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Schriftsteller Lukas Rietzschel über SPD„Es geht um Identität“

Bestsellerautor Lukas Rietzschel ist jung, Sachse und in der SPD. Im Gespräch erklärt er, wieso das ungewöhnlich ist und was die DDR damit zu tun hat.

„Ich bin ein einfaches SPD-Mitglied“: Lukas Rietzschel in Görlitz Foto: Christine Fenzl
Aron Boks
Interview von Aron Boks

Menschen wie Lukas Rietzschel und ich bezeichnen sich als Ostdeutsche, obwohl sie nichts anderes als die Einheit kennengelernt haben. Wir sind in seiner Heimat Görlitz in Sachsen verabredet. Ich bin im Harz aufgewachsen und kenne namentlich so gut wie jede Straße, die mir das Navigationssystem auf dem Weg dorthin vorliest. In fast allen noch so kleinen ostdeutschen Dörfern werden nämlich der 8. Mai und die Opfer des Faschismus geehrt, der Friede sowieso. Es sind dieselben Straßen, die in der tiefsten sächsischen Provinz nun fast ausschließlich von AfD und NPD, hin und wieder von einem schlichtenden CDU-Plakat behangen sind. Es liegt eine entlarvende Entschuldigung in meinem „Eigentlich voll schön hier“, als ich mit Lukas Rietzschel über den barocken Marktplatz von Görlitz spaziere und er mir erklärt, wieso er genau so einen Satz von mir erwartet hat, warum ich auf meinem Weg hierhin fast kein einziges Plakat „seiner“ Partei gesehen habe, der SPD, und warum es für ihn unabdinglich war, dieser trotzdem beizutreten.

taz: Lukas Rietzschel, du läufst in Zeitungen immer als „junger ostdeutscher Literat UND Sozialdemokrat“ – nervt es dich, dass Medien aus deiner SPD-Mitgliedschaft in Sachsen immer wieder eine exotische Geschichte machen wollen?

Lukas Rietzschel: Ja, das nervt schon. Ich habe dann immer das Gefühl, die hiesige SPD würde als gallisches Dorf gesehen werden, das von Feinden umzingelt wird. Es liest sich ja auch total toll, wenn man annimmt, dass alle um einen herum rechts wählen. Was natürlich nicht stimmt. So entsteht dann eine dramatische Story und manche Journalisten dichten mir dafür sogar einen städtischen Parteivorsitz an. Dabei bin ich einfach nur ein Mitglied im Ortsverein der SPD Görlitz.

Das klingt etwas weniger cool, um ehrlich zu sein.

Das Wahlcamp

Zum ersten Mal konnte die taz für diese Bundestagswahl ein Wahlcamp einrichten, bestehend aus fünf Journalistinnen und Journalisten zwischen 19 und 27. Der Arbeitsauftrag: Themen, Leute, Perspektiven, Benachteiligungen einbringen, die in der regulären Berichterstattung möglicherweise sogar der taz entgehen, speziell die Sicht von unter 30-Jährigen auf Politik und Gesellschaft und ihre Ansprüche und Bedürfnisse. Möglich gemacht haben dieses Wahlcamp die taz Panter Stiftung und die Spenden von Menschen, denen die Förderung von unabhängigem Journalismus wichtig ist.

Ja, aber so ist es nun einmal.

Junge Menschen haben sich vor der Wahl, angesichts der Klimakrise zunehmend bei den Grünen engagiert. Was führte dich dazu, die SPD nicht nur zu wählen, sondern ihr sogar beizutreten?

Als die AfD 2017 bei der Bundestagswahl in Sachsen so viele Direktmandate geholt hat, wurde mir einfach bewusst, dass ich politisch irgendwie aktiv werden und mich engagieren musste. Das ist für mich ganz eng mit einer Parteimitgliedschaft verbunden und da kam wirklich nur die SPD infrage, auch weil mein Bauchgefühl stimmte.

Weil die SPD momentan wie ein Bauchgefühl daherkommt? Könnte von allem ein bisschen sein – grün, links, konservativ?

Nein – es geht dabei um Identität. Meine Eltern kommen aus dem Arbeitermilieu und meine Großeltern haben handwerkliche Berufe gelernt. Du und ich sind mit einem sehr offenen Zugang zu Bildung und Universitäten aufgewachsen, was bei unseren Eltern in der DDR ja noch ganz anders war, wenn sie aus dem Osten kamen. Ich konnte mich bilden und aufsteigen. Diese Möglichkeit verkörpert die SPD für mich wie keine andere Partei. Daher kam dieses Bauchgefühl. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass das offenbar nicht viele Menschen haben.

