: Schuberts Schmerzenswerk in der Zange der Technik
■ Zur Eröffnung des Musikfests dirigierte Ashkenazy vor Tausenden von Kaffesäcken und Menschen
Presseplatz Reihe 41: da ich für das Eröffnungskonzert keinen Feldstecher bei mir hatte, rutschte ich nach vorn. Aber da war ich beim Eröffnungskonzert des Musikfestes auch nicht unbedingt gut bedient, denn der Klang im muffelig riechenden Jacobs Terminal kam mitnichten direkt auf uns zu, sondern wurde sogar vorne von den Lautsprechern übertönt, die ja 5000 Menschen erreichen mußten. Die Folge war Pauschalität, Dumpfheit, Baßlastigkeit, so daß es vielleicht sogar ungerecht ist, über die Interpretation zu sprechen. Versuchen wir–s trotzdem, obschon auch diese Erfahrung wieder zeigt: es funktioniert einfach nicht mit den Lagerhallen, so einfallsreich das vor Jahren für die anfängliche Entwicklung des Musikfestes auch gewesen sein mag.
Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin feierte an diesem Abend sein 50jähriges Bestehen. Früher war es als Radio-Sinfonie-Orchester Berlin – u.a. unter der Leitung von Ferenc Fricsay und Lorin Maazel – bekannt und berühmt, seit der Existenz des Deutschlandradios nennt es sich seit 1991 Deutsches Symphonie-Orchester Berlin. Was es bringt, ist eine sehr gute, aber auch eigentlich normale Orchesterqualität mit zum Teil excellenten Bläsern. Mit weiteren drei Auftritten im kommenden Winter zusammen mit dem NDR-Sinfonie-Orchester wird es sicherlich dafür sorgen, daß dem Philharmonischen Staatsorchester ein wenig Konkurrenzwind um die Ohren bläst: Es kann uns nichts Besseres passieren, als daß die Szene kräftig belebt und durchmischt wird.
Entsprechend durchmischt waren die – eben eigentlich nicht recht beurteilbaren – Interpretationen. Behäbig bis schwülstig, aufgedonnert bis forciert, virtuos und mitreißend: seltsam unentschieden und glatt, mit viel zu langsamen Tempi klangen sowohl Franz Schuberts „Unvollendete“als auch Johannes Brahms „Erste“. Ausgerechnet Schuberts Schmerzenswerk ist ja beim letzten Musikfest in einer beispiellosen Wiedergabe durch das Orchester „Anima Aeterna“unter Jos van Immerseel gespielt worden, von dessen sprechender Geste. Von dessen erregenden Brüchen konnte man hier noch nicht einmal träumen. Vladimir Ashkenazy, neben Emil Gilels und Svjatoslav Richter einer der fesselndsten russischen Pianisten, ist als Dirigent eher ein Mann des Herzens als der Struktur: sein Dirigieren wirkt eher engagiert als professionell, seine unkonventionelle Körpersprache ist voll dem gesuchten Ausdruck verpflichtet. Vielleicht mußte Ashkenazy auch so forcieren – das Finale des letzten Satzes der Brahms-Sinfonie wirkte eher als Hetze denn als eine peitschende Stretta – , weil es im Saal zusätzliche Probleme gab: ein leises, aber durchdringendes Dauerrauschen, dessen Herkunft ich nicht orten konnte und das sich erbarmungslos in jeden Pianissimoklang drängte; außerdem fiel viel Regen, dessen Knall- und Rauscheklänge nicht zum ersten Mal Gäste beim Musikfest waren.
Abgesehen von dem Unsinn, ein Live-Konzert zeitgleich in der Fernsehfassung über riesige Bildschirme laufen zu lassen, war die Kameraführung dieses Mal excellent aufmerksam und von direkter Musikkenntnis getragen. Ein bremisches Event, in keiner Weise typisch für den sonstigen Musikfeststil, zu dem die vielen, die kamen, am Ende ein unerwartetes Wunder zu hören bekamen:
Als Zugabe und als Ehrung für den verstorbenen Georg Solti spielte das Orchester das f-Moll-Moment Musicale von Fanz Schubert: so zart, so schön, so differenziert, so empfindsam artikuliert, daß die aufgedonnerten vorherigen Interpretationen – zu denen noch Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre gehörte – vielleicht doch nicht nur den gruseligen Saalumständen zuzuschreiben waren.
Ute Schalz-Laurenze
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