Lieber Michael", kommt der Besucher, der an dem Tisch Platz nimmt, nicht umhin zu lesen. Und als Unterschrift: "Dein Hans Magnus". Post von Enzensberger.
An diesem Ort wird also über Autorenschicksale entschieden - und darüber, ob aus Ideen Bücher werden.
Herbst 2007. Michael Krüger hört sich in München einen Vortrag der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Helen Vendler an. Sie spricht an diesem Abend über Walt Whitman. Der Germanist Ernst Osterkamp hält die Einführung. Er erinnert daran, dass Whitman einmal fast ein deutscher Dichter war, Anfang des 20. Jahrhunderts gab es hierzulande eine Fangemeinde. Ein regelrechter Kult entstand. Es gab Übersetzungen, aber nie wurde das ganze Werk übertragen. Krüger merkt auf. Es ist einer dieser Zufälle, die mit entscheiden, ob ein Buch entsteht.
In seinem Arbeitszimmer, Zigarette in der Hand, sagt Krüger: "Das alles hat mich an meine Kindheit erinnert." Dann holt er aus. Er habe im Grunde drei Kindheiten gehabt: eine deutsche Nachkriegskindheit; eine französische Kindheit mit Sartre- und Camus-Lektüre; und eine amerikanische Kindheit - im Grunde sei er auch mit den Büchern von Hemingway, Faulkner, Dos Passos aufgewachsen, das alles habe ihn und seine Generation geprägt, noch vor Büchner und Kleist. Whitman gehörte zu diesen Prägungen. Nach dem Krieg war, sagt Krüger, seine Gedichtsammlung eine Bibel für Menschen, die eine neue Demokratie in Deutschland errichten wollten. Jürgen Habermas habe "Leaves of Grass" mal sein "Zauberbuch" genannt.
Und so entschließt sich Michael Krüger, den Kaufmann in sich zu überstimmen und das Zauberbuch neu ins Deutsche übersetzen zu lassen. Jürgen Brôcan, den Einsiedlerkrebs in Dortmund-Dorstfeld, kennt er als Mitarbeiter der Lyrik-Zeitschrift Akzente, die der Hanser-Verlag herausgibt. Krüger gibt ihm den Zuschlag.
Brôcan sagt das mit dem Zauberbuch etwas nüchterner: "Es war immer eines meiner Lieblingsbücher." Der Vertrag, den sie abschließen, sieht ein Gehalt vor, von dem der Verleger selbst sagt: "Leben kann man davon eigentlich nicht." Brôcan kriegt zwar noch ein Stipendium des Landes Nordrhein-Westfalen: 4.000 Euro für vier Monate. Für ein Leben reicht das alles nicht.
Brôcan ist ein scheuer Mann, der schon als Teenager sein Heil dort gefunden hat, wo er sich verkriechen kann: in Büchern. Jetzt sitzt er in einem Reihenhaus voller Bücher, mit einer netten Frau, die er im Internet gefunden hat, und mit einer Katze, die schon lange "Whitmann" heißt. Er ist kein Träumer, er ist leidensfähig, er musste sich mit den Bedingungen dieses Jobs abfinden. "Man lebt einfach sehr, sehr bescheiden, auf geringstem Niveau", knurrt er. "Tja, und es gibt Monate, wo man froh ist, wenn man den Hartz-IV-Satz erreicht."
Das gilt für viele Übersetzer. Nirgendwo werden so viele Bücher übersetzt wie in Deutschland, der Qualitätsstandard ist hoch. Ohne Idealismus und Selbstausbeutung ist in diesem Metier wenig zu machen. Brôcan ist nur ein Beispiel. Ulrich Blumenbach, der gefeierte Übersetzer von David Foster Wallace 1.500-Seiten-Roman "Unendlicher Spaß", hat im Vorspann der deutschen Ausgabe den Satz geschrieben: "Der Übersetzer dankt dem Deutschen Übersetzerfonds, der diese Arbeit mit zwei umfangreichen Stipendien gefördert hat, sowie seinem Vater Arnold Blumenbach, ohne dessen mäzenatische Zuwendungen er die Übersetzung nicht hätte abschließen können."
Brôcan hat keinen Mäzen. Er besorgt sich Sekundärliteratur, ein paar antiquarische Bücher aus Amerika, Whitmann-Biografien, Whitmann-Briefe, er kauft nicht zu viel ein. Er muss das alles selber bezahlen. Er war noch nie in Amerika, er würde gerne mal hinfahren, schließlich übersetzt er gerade einen der wichtigsten amerikanischen Lyriker. Aber für so eine Reise reicht sein Budget nicht.
Brôcan hat mit ein paar Lieblingsgedichten aus dem Spätwerk angefangen, das Übersetzen macht Spaß. Er liest den Text, schlägt einzelne Wörter im Wörterbuch nach, versucht die Verse so zu übersetzen, dass sie auch im Deutschen klingen. Im besten Falle funktioniert der fertige Text auch in der anderen Sprache als poetisches Stück.