In deinem neuen Buch „Raumfahrer“ sagt ein Vater aus Sachsen zu seinem Sohn: „Du fällst mir nicht in den Rücken. Du wirst kein Roter“, als wäre sein Sohn bei einem maoistischen Studententreff gewesen, dabei war er lediglich bei einer SPD-Kundgebung …

Ich glaube, auch das hat mit der DDR zu tun. Wenn die SPD heute davon spricht, Politik für „die Arbeiter“ zu betreiben, dann klingt das für einige immer noch nach dem Propagandavokabular, mit dem die SED in der DDR agierte und ja auch offensichtlich nachhaltig Stereotype geschaffen hat.

Immer mehr junge Schriftstellerinnen mit ostdeutscher Herkunft beschäftigen sich mit diesen Stereotypen …

Im Interview: Lukas Rietzschel

Jahrgang 1994, Schriftsteller, geboren in Räckelwitz in Ostsachsen, lebt in Görlitz. Mitglied im SPD-Ortsverein Görlitz. Sein Debütroman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ erschien 2018 und war ein Bestseller, der auch seinen Weg ins Theater fand. Sein zweiter Roman „Raumfahrer“ erschien 2021 und erzählt fiktiv die Geschichte vom Bruder des Künstlers Georg Baselitz – innerhalb eines historischen Geflechts.

Ja, das ist ganz zwangsläufig so. Seltsam wird es, wenn man in Debatten, in denen gerade westdeutsche Intellektuelle, Publizisten und Autoren von „ostdeutschen Schicksalen“ sprechen, in so eine eigenartige Verteidigungsposition gerät. Ich habe mich einmal bei einem Vortrag eines westdeutschen Professors tierisch aufgeregt und ihm irgendein historisches Urteil abgesprochen, als ich dabei an die Vergangenheit meiner Eltern dachte. Mir ist dann später erst aufgefallen, dass die mir wiederum gar nicht explizit von irgendwelchen Schwierigkeiten erzählt hatten, sondern lediglich über das Leben in der DDR gesprochen haben. Trotzdem: Ein Vortrag eines anderen Außenstehenden, darüber wie „ES“ in „DER“ DDR gewesen ist, hat mich provoziert.

Hält vielleicht gerade das Schweigen der Älteren die immer noch existierenden Konflikte zwischen Ost und West aufrecht?

Das kann sein, aber oftmals liegt in diesem Schweigen nicht das Klischee-DDR-Trauma, von dem viele ausgehen, wenn sie von „Ost-Identitäten“ hören. Jedoch glauben einige junge Menschen aus dem Osten, die scheinbaren Konflikte ihrer Eltern lösen zu müssen, selbst wenn sie diese nur erahnen. Und genau dann wird es absurd. Aber auch ich war dieser Überzeugung, habe mich aber inzwischen dagegen entschieden, etwaige Ost-Konflikte meiner Familie in der Gegenwart zu klären.

Trotzdem schreibst du darüber. Deine beiden Romane kreisen um die Themen DDR, Familie und die Fragen einer Generation ostdeutscher Menschen, die die Teilung nicht miterlebt hatten.

Ich glaube, dass das hilft, zu verstehen. Literatur kann im Vergleich zu Filmen, Bildern oder Musikstücken zu einem andren psychologischen Perspektivwechsel verhelfen. Das funktioniert über Wahrnehmung. Denn wenn du etwas liest, dann sprichst du den Text, vielleicht auch nur unbewusst und stumm, mit deiner ganz eigenen Stimme und malst dir aus, wie das Setting aussehen könnte. Und wenn du dann als Schriftsteller von einem Ort und einer Zeit erzählst – zum Beispiel Sachsen in der DDR oder Sachsen heute – dann macht sich ein Leser, der noch nie an diesem Ort war, ein ganz eigenes Bild davon.

Du erwähntest bereits, dass viele Menschen in den neuen Bundesländern möglicherweise ein verzerrtes Bild von der SPD haben. Wieso? Was kann deiner Meinung nach gerade Menschen im Osten an der SPD stören?

Ich glaube, dass dabei auch ein gewisser Symbol-Überdruss eine Rolle spielt, das fängt schon mit dem Rot der Partei an. Und wie vorhin schon gesagt: Ganz bedrohlich wirkt für einige der Gedanke an eine Arbeiterpartei. Überhaupt dieser Begriff: Arbeit. Der ist so ideologie­belastet, dass es den Menschen unangenehm ist, damit in Verbindung gebracht zu werden, weil eben „der Arbeiter“ hier immer auch zur DDR gehört. Einer mit Hammer, Sichel und stets erhobener Faust.

Das mag mit Scholz’ Wahl­erfolg gerade etwas vergessen sein: In der ganzen Republik haftet der SPD dieses aus der Zeit gefallene und alteingesessene Partei-Image an. Vielen scheinen die wirklich konkreten eigenen Themen, außer Arbeit, Löhne und Renten, zu fehlen.

