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Schriftstellerin über Ex-Jugoslawien„Den Hass nicht akzeptieren“

Die Autorin Jelena Volić pendelt zwischen Belgrad und Berlin. Sie erzählt von ihren Krimis, Diskriminierung und der Rückkehr von getrockneter Paprika.

Die Autorin fühlt sich heute in den neben Berlin auch in Belgrad zu Hause (Archivbild) Foto: ap
Andreas Fanizadeh
Interview von Andreas Fanizadeh

taz.am wochenende: Frau Volić, Sie unterrichten Neue Deutsche Literatur in Belgrad, woher rührt Ihr Interesse für deutsche Sprache und Literatur?

Jelena Volić: Ja, merkwürdig. Aber ich bin deutsche Staatsangehörige, seit fast dreißig Jahren. Ich bin in Belgrad geboren, habe in der Bundesrepublik studiert und promoviert und meinen Sohn zur Welt gebracht. Ich bin von Deutschland aus dann für die Friedrich-Ebert-Stiftung nach Belgrad gegangen und war auch für die Heinrich-Böll-Stiftung tätig. Wahrscheinlich die einzige Person, die gleichzeitig für beide gearbeitet hat; in der Zeit der rot-grünen Regierungskoalition.

Und heute?

Pendle ich zwischen Belgrad und Berlin und arbeite für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an einem Projekt über deutsch-serbische Kulturbeziehungen. Belgrad und Berlin sind für mich sehr nahe beieinander.

Sie verfassen Ihre Kriminalromane zusammen mit Christian Schünemann. Haben sie eine definierte Arbeitsteilung?

Christian und ich kennen uns seit 30 Jahren. Er spricht auch Serbisch, Serbo-Kroatisch, oder wie man es nennen mag. Er ist polyglott, wir vertrauen uns. Ich brauche seine Brille, den Filter, den distanzierten Blick. Ich profitiere von unserer Zusammenarbeit sehr stark.

Recherchieren Sie gemeinsam in Serbien oder im Kosovo, wo Ihr jetziger Roman „Pfingstrosenrot“ aktuell spielt?

Bild: Nathan Beck / Diogenes Verlag
Im Interview: Jelena Volić

Die Autorin: Geboren in Belgrad. Lebt in Berlin und Belgrad.

Das Buch: „Pfingstrosenrot“ ist ihr zweiter Kriminalroman, zusammen mit Christian Schünemann geschrieben. Erschienen im Frühjahr 2016 bei Diogenes, Zürich.

Ja, das machen wir.

Sie haben für Ihre Romane die Privatermittlerin Milena Lukin erschaffen. Was ist das für eine Frau?

Durch Kriminalromane lassen sich komplizierte Sachverhalte spannend und authentisch ausdrücken. Über die Figur der Milena Lukin können wir deutschsprachigen Lesern den Balkan näherbringen. In der Bundesrepublik gab es viele „Gastarbeiter“ aus dem früheren Jugoslawien. Es lag nahe, eine Frau wie Milena Lukin zu schaffen. In Belgrad geboren, in Deutschland gelebt, lassen wir sie als Rechtswissenschaftlerin auftreten und am Institut für Kriminologie internationales Kriminalrecht in Belgrad unterrichten.

Eine realistische Person für Belgrad?

Ich finde schon. Es gibt sehr selbstbewusste und unabhängige Frauen in der serbischen Gesellschaft. Serbien ist auch ein Land der starken Frauen. Ich kenne viele und gerade auch mit diesem internationalen Hintergrund.

Milena Lukin versucht im aktuellen Kriminalroman den Mord an einem serbischen Rückkehrerehepaar im Kosovo aufzuklären. Ein symptomatischer Fall für Politik und Verbrechen in den 2000er Jahren?

Unsere Szenarien beruhen auf wirklichen Verbrechen, die nicht aufgeklärt wurden. Wir benutzen Kriminalfälle und spinnen eine fiktive Geschichte darum, so wie wir uns vorstellen, dass es gewesen sein könnte.

Ausgangspunkt der Handlung sind Betrügereien um EU-Gelder und Immobilien Vertriebener. Eine zwielichtige Rolle spielt dabei das serbische „Kosovo-Ministerium“, gibt es diese Behörde wirklich?

Nicht mehr, es wurde nach und nach herabgestuft. Vom Ministerium, zur Staatskanzlei, zur Agentur und jetzt zu einer Kommission. Um 2010 war es aber noch ein Ministerium im Palast für Jugoslawien. Und da setzt unser Roman zeitlich an.

Sie lassen Ihre Ermittlerin von Belgrad in den Kosovo reisen. Sind Autofahrten mit Belgrader Kennzeichen in den albanischen Kosovo immer noch so riskant, unternimmt man diese im wirklichen Leben?

Man wagt das. Und es ist auch ein Statement. Man darf den Hass nicht akzeptieren. Dieser steckt als Möglichkeit auch in anderen Gesellschaften, die gerade noch ganz friedlich wirken. Das sollte man nie übersehen. Genauso, wie man als Mensch aus Belgrad im Kosovo auf große Gastfreundschaft treffen kann.

Aber nicht nur, wie man in Ihrem Krimi erfährt. Ihre „Helden“ sind nichtnationalistische Serben oder Albaner, die als Privatpersonen Verbrechen aufklären. Haben Sie so etwas wie Sehnsucht nach dem früheren Jugoslawien?

Ja, eine große sogar.

Aber verflucht man es nicht auch in der Rückschau, schließlich ist es doch verantwortlich, für all das, was dann passierte, Nationalitätenkonflikte und Bürgerkriege?

Meine Sehnsucht gilt nicht dem Staatsgebilde. Das hatte offensichtlich seine Fehler. Aber ich habe Sehnsucht nach der Kommunikation mit mir nahestehenden Menschen aus Prishtina, Sarajevo oder Skopje. Der Staatszerfall mündete in Isolation. Man schwingt sich nicht mehr wie früher selbstverständlich ins Auto, um in Prishtina zu Abend zu essen. Unsichtbare Wände wurden hochgezogen, es braucht lange, bis sie wieder eingerissen sind.

Belgrad war eine kosmopolitische Metropole. Wie ist das heute?

Eine Zeit lang war Belgrad natürlich alles andere als ein kosmopolitischer Ort. Das klingt in unserem Roman ja an. Heute hat es sich wieder geöffnet und ist vor allem auch sehr jung. Zeigen sich wieder Autos mit kroatischen Kennzeichen aus Zagreb oder Split im Stadtbild, kann es sein, dass junge Menschen aufstehen und applaudieren. Viele Leute ziehen zu und Belgrad wird wieder zu einer Balkanmetropole, die sie einst war. Vielleicht sogar eine bessere als im Sozialismus. Die heutige Stadtgesellschaft kämpft für Freiheit und Demokratie, will Teil der Europäischen Union werden.

Stigmatisierungen und Minderheitenkonflikte gab und gibt es nicht nur auf dem Balkan. Aber was ich mich bei der Lektüre ihres Romans auch gefragt habe, war: Wie will man denn in der Großstadt Menschen unterscheiden, ob sie serbischer, albanischer, bosnischer oder kroatischer Herkunft sind?

Also auf den Märkten in Belgrad gab es zum Beispiel regional zuzuordnende Besonderheiten. Wer etwa grüne Bohnen, Kastanien oder rote Zwiebeln verkaufte, der oder die kam zumeist aus dem Kosovo. Jahrelang waren diese Stände dann weg. Dann gab es sie auf einmal wieder, Stände mit Kastanien und getrockneten Paprikas. Ich habe einen Händler gefragt: Woher kommen Sie? Er sagte schüchtern: aus Makedonien. Wie sehr mich das gefreut hat! Die älteste Konditorei in Belgrad ist albanisch, viele der alten Belgrader sind ursprünglich albanischer Herkunft. Das Kosmopolitische versuchen wir mit unserem Roman zu beschwören.

Nach all den Auseinandersetzungen und Vertreibungen auf dem Balkan: Wie nimmt man heute in Belgrad die Situation mit den arabischen Bürgerkriegsflüchtlingen wahr?

Im Zuge der Bürgerkriege wurden im früheren Jugoslawien ja viele selber zu Flüchtlingen. Letzten Sommer gab es um den Belgrader Bahnhof viele Menschen aus Syrien und Staaten aus dem Nahen Osten. Aus der Kulturszene haben ihnen viele Junge geholfen, Essen und Ruheräume organisiert. Serbien nimmt einige tausend Flüchtlinge auf. Aber die meisten wollen weiter, nach Norden in die EU. Hier leben ja doch viele in eher ärmlichen Verhältnissen.

Wie werden Ihre Krimis mit ihrer beißenden Gesellschaftskritik in Serbien aufgenommen?

Bislang bringen wir sie lieber nicht in Übersetzung heraus. Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn die sie lesen würden, die wir literarisch angreifen. Vielleicht später einmal.

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1 Kommentar

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  • Das ist überhaupt mal eine sehr interessante Frage: Was halten all die Länder/Staaten, die (zu Recht) die EU als die einzige Chance sehen, trotz aller EU-Krankheiten als selbständiger Staat mit der Hilfe einer Gemeinschaft autark bestehen zu können, von den derzeitigen Auflösungserscheinungen der EU?

     

    Das wäre mal eine Frage, die es für viele Gegenden in Europa verdient, gestellt zu werden.

     

    Meiner Meinung nach ist Europa gerade wie ein Horrorfilm, in dem eine Gruppe von Menschen in ein unheimliches Haus/Raumschiff laufen und die sich dann aus belanglosen und der Situation völlig unangemessenen Gründen streiten und sich dann trennen und die dann einer nach dem anderen von den Monstern/Aliens gefressen werden, während man sich als Zuschauer sagt "ihr Vollidioten, bleibt doch zusammen, das ist eure einzige Chance!". Aber man weiß ja, wie das ausgeht, denn wenn sie zusammenbleiben würden, wäre es ja kein Horrorfilm, oder?

     

    Jaja.