Das Arbeitspensum ist irrsinnig. Nicht nur das Geld, auch die Zeit beginnt Brôcan bald durch die Finger zu laufen. Ende des Jahres 2008 möchte er fertig sein. Er rechnet sich aus, dass er jeden Tag zehn Seiten aus dem Original übersetzen und druckfertig machen muss. Zehn Seiten! "Dabei ist das Poesie! Das ist rhythmisch, zum Teil sogar metrisch!", ruft Brôcan. "Das kann man nicht einfach so runterübersetzen wie einen Krimi." Die Stimme überschlägt sich fast. Das Ganze droht außer Kontrolle zu geraten.
Dazu kommt, dass seine Frau Kerstin zu dieser Zeit arbeitslos ist. Dazu kommen noch die Damen vom Jobcenter in Dortmund. Sie erklären Brôcan, dass er mit seiner Frau "eine Bedarfsgemeinschaft" bildet. Dass sie ihn nötigen können, eine besser bezahlte Stelle anzunehmen. Die Damen sind höflich, aber es ist klar, dass sie sein Whitman-Projekt ein wenig skurril finden. Brôcan ist für sie ein exotischer Fall. Immerhin kann er sie überreden, mit der Arbeitsvermittlung bis zum Abgabetermin seines Manuskripts zu warten. Die Damen vom Jobcenter ist er damit erst mal los. Aber es ist klar, dass es Probleme geben wird, wenn er mit Whitman nicht rechtzeitig fertig wird.
Brôcan fährt ein paarmal in die Unibibliothek nach Göttingen. Dort haben sie interessante Bücher mit Whitman-Briefen, die benötigt er für den Anmerkungsteil. Göttingen ist ein guter Ort, denn er kann da bei seinen Eltern übernachten, er muss kein Hotel bezahlen. Er ist nervös. Das Geld geht ihm aus. Brôcan arbeitet jetzt auch sonntags. Der Bildschirmschoner auf seinem Computer begrüßt ihn: "Hallo Liebster", und Brôcan lebt fast nur noch für die Übersetzung.
Es muss ein seltsames Gefühl sein, in so beengten Verhältnissen zu arbeiten und Whitman zu übersetzen - ein Buch, in dem die Weite Amerikas wirkt. "Ich feiere mich selbst und singe mich selbst / Und was ich mir anmaße, sollst du dir anmaßen / Denn jedes Atom, das mir gehört, gehört genauso gut dir", so beginnt ein Kapitel. Ein lyrisches Ich macht sich emphatisch auf, das Menschsein zu feiern und zugleich den Amerikanern, diesem seltsamen, aus aller Welt zusammengewürfelten Volk, eine Stimme zu geben. The Voice of America. Seine Emphase besteht darin, die Möglichkeit freier Selbstbestimmung mit dem Experiment einer nationalen Selbsterschaffung zu verbinden. Der amerikanische Traum, seitdem so oft dekonstruiert und so viel gescholten, bei Whitman kann man ihm beim Entstehen zusehen. Bei ihm geht es um die Frage: Was fangen wir mit der Freiheit an, die die amerikanischen Gründerväter uns verschafft haben?
Während Michael Krüger seine amerikanische Prägungen in sich wachruft, während Jürgen Brôcan Whitmans Selbsterschaffungspathos im Deutschen noch einmal neu erschafft, geschieht etwas Unvermutetes: Die USA erfinden sich zeitgleich in der Realität noch einmal neu - ein junger, schwarzer Politiker bewirbt sich um das höchste Amt im Staat. Wer den Jubel und die damit zusammenhängenden überbordenden Hoffnungen verstehen will, der sollte Walt Whitman lesen. Fast scheint es, als antwortete die Realität auf die Lyrikbegeisterung Michael Krügers und Jürgen Brôcans.
Im November wird in den Vereinigten Staaten Barack Obama zum Präsidenten gewählt. Brôcan sitzt mit seiner Frau auf der Couch und verfolgt das Geschehen im Fernseher mit. Er meint: "Ich finds toll, dass jetzt ein Schwarzer Präsident ist. Das ist zumindest ein Punkt, in dem sich Whitmans Vorstellung von einer demokratischen Gesellschaft einlöst."
Oktober 2008. Brôcans Frau findet einen neuen Job. Sie muss jeden Tag 45 Kilometer zur Arbeit fahren. Mit dem Auto. Es wird Winter, und es schneit andauernd, die Straßen sind glatt.
Brocan sagt heute, dass es schlimm war. Er saß zu Hause am Schreibtisch und machte sich Sorgen. Wenn er bei Whitman Stellen las, die die Schönheit des Todes besingen, kamen ihm fast die Tränen. Manchmal brach ihm der Schweiß aus von einzelnen Versen. So weit drin war er schon im Text. So weit runter war er schon mit den Nerven.
Nach seinem täglichen Pensum telefonierte er jeden Tag fast vier Stunden mit dem Lektor. Im Garten schoss das Unkraut. Der Nachbar guckte böse. Brôcan bekam Zahnschmerzen.
Er machte weiter. Bevor er den Lektor anrief, schluckte er Schmerztabletten. Die Wände seines dunklen Zimmers schienen näherzurücken. Vom emphatisch besungenen Amerika bis zu den vermaledeiten Zahnschmerzen - all das gehört zu diesem Buchprojekt.
