Schülerdemos: Null Punkte fürs Demonstrieren
Schülern aus Niedersachsen, die am Mittwoch für eine bessere Bildungspolitik auf die Straße gehen wollen, drohen Repressalien. Welche, entscheiden die Schulleiter, nicht das Kultusministerium
Schüler aus Niedersachsen, die am Mittwoch dem bundesweiten Aufruf zu Demonstrationen für ein besseres Bildungswesen folgen, müssen mit Repressalien rechnen. Turbo-Abitur, überfüllte Klassen, miserable Ausstattung in den Schulen - Grund genug zum Demonstrieren gibt es auch an Niedersachsens Schulen. Allein zwischen Ems und Elbe wollen morgen in zehn Städten rund 20.000 Schüler für die Demonstration unter dem Motto "Bildungsblockaden einreißen" auf die Straße gehen. Diese Zahl schätzt Patrick Orth vom Landesschülerrat.
Und bedauert, dass es zu unentschuldigten Fehlstunden im Zeugnis kommen könnte: "Das hängt davon ab, welchen Lehrer man hat." Die Mehrzahl der Pädagogen befürworte, "dass die Schüler vom Recht, gegen die miserable Bildungspolitik zu protestieren, Gebrauch machen", sagt der 19-jährige Sprecher des Landesschülerrates.
Vielerorts dürften Schulleiter jedoch Entschuldigungen der Eltern für die Teilnahme ihrer Kinder an der Demonstration nicht akzeptieren. "Einige Schulleiter verweigern eine Beurlaubung und drohen bereits jetzt mit null Punkten bei versäumten Klassenarbeiten, ohne die Chance einer Ersatzleistung", sagt die Braunschweiger Elternrätin Regina de Rose. Eltern dürften es "nicht unwidersprochen hinnehmen", wenn Schüler verunsichert würden und man das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschneide, findet die Stadtelternrätin.
Viele sehen in Sanktionen eine schärfere Gangart gegen das Recht auf Protest. Noch bei einer Schülerdemonstration in Oldenburg im Juni habe es keine Sanktionen gegeben, sagt Orth. Und so riefen die Grünen bereits in der vergangenen Woche die Landesregierung zu mehr Toleranz gegenüber demonstrierenden Schülern auf. Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung müssten respektiert werden. Die Landesschulbehörde dürfe die Schulleiter nicht "einnorden", die Teilnahme an der Demonstration nicht zu dulden, finden die Grünen. Die Lehrergewerkschaft GEW sprach am Montag von einem "reduzierten Politikverständnis", die Linke hat das Thema auf die Tagesordnung des Landtags gesetzt.
Das Kultusministerium betonte dagegen erneut, mit "Einnorden" habe das nichts zu tun. Gültig sei ein Erlass von 2007, nach dem die Schulleiter entscheiden sollten, wie sie mit dem Recht auf Protest umgehen wollen, sagt Sprecher Stefan Muhle. Auf diesen Erlass sei vor der Demonstration im für Lehrer zugänglichen Intranet hingewiesen worden. "Grundsätzlich", heißt es in dem Papier, rechtfertige die "Teilnahme an Demonstrationen nicht das Fernbleiben vom Unterricht und somit auch keine Beurlaubung vom Unterricht". Nur "im Einzelfall" habe das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Vorrang gegenüber dem staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Und: Wenn jemand ohne Beurlaubung schwänze, müsse dies als unentschuldigt gewertet werden.
Als Empfehlung gegen die Demonstration wertet Stadtelternrätin de Rose diesen Erlass. Sie klagt sogar darüber, von der örtlichen CDU-Landtagsabgeordneten gewarnt worden zu sein, sich "vor den Karren einer linksradikalen Organisation spannen zu lassen". Damit ist offenbar die Linksjugend Solid gemeint. Die Jugendorganisation der Linkspartei hatte zur Demonstration aufgerufen. Und hatte noch vor kurzem gegen Ressortchefin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) unter dem Titel "Ihre Bildungspolitik kotzt uns an, Frau Kultusministerin" gewettert.
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