Schröders Retter : KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE
Die Schröder-SPD steckte bis vor kurzem in einem unlösbaren und leider auch noch für jedermann sichtbaren Dilemma. Schröder hatte die Wahl zu einem Plebiszit über seine Agenda 2010 gemacht – und die meisten SPD-Wähler hielten sie für falsch und unsozial. Wie aber sollte die SPD im Wahlkampf die eigene Klientel gegen die Ungerechtigkeiten von Schwarz-Gelb mobilisieren, wenn die Wähler ähnliche Ungerechtigkeiten bei der Schröder-SPD vermuten? Und wie sollten Wechselwähler gewonnen werden – wenn noch nicht mal das eigene Milieu der Sozialdemokratischen Partei glaubt?
Dieses Dilemma existiert noch immer. Die SPD wird zwischen Sozialstaatsbewahrern und Abrissunternehmern zerrissen. Allerdings erscheint das sozialdemokratische Drama derzeit von etwas anderem überblendet zu sein. Die SPD kann wieder hoffen, die Wahl mit Anstand zu verlieren – und nicht mit einem Katastrophenresultat weit unter 30 Prozent in die Opposition geschickt zu werden.
Warum? Gnädig verdeckt erscheint das SPD-Dilemma, seit Paul Kirchhof die Bühne betreten hat. Anfangs wurde er von den Merkel-treuen Medien, also fast allen, als der lang erwartete Retter gefeiert, der uns endlich aus dem Würgegriff des Steuerstaates befreit. Seitdem wollte er mal das Rentensystem abschaffen, tags drauf allerdings doch nicht, dann redete er von 418 Steuervergünstigungen, die er als Finanzminister abschaffen werde. Veröffentlichen will er diese Liste allerdings nicht. Nicht einmal Merkel kennt sie.
Paul Kirchhof ist in der Tat ein Retter – und zwar der SPD. Ihre zitternde Verunsicherung ist gewichen. Die Sozialdemokratie weiß noch immer nicht, wie viel Sozialstaatsabbau sie ertragen kann. Aber sie weiß, dass sie gegen Kirchhofs Einheitssteuer ist, die den Haushalt handstreichartig ruinieren würde. Und das entlastet das sozialdemokratische Gemüt – nur für einen Moment, aber immerhin.
Zudem muss Merkel tagtäglich erklären, was ihre Lichtfigur mit seinen Rätselvorschlägen wohl gemeint haben könnte. Dabei schien die Union lange unverletzlich zu sein. Schönbohms und Stoibers Ostbashing, Merkels Brutto-Netto-Irrtum – nichts konnte ihr schaden. Seit Paul Kirchhof, dessen Steuerideen übrigens auch alle CDU-Länderfinanzminister rundweg abgelehnt haben, im Spiel ist, hat Schröder endlich den wunden Punkt der Union gefunden.
Seit Schröder auf Kirchhof zielt – Sonntag im TV, gestern im Bundestag –, ist es vorbei mit Merkels Unverwundbarkeit. Meist nimmt sie Kirchhof dann in Schutz und wirkt zur Kenntlichkeit entstellt, kühl und rücksichtslos wie Maggie Thatcher. Dass Merkel nun die Gewerkschaften lobt, ist nur ein durchsichtiges Manöver.
Rot-Grün hat die Wahl verloren, noch immer. Ihr Sieg 2002, nicht zu vergessen, war ein historischer Zufall, weil die PDS von der Flut und dem Irakkrieg aus dem Parlament gespült worden war. Neu ist, dass die Union die Wahl längst noch nicht gewonnen hat.