Ich verstehe, dass die SPD auf andere Menschen zunächst etwas veraltet wirkt. Es gibt ja auch längst keine Klassen mehr in unserer Gesellschaft und die vielen sozialen Milieus ändern sich ständig. Auch ist der anzusprechende „Mittelstand“ inzwischen so groß, dass die meisten Menschen darin verortet sind. Nicht wenige mussten dafür aber aus tatsächlichen Arbeitermilieus aufsteigen, oder haben zumindest ihre Eltern dabei erlebt. Und ich frage mich: Wieso kommt die SPD an diese Menschen nicht heran? Es scheint nämlich so, als spreche sie nur eine ausgewählte Klientel an. Dabei will sie ja das Gegenteil! Und um das zu zeigen, muss sie auch den Menschen in der IT-Branche oder in der Wissenschaft verdeutlichen, dass sie zwar nicht den klassischen „Arbeitern“ entsprechen, aber auch gemeint sind, wenn es darum geht, für mehr Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft zu sorgen.

Hat Olaf Scholz es geschafft, dass die SPD jetzt auch im Osten attraktiver werden kann?

Der … nun ja … Erfolg der SPD im Osten muss auch mit Olaf Scholz zusammenhängen. Denn was sich ja gezeigt hat, ist, dass den Wählern gerade sozialpolitische Themen wichtig waren. Und viele Menschen haben selbst hier im Osten die Verantwortung dafür nicht bei der Linkspartei, sondern bei der SPD gesehen.
Dass die Wahl aber gerade hier in Sachsen anders ausgefallen ist, ist bemerkenswert. Unterm Strich kann man sagen, dass fast alle Wahlkreise, in denen die CDU einmal stark gewesen ist, nun an die AfD gegangen sind. Die Stärke der AfD hängt mit der Schwäche der CDU zusammen.

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3 Kommentare

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  • Zum Thema "Klasse" und ihre Aktualität empfehle ich Didier Eribon: Gesellschaft als Urteil.

  • Zitat: „Ich habe dann immer das Gefühl, die hiesige SPD würde als gallisches Dorf gesehen […], das von Feinden umzingelt wird.“







    Womöglich ist die Wurzel dieses Phänomens älter als die AfD. Viel älter. Womöglich liegt sie in der sogenannten „Zwangsvereinigung“ der Ost-SPD und der Ost-KPD zur SED.







    Teile der SPD haben diese „Schmach“ immer noch nicht überwunden. (Auch) Von diesem Trauma profitiert die AfD heute. Nach 1989 hatte die Führung der Union jedenfalls viel weniger Berührungsängste mit „den Ossis“ als die der SPD. Die hat sich von der Union mit ihrer Rote-Socken-Campagne ins Bockshorn jagen lassen - und dann den ostdeutschen Wähler vorgeschoben, der angeblich nicht „reif“ war für eine sozialdemokratische Politik. Diese Prophezeiung hat sich später „selber“ erfüllt. So etwas tun Prophezeiungen ja manchmal.







    Im Übrigen ist Lukas R. nicht alt genug um erlebt zu haben, dass ein Studium in der DDR nicht das selbe bedeutet hat wie ein Studium in der BRD. Die DDR-Führung wollte einen Arbeiter- und Bauernstaat, keine Intellektuellen-Republik oder Meritokratie. Den Unterschied hier auszuführen, reichen meine Zeichen nicht. Fakt ist: Studieren sollten nur wenige Menschen und schon gar nicht die Kinder und Enkel der alten Eliten. Es gab eine Art Quoten-Regelung (Arbeiterkinder vor!). Und weil die Hierarchien flach waren (recht hatte ja immer „die Partei“ und statt „richtigen“ Geld gab es auch für die „Eliten“ ohne West-Verwandtschaft nur Alu-Chips), war studieren auch nicht sonderlich attraktiv.







    Der heutige „sehr offenen Zugang zu Bildung und Universitäten“ verdankt sich den Aufstiegs-Ambitionen früherer West-SPD-Mitglieder. Die alten Ost-KPD-Bosse wollten ihre Klasse gar nicht verlassen. Für sie waren „Studierte“ ein notwendiges Übel, weil sie eine Tendenz zum Widerspruch und zu „Höhenflügen“ hatten und der gewünschten „Einheit des Volkes“ gefährlich werden konnten. Auch diese Prophezeiung hat sich letztlich erfüllt (Mauerbau etc.).

  • RS
    Ria Sauter

    Vielen Dank für dieses interessante Interview!



    Sende herzliche Grüße in das wunderschöne Görlitz. Hoffe sehr, Herr Rietzschel macht neben seiner literarischen Karriere auch noch eine politische in seiner Heimat!



    Kenne die Bücher und schätze sie sehr!