■ Schröders Regierungserklärung hat eine klare Botschaft: Ein kraftvolles Sowohl-Als-auch
Wenn Wolfgang Schäuble die Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder als Enttäuschung bezeichnet, dann erfüllt er damit lediglich die Pflichtübung eines Oppositionsführers. Recht hat er trotzdem. Mehr als zwei Stunden lang irrlichterte der neue Regierungschef zwischen detailverliebter Akribie und nichtssagendem Pathos hin und her. Herausgekommen ist ein bestenfalls nebulöser Politikentwurf. Spätestens gestern hätte Gerhard Schröder die Konturen schärfen müssen. Statt dessen ist weiter unklar, für welche Ziele er eigentlich steht.
Alles scheint in seinen Augen immer genauso richtig oder falsch zu sein wie das Gegenteil. Nichts hat er gegen Eliten, aber es komme eben darauf an, was man unter Eliten verstehe. Angebots- und Nachfragepolitik stehen seiner Ansicht nach nicht im Widerspruch zueinander. Sie stünden nicht für eine rechte oder linke Wirtschaftspolitik, sondern für eine moderne Politik der sozialen Marktwirtschaft. Aha.
Auch im Bereich der Außenpolitik scheut Schröder den wohlklingenden Gemeinplatz nicht, der sich bei näherem Hinsehen als Unfug erweist. Deutschland habe das Selbstbewußtsein einer erwachsenen Nation, die sich niemandem über- oder unterlegen fühlen müsse. Deutschland fühlt sich niemandem überlegen? Das dürfte in Burundi und Burkina Faso Überraschung auslösen. Und niemandem unterlegen? Hoffentlich doch. Schröder sagt, er wolle es gar nicht verhehlen: Etliche Mitglieder der Regierung seien in der Hochrüstungsphase des Kalten Krieges nicht immer mit allem einverstanden gewesen, was die amerikanischen Partner getan hätten. Schön, dieser Bekennermut. Und jetzt sind sie es? Immer und mit allem? Und wenn nicht, dann will der Bundeskanzler es künftig wenigstens verhehlen? Es ist zu hoffen, daß er nicht gemeint hat, was er da sagte.
Im Wahlkampf ist ihm oft vorgeworfen worden, er lasse es an konkreten Inhalten fehlen. Das hat damals nicht gestimmt, und es gilt auch nicht für seine erste Regierungserklärung. Detailliert hat er die Pläne der Koalition aufgelistet, von der Senkung der Lohnnebenkosten über die Verdoppelung der Investitionen in Forschung und Bildung bis zum Bemühen, die deutsche Belastung im Rahmen der Neuregelung der EU-Finanzen zu verringern. Kein Themenbereich blieb ausgespart, natürlich auch nicht das Versprechen, der Arbeitslosigkeit den Kampf anzusagen. Was der Rede fehlte, waren gerade nicht die Einzelheiten. Es war die verbindende Klammer.
Die Bundesregierung ist um ihre Lage nicht zu beneiden. Weitverbreiteter Überdruß an der alten Regierung hat ihr mindestens ebenso zum Sieg verholfen wie Hoffnungen auf einen Neuanfang. Rot-Grün ist von sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gewählt worden, die jetzt ganz verschiedene Erwartungen erfüllt sehen wollen – und all das im Zeichen leerer Kassen und immer enger werdender nationaler Handlungsspielräume. Für das grundsätzliche Dilemma kann die neue Regierung nicht verantwortlich gemacht werden, wohl aber dafür, wie sie sich ihm stellt. Gegenwärtig sieht es so aus, als versuche sie, möglichst vielen Anliegen gerecht zu werden und niemandem weh zu tun. Dabei kann nicht mehr als halbherzige Flickschusterei herauskommen. Erfolg verspricht nur der umgekehrte Weg: die politischen Prioritäten klar zu definieren und erst dann zu sehen, wie sich diese mit Partikularinteressen verbinden lassen. Wenn es die Koalition nicht einmal zu Beginn der Legislaturperiode wagt, schmerzhafte Maßnahmen zu ergreifen, dann wird sie den Mut dafür um so weniger finden, je näher die nächsten Wahlen rücken.
Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik. Schröder scheint allmählich selbst der Verdacht zu beschleichen, daß er davon bisher wenig Gebrauch gemacht hat. Er ist dafür kritisiert worden, daß es ihm an Visionen mangele. Nun hat er gestern eine genannt: die „ganz und gar unaggressive Vision einer Republik der Neuen Mitte“. Diese „Neue Mitte“ grenze niemanden aus, hat der Bundeskanzler erklärt. Natürlich nicht. Das ist so bei Begriffen, die zugleich alles und nichts besagen. Bettina Gaus
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