Der Lektor heißt Kristian Wachinger. Er ist der Mann, mit dem Brôcan täglich konferiert hat, das Bindeglied zwischen der Villa in München-Bogenhausen und dem Reihenhaus in Dortmund-Dorstfeld. Wachinger sieht asketisch aus. Während der Verleger vom Kaufmann in sich spricht, spricht Wachinger von dem "Handwerker in mir". Sein Arbeitszimmer in der Hanser-Villa ist vierzehn Quadratmeter groß, mit der Anmutung eines verzweifelten Kampfs gegen eine Brandung aus Text- und Papiermassen. Wachinger hat immer verschiedene Projekte in der Mache. Er ist ein Canetti-Fachmann und der Lektor von berühmten - und Geld bringenden - Autoren wie Heinz Schlaffer und Rüdiger Safranski. In einem der vielen Regale stecken Zettel mit Autorennamen, unter jedem befindet sich stapelweise Papier. Das sind die Bücher, die gerade im Werden sind.
Wachinger ist ein zurückhaltender Mann. Aber wenn man sich mit ihm über Bücher unterhält, spürt man schnell: Da ist etwas, das ihn antreibt. "Man muss eine Zeit lang total Feuer fangen und ein Stück weit mit den Autoren leben", sagt er. In den Telefonaten mit Brôcan hat er tausende einzelner Textstellen durchgesprochen. "Um schreiben zu können, muss man als Autor einen gewissen Überdruck in sich erzeugen. Als Lektor muss man das kanalisieren und, wenn es nottut, auch wieder beschneiden." Wachinger arbeitet am Computer, aber auch noch mit Bleistift und Radiergummi. Manuskripte breitet er auf seinem Tisch aus, um zu entscheiden, ob jeder Abschnitt am richtigen Platz steht - wie Rädchen, die perfekt ineinandergreifen. Sein Lektorenzimmer hat etwas von einer Uhrmacherwerkstatt.
Dezember 2008. Eine erste Version der "Grasblätter" ist fertig. Nun muss Jürgen Brôcan das Manuskript noch überarbeiten, korrigierte Seiten prüfen, er muss mit der Setzerin das fertige Layout diskutieren, muss den Anmerkungsteil abschließen. Die Papierstapel wachsen. Es dauert alles länger, als Brôcan gedacht hat.
Er guckt aus dem Fenster auf die leere Kinderrutsche im Nachbargarten, seine Füße scharren über den braunen Polyesterteppich, er wirkt irgendwie verletzt, wenn er sagt: "Da platzt einem schon manchmal der Kopf".
Als Brôcan die letzte Fassung nach München schickt, ist es April geworden, vier Monate später als geplant. Aber er hat es geschafft. Er sagt: "Ich war fix und fertig, einfach völlig kaputt. Ausgelaugt, auch körperlich." Ein Schrotthaufen.
Brôcan und seine Frau haben die Vollendung des Abenteuers nicht gefeiert, sie sind nicht in Urlaub gefahren, haben keine Flasche Sekt geköpft. Sie haben eigentlich überhaupt nichts gemacht. "Ich bin ein nüchterner Mensch", erklärt Brôcan. "Gefreut haben wir uns schon, dass es zu Ende war", meint Brôcans Frau Kerstin. Die zwei sitzen auf der Couch. Ein gewaltiger Katzenkratzbaum versperrt die Sicht auf den Garten.
"Das Eintauchen in einen Text ist schwierig", sagt Wachinger, der Lektor. "Das Auftauchen sicher auch." Er hat in seinem Arbeitszimmer die Notizen und Ausdrucke, die die verschiedenen Arbeitsschritte der Übersetzung dokumentieren, zu zwei 40 Zentimeter hohen Haufen geschichtet. Bald werden sie entsorgt, um Platz zu schaffen für neue Manuskripte.
Michael Krüger, der Verleger, sagt: "Als das Buch kam, habe ich vor Freude darüber gestrahlt. Dass ich das noch erleben kann!" Er macht sich wohl Gedanken darüber, was dauerhaft bleiben wird von seinem Tun. Diese Übersetzung könnte dazugehören. Der Verleger zündet sich eine Zigarette an, steht einmal auf, setzt sich wieder hin. Dann sagt er: "Der Stolz auf das Buch ist größer als der Schmerz über das Geld, das man dabei verliert."
Brôcan sitzt in seinem Arbeitszimmer in Dortmund-Dorstfeld, im Bücherregal steht ein Teller mit Mandelhörnchen. Seit die Übersetzung fertig ist, hat er ein paar Gedichte geschrieben. Zum Runterkommen. Er verfasst manchmal Rezensionen, nichts, das viel Geld bringt. Es gibt eine nagende Erwartung in seinem Kopf, die Hoffnung auf einen Übersetzerpreis. Er weiß, dass er diesen Preis vermutlich nicht bekommen wird.
Zur Buchmesse wird Jürgen Brôcan nicht fahren. Er ist nicht der Typ, der auf Partys geht. Aber seine Übersetzung wird da sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung