Schriften zu Zeitschriften: Das böse Wort mit W
■ Außenseiter des Popdiskurses: Die mit der Weltmusik tanzen
Daß der Begriff „Weltmusik“ als Gattungsbegriff im Grunde saublöde ist, darüber sind sich (fast) alle einig. Seltsamerweise folgte auf diese naheliegende Einsicht aber bisher kaum eine tiefergehende Reflexion des Phänomens, wenn man von vereinzelten Betrachtungen in musikwissenschaftlichen Fachpublikationen, Womex-Katalogen, aber auch in dieser kleinen Zeitung einmal absieht. Erstaunlich dürftig ist diese Auslese, feiert doch das böse Wort mit W bereits zehnjähriges Jubiläum – und ist aus der Musiklandschaft nicht wegzudenken.
Es ist Außenseitern des populärkulturellen Diskurses, wie es die blätter des informationszentrums 3. welt nun mal sind, vorbehalten, die Diskussion ein wenig voranzutreiben. Tun sie das auch? Jein.
Zunächst einmal rekapituliert der Musikwissenschaftler Steffan Franzen die wechselvolle Karriere des Marketing- Labels „Weltmusik“, das zu Beginn nur Mischformen lokaler Musiktraditionen mit weltmarktkompatiblen Poparrangements wie Ofra Haza und Mory Kante bezeichnete, später aber auch auf allerlei Arten traditioneller Musik übertragen wurde (die auch auf den Namen „Roots“ hören) und zuletzt sogar die Bastionen Folk und Teile des Jazz-Kosmos eingemeindete, um auf diesem Level heute zu stagnieren.
Richtig die Feststellung, daß der gefräßige Begriff Weltmusik Ausdruck einer zutiefst eurozentristischen Sichtweise ist: „Mit dem gleichen Recht könnte ein Indio vom Amazonas ,Es klappert die Mühle am rauschenden Bach‘ als Weltmusik bezeichnen.“
Stimmt, geht aber noch nicht weit genug. Mit dem gleichen Recht könnte derselbe Indio nämlich auch Westbam (Teutonen-Techno), BAP (Kölner Roots) und Gottlieb Wendehals (typisch deutscher Humor) in der Weltmusik-Schublade versenken. Leider ist Franzen nicht konsequent genug – ganz verzichten möchte er dann doch nicht auf das W-Wort.
So fällt er am Ende selbst in die Ethnozentrikfalle, indem er versucht, „wahre Weltmusik“ zu definieren, und als Beispiel ausgerechnet den Brasilianer Carlinhos Brown zitiert, der auf eine solche Klassifizierung wohl mit dem gleichen Unverständnis reagieren würde wie die zuvor von Franzen erwähnte Oumou Sangaré aus Mali. Oder Gottlieb Wendehals.
Aus dem Definitionsdilemma gibt es eigentlich nur zwei ehrenwerte Auswege: Entweder ist alles Weltmusik, was auf dieser Welt Töne von sich gibt. Oder aber es ist, kleinster gemeinsamer Nenner, nur ein bestimmter Stil damit gemeint: Im Studio gezimmerte Pop-Ethno- Fusionen wie Enigma und Deep Forest, die meist nichts anderes sind als aufgewärmter Folklorismus im New-Age-Kleid. Wo dabei die Grenze liegt zwischen einem „Abbild multikultureller Wirklichkeit“, von Transglobal Underground intendiert, und der „Ausbeutung fremder Kulturen“, von Michael Cretu praktiziert, muß letztlich jeder selbst entscheiden. Bei der Entscheidung durchaus behilflich ist die Abrechnung des Musikwissenschaftlers Peter Niklas Wilson mit der die Weltmusik beständig umwabernden „Eine-Welt- Ideologie“, stellvertretend personifiziert durch Joachim Ernst Behrend. Wilson legt den Finger auf die entscheidende Stelle: auf die Machtfrage, und postuliert: „Gerade um die Frage politischer und damit auch kultureller Herrschaft aber geht es, wenn man von Weltmusik redet.“ Dabei läßt der Autor es bewenden, obwohl offensichtlich ist, daß es sich bei der Kategorie Weltmusik in der Regel nur um eine nettere Umschreibung für Dritte-Welt-Pop handelt.
Paradox: Der gleiche Begriff, der zahlreichen zuvor im Weltmarkt marginalisierten Musikern den Weg in die Plattenregale und in bundesweit 70 verschiedene Radiosendungen ebnete, hindert offenbar viele schreibende Kollegen, sich diesen Produkten unbefangen zu nähern. Anderswo haben sich nicht nur Magazine wie Wire, Folk Roots und Straight no Chaser schwerpunktmäßig auf „World“ eingestellt, auch die meisten Mainstream-Medien ziehen mit. Dagegen gibt es hierzulande gerade mal drei Zeitschriften, die diese Musiken überhaupt zur Kenntnis nehmen – die eine kommt aus der Esoterikecke, die beiden anderen vom Jazz.
Wenn man in Musikern aus anderen Ländern einmal nicht in national beschränkter Nabelschau nur den Spiegel bundesrepublikanischer Bedürfnisse sieht, sondern mehr zuhören würde, was sie über ihr Herkunftsland aussagen, dann würde man plötzlich auf eine Art alternatives Korrespondentennetz stoßen. Nutzen kann man dieses Netz allerdings nur mit entsprechendem Hintergrundwissen oder aber mit fachgerechter Unterstützung durch landeskundige Journalisten, die für die nötige Übersetzungsleistung sorgen.
Wie so etwas aussehen könnte, zeigen vorbildhaft kleinauflagige, regionalspezifische Magazine wie die Berliner Lateinamerika-Nachrichten. In ihrer jüngsten Ausgabe finden sich erhellende Berichte über „Provinzpop in Brasilien“, „Salsa als Medizin im perido specialo“ in Kuba und des weiteren ein Porträt des panamesischen Salsastars und Ex-Präsidentschaftskandidaten Ruben Blades. Pop und Politik liegen nicht nur in Südamerika dicht beisammen, und die Beschäftigung mit populärkulturellen Entwicklungen in der vermeintlichen Peripherie ist allein deswegen höchst spannend. Ein derart orientierter Musikjournalismus, der nicht bloß exotischen Medientrends aufsitzt, würde allerdings eine weitgehende Unabhängigkeit von der national operierenden Musikindustrie voraussetzen. Und das ist eine Utopie, die wohl größer ist als die von der einen Welt. Daniel Bax
„blätter des informationszentrums 3. welt“, Juli 1997
„Lateinamerika-Nachrichten“, 277/278
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