■ Schröder will Rußland im europäischen Boot halten – mehr nicht: Warten auf die Nach-Jelzin-Ära
Bahnbrechende Ergebnisse hat der deutsch-europäisch-russische Gipfel in Moskau nicht erbracht. Zugegeben, keiner der Teilnehmer hatte sich darüber im Vorfeld auch irgendwelche Illusionen gemacht. Die neue Phase der Konfusion und Ratlosigkeit beim östlichen Nachbarn erschwert es, längerfristig zu planen und hochgesteckte Ziele anzugehen. Durchhalten ist in Moskau angesagt. Gelingt dies, wäre das schon ein akzeptabler Erfolg. Diesen Eindruck vermittelte zumindest Bundeskanzler Gerhard Schröder, der im Umgang mit dem ungeschlachten Rußland zu mehr Pragmatismus riet. Nach einem Jahrzehnt guter Ratschläge und vieler zweifelhafter Hilfestellungen ist man im Westen schließlich zu der Erkenntnis gelangt, daß das Riesenreich eigenen – den europäischen noch nicht kompatiblen – Gesetzmäßigkeiten folgt.
Insofern leitete der deutsch-russische Gipfel eine neue Etappe ein. Es gilt, möglichen Schaden zu begrenzen und dem gelegentlichen russischen Passagier auf dem europäischen Boot einen Ehrenplatz einzuräumen, damit er nicht über die Reeling klettert und das Schiff in eine Schieflage bringt. Längst ist das unter den westlichen Staatschefs ausgemachte Sache. Ansprechpartner dieses schwerfälligen russischen Kolosses ist bis zu den Präsidentschaftswahlen Premierminister Jewgeni Primakow, der de facto die Amtsgeschäfte von Kreml-Chef Jelzin längst übernommen hat.
Die Emissäre des Diplomaten und ehemaligen Geheimdienstchefs hatten Stimmung und Haltung schon am Vorabend des Moskauer Gipfels in den westlichen Hauptstädten ausgelotet. Zwar gibt es vorerst kein Geld, dafür erhielten sie die Zusage, man erkenne den Diplomaten alter Schule als jene Kraft an, die dem Land zur Zeit ein Mindestmaß an politischer Stabilität sichert – anders formuliert: die Stagnation geschickt verwaltet.
Freilich hatte auch Boris Jelzin noch einmal seinen Auftritt. Die Entourage des Präsidenten leistete alles Erdenkliche, um das sieche Staatsoberhaupt aktiv und gut präpariert zu präsentieren. Während im Hintergrund die Delegationen über die europäische Lebensmittelhilfe an Moskau verhandelten, goß der Kreml-Chef Öl ins Feuer: Hände weg vom Kosovo – rief er dem Westen sinngemäß entgegen. Stilbruch? Nicht in russischer Wahrnehmung. Besser hätte man es gar nicht inszenieren können. Denn auch Premier Primakow sieht keine zwingende Kausalität zwischen internationalem Führungsanspruch und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Nach dem Motto: Arm und trotzdem stolz. Darin unterscheidet sich Rußland deutlich von Europa. Klaus-Helge Donath
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