Schriften zu Zeitschriften: Poptheoretikern den Kopf frei pusten
■ Wer sind wir, wenn alle Pop sind? Die „Beute“ sucht nach neuen Strategien
Ist alles ziemlich schwierig und kompliziert geworden mit dem Pop und seinen angeschlossenen Kulturen. Wurde Pop früher oft gleichgesetzt mit Widerstand und Gegenkultur und höchstpersönlich in Anspruch genommen von einer zumeist kleinen Gesellschaft mit eigenen Zielen und eigener Moral – wir wenigen hier, die wir wissen, gegen die vielen Unwissenden dort –, so führt heute ein jeder das Wörtchen Pop lose im Mund und bezeichnet alles und jeden damit, ob Bussy Bär oder Simon Rattle, Johann Strauß oder Gerhard Schröder.
Was früher guter und richtiger Pop war, ist heute oft falscher, weil eingemeindet in den Mainstream und das Geraune um die neuen Mitten und das neue Berlin. Da will von der „richtigen“ Popseite gegengehalten und, soweit möglich, auch sauber getrennt werden. Nicht zuletzt deswegen mag die dritte Ausgabe der Berliner Halbjahreszeitschrift für Politik und Verbrechen Die Beute mit „Politikbegriffe in der Popkultur“ übertitelt worden sein. Das klingt erst einmal etwas schwammig und kryptisch und erschließt sich auch nicht unbedingt durch die Texte – Hauptsache Politik und Pop werden miteinander in Beziehung gesetzt. Wird aber von den Herausgebern zumindest im Vorwort halbwegs aufgelöst, denn „die Koordinaten sind klar gesteckt, so wir auf mögliche Interventionsformen im popkulturellen Feld keineswegs verzichten“.
„Wir“, das sind die in den letzten Jahren (trotz zunehmender Medienpräsenz) arg in die Defensive geratenen Pop- und Politlinken, deren „soziale Nischen und in den 70ern und 80ern erkämpfte Freiräume heute wieder verschwunden“ sind: „Der individuelle Preis für symbolische und ökonomische Abweichung hat sich in Zeiten von Deregulierung und eines national entfesselten Konkurrenzkampfs deutlich erhöht.“ Und so versucht man in dieser Ausgabe der Beute, diese veränderten Bedingungen für die Pop- und Politlinken abzubilden.
Was auch leidlich gut gelingt. Wenn aber im Hinterköpfchen auch eine gemeinsame Sprache (Politikbegriffe!), möglicherweise auch eine gemeinsame Strategie mit herumgespukt haben sollten, dann ist dieser Versuch fehlgeschlagen. Gemeinsam ist allen Texten, daß ihnen in Sprache, Inhalt und Zielvorgabe nur wenig gemeinsam ist, daß die verhandelten Pop- und Subkulturmodelle, seien sie nun widerständig oder affirmativ, unterschiedlicher nicht sein können: Dogma-Filme hier, deutscher HipHop dort, Kreuzberger Frauen- und Lesbenszene Anfang der Neunziger hier, Münchner Gegenpartykultur dort, Rainald Goetz hier, Blumfeld dort.
Und wenn sich wie jetzt in den späten Neunzigern die neuen politischen Machthaber popkultureller Glamourstrategien bedienen, dann will Pop als gemeinsame Handlungspraxis, Dissidenzreservoir und Form des Widerstands nicht mehr so recht funktionieren: Mark Terkessidis untersucht in seinem Text „Strategien des Augenscheins“ die Images von Gerhard Schröder und Joschka Fischer und die Produktion von „bestimmten ästhetisch inszenierten positiven Selbstbildern“, die es praktisch unmöglich machen, gegen diese Art von – wie Terkessidis belegt – lediglich behauptetem Glamour noch „oppositionellen Glamour“ zu setzen.
Diejenigen, die es trotzdem versuchen, hält Terkessidis für „Nostalgiker“ oder „Leute mit privilegierter Lebensführung“ – und meint damit auch seinen Ziehvater Diedrich Diederichsen, dessen „existentiellem Besserwisser“ in seinem Elfenbeinturm Terkessidis lieber „eine aktive Parteinahme für die Ausgeschlossenen“ entgegenstellt.
Gleich eine Nummer größer stellt sich das auch Andreas Fanizadeh vor in seinem Text über linken Radikalismus, den Krieg und Rot-Grün an der Macht, wenn er schreibt, subversiv sei es, „in den Kern, die Zentren vorzustoßen, die Teilhabe an Reichtum und Entscheidungsgewalt – für alle und auf der ganzen Welt – einzuklagen“.
Was wiederum Klaus Walter nur für eine bedingt gute Idee hält in seiner Beschreibung über die subkulturellen Codes, mit denen ehemalige Frankfurter Spontis wie eben Joschka Fischer oder Daniel Cohn-Bendit zu politischer Machtfülle gekommen sind: „Bis heute hält der schillernde Glanz dieser Illegitimitäten politisch klar denkende Menschen davon ab, die Transformation der ehemaligen Spontilinken zur staatstragenden alternativen Bourgeoisie mit Vokabeln wie Verrat, Renegatentum oder schlimmern zu belegen.“
Nicht leicht ist es da „in diesen Tagen, wo die Realpolitk über Belgrad explodiert ist“ (Mark Terkessidis), den einen gemeinsamen Nenner zu finden, nicht leicht, Strategien zu entwerfen, die allzuoft dann auch nur eins sind: Behauptung. Insofern hat diese Ausgabe der Beute ihre besseren Momente dort, wo Erkenntnis und Analyse regieren: Bei Ulf Poschardt und seinem Vergleich von Kraftwerk und Laibach mit Rammstein, bei Tobias Nagl und Roberto Ohrt und ihrem Text über das Lifestyle-Magazin Park (heißt mittlerweile Park & Ride) und deren folgenlose Verquickung von Pop, Politik und Produkten. Und nicht zuletzt bei Christiane Rösinger, deren unprätentiöser Text über das wahre Leben in und mit der Popkultur dem einen oder anderen Poptheoretiker sicher den Kopf frei pusten könnte.
„Hauptsache, es geht erst mal weiter“ mit neuen Bands, Clubs, Labels, heißt es bei ihr zum Abschluß ihres „Desillusionsromans“, der so richtig auch keiner ist. Schwanengesänge anstimmen ist bei ihr nicht. Genausowenig wie bei den Beute-Herausgebern, die zum Abschluß ihres Editorials schreiben, daß „es gilt, beweglich zu bleiben“. Darauf können sich bestimmt alle einigen.
Gerrit Bartels ‚/B‘ „Die Beute“, Neue Folge, Nummer 3, : Politikbegriffe in der Popkultur. 280 Seiten, 28 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen