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Schriften zu ZeitschriftenMeinungsterror

■ „Ossietzky“ (West) und „Das Blättchen“ (Ost) wollen die „Weltbühne“ beerben

Zwei Wiederbelebungsversuche, an zwei Orten (Berlin und Hannover), schwer seriös: Obwohl die weltberühmte Weltbühne vor fünf Jahren einging, war der Name nicht frei, so daß sich die zwei altlinken Westjournalisten Eckhart Spoo und Ernst Köhler für Ossietzky und die Ostberliner um die Philosophin Marion Kunze und den Historiker Jörn Schütrumpf für Das Blättchen entschieden. Dann brachten sie verschiedene Kooperationsformen ins Spiel, die sie jedoch alle wieder verwarfen.

Letztere wollen nun Forum für die „Ost-Intelligenz“ sein, erstere die Feuilleton-Latte in Gesamtdeutschland wieder auf Ossietzky-Höhe hieven. Die Ostler standen zu DDR-Zeiten in der zweiten Intelligenzler- Reihe. Die Wiedervereinigung betrog sie um ihre Karrierekrönung, und nun sind sie abgewickelt. Die Westler sind dagegen nach wie vor ehrenwerte Professoren oder gewerkschaftlich in Würden.

„Bürger beobachten das Fernsehen“ könnte man beide Initiativen auch nennen, denn die Autoren notieren sich am liebsten „Statements“ von wichtigen, zumeist „rechten“ Personen aus Politik und Medien, um sie scharf zu kritisieren. Damit behaupten sie das „Primat der Politik“, wie es die KPdSU (B) einst vorexerzierte, zumindest die Chefkommentatoren ihrer Zentralorgane, die jede Äußerung nichtsozialistischer Politiker erbarmungslos als tendentiell kriegstreiberisch, massenverelendend oder gar als faschistisch entlarvten.

Mir geht all das – als Rätekommunist – nicht nur am Arsch vorbei, weil mich Biographien in Alltagskämpfen mehr interessieren als Interpretationsgerangel in Machtverhältnissen. Ich halte solch Meinungsstreit von gestandenen Männern und Frauen der Feder auch für wenig hilfreich, weil dabei vernebelt wird, von wo aus jemand spricht.

Wenn Irene Runge – im Blättchen – schreibt: „Trotz meiner Mäkelei hab' ich Berlin gern“, dann schwingt darin für mich noch der unbedingte – nunmehr regional-verkitschte – Wille mit, dem übermächtigen Staat und seinen Sicherheitsorganen mehr zu vertrauen als etwa den persönlichen Freunden und ihren lichten Bestrebungen, wo immer sie „stehen“. So wie die Schreiber noch die gemeinsten Triebkräfte hinter den Aussprüchen ihrer Gegner mitleidlos bloßlegen (Rühe ist in Wahrheit ein Rommel-Remake), gibt es auch bei ihren eigenen Texten ein Unbewußtes (Ubw), das mich wegen der Deklassierung und gleichsam Zwangsentstaatlichung der Ost- Intelligenz dort mehr interessiert als das West-Ubw-Pendant hier (wo ich meine Pappenheimer und vor allem die Pappnasen, die ich selber alle trage, bis zum Überdruß zu kennen glaube).

So schreibt der Ost-Militärforscher Gerd Kaiser im Blättchen über die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee und namentlich über General Tuchatschewski, der dann „eines der 36.761 Opfer des ,großen Terrors‘“ wurde. Nicht die lächerlich kleine Zahl der offiziell zugegebenen Opfer ist hierbei wichtig (der sowjetische Kommunismus hat mindestens 50 Millionen Tote, zumeist in den Lagern des Gulag, auf dem Gewissen. Allein die Vernichtung der lebensunwerten Kulaken kostete 15 Millionen Menschen das Leben. Und was ist mit den Zigtausenden von heldischen Rotarmisten, die als Kriegsgefangene die deutschen Lager überlebt hatten und 1945 sofort wieder in Arbeitslager gesperrt wurden – war das nicht mehr der „große Terror“?). Diese verlogene Zahl – 36.761 – gestand irgendein KGB-Offizieller in der „Tauwetter“-Periode öffentlich ein. Er wollte damit die für den Staat einzig wirklichen Opfer aus der Zeit des „Personenkults“ beziffern: nämlich die ermordeten, aber treu und doof gebliebenen Parteimitglieder.

Aufschlußreich ist heute vor allem aber das eine, letzte Opfer am Ende dieser Zahl: Die „1“ suggeriert die absolute Genauigkeit der staatsterroristischen Täter noch in ihrem zerknirschtesten späten Geständnis: Sauberste Präzisionsarbeit am Gesellschaftskörper – von der chirurgischen Tat bis in die heilende Trauer hinein. Ihre jetzige Wiederholung als Mini-„Fakt“ meint: Nun ist alles in Ordnung, wir bewegen uns auf sicherem Grund, endlich Klarheit und das Ende aller Lügen. Was für eine bescheuerte Fortsetzung der Lüge! Und das auch noch in einer Zeitschrift mit dem Titel Ossietzky, der wegen seiner Reichswehr-Aufklärungen auf Druck der KPdSU in ein deutsches Lager kam.

Für mich als Leser und in all meiner (norddeutschen) Bühnenfeindlichkeit sind diese Weltbühne-Nachfolgungen nichts als Meinungsterror, der ohnehin schon seit langem die Grenze des Erträglichen überschritten hat. Ringen um die „Meinungsführerschaft“ nennt es die Zeit.

Nichts gegen Terror, überhaupt nichts, aber wenn, dann doch induktiven Terror: Erst die Mittel heiligen den Zweck! Das gilt auch für die stilistischen Mittel. Sonst unterscheidet sich unsere Arbeit doch überhaupt nicht von den Anschlägen mieser kleiner Neonazis und ekelhafter Großschriftsteller bzw. -Verleger.

Gerade die Artikel des Ossietzky-Autors Otto Köhler waren für mich früher oft eine Quelle dieser Weisheit, auch wenn es bei ihm stets eine Überwucherung der (beispielhaften) Wahrheit durch die (Antifa-)Interpretation gab: als Tendenz! Jetzt haben wir es vollends mit zwei „Tendenzblättern“ zu tun. Man könnte sie als Special-Interest-Medien abtun – für die letzten in Reihenhäusern lebenden Kommunisten. Aber leider machen sie uns andere einfach unfroh (sieht man von einzelnen, putzmunteren Kommentatoren aus Pankow, wie etwa Wolfgang Sabath, ab).

Die Berliner Zeitung hat trotz ihrer konzerninduzierten Käuflichkeit dieses anschwellende Problem bereits bündig erfaßt: „100 Jahre J'accuse“. Es sollte aber natürlich „Bacchus“ heißen – und demzufolge auch ganz aktuell: „Helau“! Helmut Höge

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