Schüler trauern um Ayse Özkaraca: Von ganzem Herzen Lehrerin
Nach dem Tod der Lehrerin Ayse Özkaraca steht die Aziz-Nesin-Grundschule unter Schock. Die Kinder verarbeiten ihre Trauer in Briefen: an die Getötete, ihre Familie und ihren Ehemann, der sie erschoss.
"Hart, aber herzlich", lautete die Überschrift des Porträts, das in der taz im Juli über die aus der Türkei stammende Lehrerin Ayse Özkaraca erschien. Der Titel gefiel ihr nicht: "Was ist denn hart an mir?", fragte sie mich, die Autorin des Porträts, später. Hart, das passte nicht zu ihr, fand Ayse. Und hatte Recht: Denn sie verband den Begriff nicht mit pädagogischer Strenge, sondern mit Kälte, Emotionslosigkeit, Unnahbarkeit - und davon war sie unendlich weit entfernt.
Herzlich dagegen - das Wort traf sie besser. Seine türkische Entsprechung, "yürekli", wäre im Deutschen mit beherzt, kühn und tapfer wiederzugeben - wörtlich übersetzt bedeutet es "mit dem Herzen". Ayse Özkaraca war mit dem ganzen Herzen Lehrerin: engagiert, couragiert, geliebt und bewundert von SchülerInnen, Eltern und KollegInnen. In ihrem Privatleben musste die Mutter zweier mittlerweile erwachsener Töchter immer wieder große Herausforderungen bewältigen: Die Scheidung von ihrem ersten Ehemann, dem sie nach Deutschland gefolgt war, den Wiedereinstieg in den Beruf als alleinerziehende Mutter. Auch das meisterte sie beherzt.
In ihrer vor drei Jahren geschlossenen zweiten Ehe mit einem Istanbuler Unternehmer glaubte sie endlich ihr privates Glück gefunden zu haben. Alle Ferien verbrachte die 51-Jährige bei ihm und schmiedete bereits Pläne für ein späteres Leben in der Türkei. Am vergangenen Wochenende wurde Ayse in Istanbul von ihrem Ehemann erschossen.
Unerklärlich und unbegreifbar ist der Tod der Lehrerin, die von allen Ayse genannt wurde, denen, die mit ihr zu tun hatten. An der Aziz-Nesin-Grundschule, der deutsch-türkischen Europaschule in Kreuzberg, herrschen Trauer und Fassungslosigkeit. Fast von der Gründung der Schule vor knapp 13 Jahren an hat Ayse hier gearbeitet. Ohne sie, ihre Erfahrung und ihren Einsatz wäre die Umsetzung des zweisprachigen Unterrichtskonzepts kaum denkbar gewesen.
In der Eingangshalle der Schule steht ein großes Foto der Lehrerin, versehen mit einem schwarzen Trauerflor. Eine Kerze brennt davor, Kinder, Eltern, KollegInnen haben Blumen, Karten, Stofftiere und Basteleien davor gestellt. Die Kinder haben schon einen Namen für die Trauerecke gefunden: "Ayses Thron" nennen sie sie - Ayse war ihre Königin. "Ayse ögretmenimiz, seni cok seviyoruz" steht auf den Karten: "Unsere Lehrerin Ayse, wir lieben dich sehr". Das Kondolenzbuch, das in der Bibliothek ausliegt, füllt sich erst langsam: Für viele der Eltern und KollegInnen der getöteten Lehrerin ist es wohl noch zu früh, um Abschiedsworte zu finden.
Schulalltag, Unterricht ist vor allem in den zwei Klassen, deren Klassenlehrerin Ayse Özkaraca war, bisher kaum denkbar. Stattdessen schreiben die Kinder Briefe: an die getötete Lehrerin, ihre Töchter, ihre Eltern, auch an den Täter, ihren Mann. Der hat sich nach der Tat in der Nacht von Freitag auf Samstag der Istanbuler Polizei gestellt: Ein Versehen sei der Schuss auf seine Frau gewesen, so lautet seine Darstellung der Tat. Er habe sie bei einem Streit mit der Waffe "nur einschüchtern" wollen, nicht gewusst, dass diese noch geladen sei. "Wieso muss man überhaupt jemandem mit einer Pistole Angst machen?", heißt es in den Briefen der Kinder. Oder: "Hast Du auch an uns gedacht oder an ihre Töchter?"
Doch es wird auch mal gelacht in den Klassen, getobt, gespielt: Das Geschehene ist für die Kinder so unfassbar, dass sie es ab und zu vergessen, zu ihrem alten, gewohnten Alltag zurückkehren müssen, um den neuen aushalten zu können: den Alltag ohne Ayses tiefe laute Lehrerinnenstimme, ohne ihre Umarmungen, Ermahnungen, ihren Tadel und ihr Lob, ihr genaues Wissen um die Schwächen und Stärken jedes einzelnen Kindes hier. Auch meiner Tochter geht es so: "War es schlimm, dass ich jetzt gelacht habe?", fragt sie dann manchmal erschrocken. Nein. Das ist normal und gut. Und auch traurig: Denn gerade beim Gelächter fällt der Klasse dann wieder auf, das Ayses tiefes, volles Lachen fehlt.
Noch etwas anderes liegt den Kindern der sechsten Klasse auf der Seele: In knapp vier Wochen sollen sie die Zeugnisse bekommen, die für ihre weitere Schullaufbahn ganz besonders wichtig sind - die mit den Oberschulempfehlungen. Nicht zuletzt Ayse selbst hat sie immer wieder dazu ermuntert, in diesem Schulhalbjahr ganz besonders fleißig zu sein. "Was wird nun?" - für die Kinder ist die Frage wichtig. Sie stellen sie dennoch nur leise.
Ja, wie geht es weiter? Für Schulleiterin Demet Siemund, gerade ein halbes Jahr im Amt, ist es traurige Pflicht, sich dieser Frage zu stellen. Für die junge Direktorin war die Unterstützung erfahrener LehrerInnen wie Ayse Ermutigung, den Schulleitungsposten anzunehmen. Jetzt kümmert sie sich, selbst noch unter Schock, dennoch schon darum, wie die Lücke, die die unersetzliche Kollegin hinterlassen hat, zu füllen wäre. Denn die Kinder brauchen das: Fortgang, Bewegung, Alltag, kein Verharren im Schock. Nach dem wichtigen Zeugnis, so war der Plan, wollten sie das letzte gemeinsame Halbjahr mit Ayse, die sie seit der Vorschule unterrichtet hat, genießen: mit einer großen Klassenfahrt, vielen Ausflügen, besonderen Projekten und zum Schuljahresende einem richtigen Abschlussball. Nun wird es erst einmal eine Trauerfeier geben.
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