Schröder inspiriert CDU-Politiker: Röttgen weist Union Dritten Weg
Der CDU-Politiker versucht einen Politikentwurf für die Globalisierung. Die Stichworte holt er sich ausgerechnet bei Blair und Schröder.
BERLIN taz Es gibt eine Stelle in der Standardrede, die Angela Merkel derzeit fast täglich hält, da ist das Unverständnis des Publikums stets besonders groß. "Wir werden stärker aus der Krise herauskommen, als wir hineingegangen sind", sagt sie. Manchmal schweigen die Zuhörer, manchmal geht ein Raunen durch die Reihen. Offenkundig ist stets: Keiner im Saal glaubt an Merkels Parole, jeder denkt, dass es in zehn Jahren schlechter geht - die Frage ist nur, wie viel.
Da wirkt es wie aus der Zeit gefallen, wenn der CDU-Politiker Norbert Röttgen im Titel seines am Donnerstag vorgestellten Buchs behauptet: "Deutschlands beste Jahre kommen noch." Der 43-jährige parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, einer der wenigen Intellektuellen im Bundestag und zugleich für die Zeit nach der Bundestagswahl Anwärter auf höhere Ämter, entwirft darin das Gesamtprogramm einer modernisierten Christdemokratie - sozusagen den ideologischen Überbau für eine Partei, die sich über die längsten Strecken ihrer Geschichte mit dem Erhalt ihrer materiellen Basis zufrieden gab.
Der christdemokratische Weg zwischen Turbokapitalismus und Versorgungsstaat, den Röttgen beschreibt, erinnert bis in die Formulierungen hinein an jenen Dritten Weg, den die europäische Sozialdemokratie vor wenigen Jahren zu entwerfen suchte. Chancengerechtigkeit und Teilhabe, Bildung und Integration sind bei dem CDU-Politiker die Schlüsselbegriffe. Sie waren es schon bei Gerhard Schröder und Tony Blair, bei "New Labour" und "Neuer Mitte".
Identisch sind auch die Stichwortgeber. Auf den Blair-Inspirator Anthony Giddens beruft sich Röttgen ebenso wie auf den Deutschen Ulrich Beck. Eher links von der Schröderschen Sozialdemokratie bewegt er sich mit wiederholten Anleihen bei dem amerikanischen Soziologen-Ehepaar Saskia Sassen und Richard Sennett. Wirklich konservative Intellektuelle, falls es so etwas gibt, sucht man im Literaturverzeichnis vergeblich.
Der Frage, was ihn von Schröder und Blair inhaltlich unterscheide, wich Röttgen bei der Buchvorstellung aus. Stattdessen zählte er auf, was Schröder in der praktischen Umsetzung seiner Reformpolitik falsch gemacht habe - und warum seine Hartz-Reform dem eigenen Postulat einer Gesellschaft, in der die Leistung jedes Einzelnen zähle, nicht gerecht geworden sei. "Die Agenda 2010 war politisch von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil Kanzler Schröder und sein Amtschef Steinmeier sie wie Sozialtechnokraten entworfen und präsentiert hatten", schreibt Röttgen im Buch.
Also alles nur eine Frage der Vermittlung und der handwerklichen Umsetzung? Kann Merkel besser erklären als ihr Vorgänger Schröder? Das war die zweite Frage, der Röttgen am Donnerstag auswich. Nötig wäre es, findet er offenbar. "Die Erklärungs- und Führungslast liegt jetzt bei der CDU", sagte er dazu nur - nachdem die SPD diesem Anspruch nicht gerecht geworden sei.
Also muss es jetzt eine CDU-Kanzlerin versuchen, die doppelt unter Druck steht. Der Wirtschaftsflügel kritisiert die Staatsinterventionen im Zeichen der Krise, der Sozialflügel kann sich so wenig wie die SPD-Linke mit dem Konzept der Aufstiegs- und Leistungsgesellschaft anfreunden. "Bildung ist nicht der Kern der sozialen Marktwirtschaft", kritisierte schon vor Monaten der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, gegen den Röttgen in seinem Buch einige Seitenhiebe austeilt. Historisch gesehen stimmt das. Aufstieg durch Bildung war immer eine linke Idee, während Konservative lieber mit Versorgungsleistungen den sozialen Status quo zementierten.
Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn "mitfühlende Konservative" wie Röttgen oder der gleichaltrige Brite David Cameron zu Vollstreckern der Schröder-Blair-Theoreme würden. Nachdem sich die neuen Sozialdemokraten im Ab- und Umbau des traditionellen Sozialstaats verzehrt haben, müssen nun neue Konservative eigenen Ballast etwa in der Familien- oder Bildungspolitik über Bord werfen. Wie sie selbst daraus hervorgehen, ist offen. Erst recht in Zeiten der Krise.
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