■ Tiefrote und grüne Rathäuser: Schrille Töne
In der Geschichte Berlins spielten die Bezirke immer wieder die Rolle des Aufmüpfigen, Widersachers oder des Korrektivs in der Stadt. Die Profile von Charlottenburg in den zwanziger und von Kreuzberg in den siebziger und achtziger Jahren haben deutliche Spuren in der Landespolitik hinterlassen und die Mentalität der Stadt insgesamt geprägt. Die Rolle des Störenfrieds der Großen Koalition könnte den Bezirksfürsten nun erneut zufallen, wird das Szenario aus sechs oder sieben PDS-Rathausvorstehern und drei bündnisgrünen Bürgermeistern wahr. Allein in den Innenstadtbezirken Mitte, Kreuzberg und Prenzlauer Berg, Tiergarten und Lichtenberg könnte die Macht links außen von der Mitte zum oppositionellen Beinsteller für Projekte des Hauptstadtumbaus, einer konservativen und umweltschädlichen Verkehrspolitik oder bei Plänen zur Privatisierung öffentlicher Einrichtungen werden. Ohne die Willfährigkeit von Senats-Statthaltern mit Bürgermeisterkette wie etwa in Mitte hätte das Milliardengrab aus Bürobauten und Leerstand noch nicht diese Tiefe.
Eine künftige Rolle der Bezirke darf allerdings nicht zur Fundi- Farce oder Anti-Konzept-Art verkommen. Zu groß ist die Chance, daß die 23 Bezirke aus ihrem Blockflötendasein der Senatsmusik heraustreten und selbst den (schrillen) Ton bestimmen könnten. Der Rat der Bürgermeister sollte für die Kommunen zu einem wirklichen Instrument dezentraler Planung und bürgernaher Interessen werden. Die Entmachtung der Bezirke wie bei der Straßenumbenennungsaktion des Verkehrssenators ginge nicht mehr so einfach über die Bühne des bezirklichen Appendix der Großen Koalition. Eine rote und grüne Bezirksmacht könnte die Durchstarter gar vor die Wand fahren lassen. Rolf Lautenschläger
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