Schriften über Zeitschriften: Sound des Beflissenen
■ „Die Beute“ – Zeitschrift für „Politik und Verbrechen“
Lange haben wir beim Bier diskutiert, ob Die Beute – Untertitel „Politik und Verbrechen“ – wirklich ein guter Name für eine neugegründete linksradikale Zeitschrift ist. Arbeitsergebnis: 1. Die Sehnsucht, mal wieder Roß und Reiter zu nennen, ist groß. 2. So naiv kann heute niemand mehr sein, daß er sich den Kapitalismus als atavistischen Beutezug vorstellt, mit lauter dickzigarrigen charakterschweinischen Kapitalisten an der Spitze. 3. Klingt aber trotzdem gut. Es handelt sich bei der Namensgebung offenbar um eine Art Pop-Strategem – aus dem Wissen geboren, daß man heutzutage schon kräftig hinlangen muß, um mit „linken Inhalten“ noch einen Distinktionsgewinn zu erzielen.
Den hat Die Beute leider auch ziemlich nötig. Trotz des berechtigten Anspruchs, das Interpretationsmonopol der fett und satt gewordenen „68er“ (mal wieder) mit hungrigen jungen Analysen von der Platte zu putzen, kommt keiner der politisch argumentierenden Beute-Artikel an den Theorielevel heran, den einige dieser kuriosen Alten in besseren Tagen erreichten. Im Gegenteil: Schwer ächzen die meisten Beiträge unter der Bürde ihrer selbstauferlegten Mission. „Die ,öffentliche‘ Politik und Sexualität der Antiautoritären waren im CDU-Staat nicht bloß Regelverletzung, sie stellten, indem sie sich gegen ,Sicherheit und Ordnung‘ und besonders gegen die Familie wandten, das ,kollektive Berührungstabu‘ (Mitscherlich), das die gesellschaftliche Verdrängung und Abspaltung der Nazivergangenheit ermöglichte, in Frage.“ Uff. Das ist doch Klaus-Hartung-Deutsch. Da hat doch jemand gerade einen besonders komplizierten Gitarrengriff gelernt, den er nun der ganzen Familie vorführen muß.
Dieser Sound des Beflissenen wäre nicht einmal unsympathisch, dröhnte nicht allenthalben so ein leicht religiöses Eifern durch, ein krampfiger Sinnelan, ganz offenkundig dem Bedürfnis geschuldet, nach dem fröhlichen Schippern auf dem offenen Ozean der „postmodernen“ Achtziger endlich wieder in bombensicheren Erkenntnishäfen anzudocken – von Zweideutigkeiten verarschen lassen wir uns nimmer! Und so kommt's dann, daß sich in einer Betrachtung über deutschen Dancefloor der furiose Aufklärungsgestus, der rassistische Momente in der Präsentation von Bands wie Boney M, 2 Unlimited oder Snap ausfindig macht (Stichwort „Dekorneger“), sich mit einem höchst bedenklichen Loblied auf das Echte, Gesunde und Wahre paart: Schwarze, muß man folgern, sind in den Hitparaden bei uns nur gern gesehen, wenn sie das Gütesiegel „autonome Produzenten“ mit sich führen.
Ähnlich super-straight argumentieren Antje Schuhmann und Florian Schneider in ihrem Nachklapp zu (ächz) „Beruf Neonazi“, der mehr eine Art Verdammung darstellt. Gegeißelt wird die „widerwärtige Ambiguität von Distanz und Nähe“, mit der der Regisseur sich an sein Objekt herantastet – also genau das, was in der Wirklichkeit für gewöhnlich Dinge im Wortsinn interessant macht. Das T-Träger- Argument: Durch seinen sträflichen Mangel an Distanz blende Bonengel in seinem „Machwerk“ nicht nur „alle Bezüge auf einen politischen, sozialen oder historischen Kontext“ aus, er verfange sich auch in „Chiffren der Individualisierung“.
Wenn die „Chiffren der Individualisierung“ derart generös gen Orkus gejagt werden, kann es natürlich auch mit dem im Editorial formulierten Anspruch, die „Kommunikationslosigkeit zwischen der politischen und der künstlerischen Opposition aufzuheben“, nichts werden. Tapfer kämpft man sich lesend durch eine Dokumentation des Aufstands in Chiapas, einen Rückblick auf „Besetzen und Besitzen in Zürich“, ein kritisches Referat der Thesen von Judith Butler sowie zwei marxistisch inspirierte Ultrakurzexpertisen der Gründe für den Jugoslawienkrieg (Tendenz: „sozioökonomische Transformationen“). Die autonome L.U.P.U.S.-Gruppe weist immerhin darauf hin, daß gesellschaftliche Gewaltverhältnisse in die „Normalität“ eingebettet sind – insofern auch nur von dort aus mit einem gewissen Mut zu Zweifel und Experiment angegangen werden können –, hält es aber für nötig, dazu noch einmal die Faschismustheorie der Komintern von 1935 (Faschismus als Terror des Finanzkapitals) auszuhebeln.
Entsprechend verloren, sozusagen kontextlos wirken denn auch die Beiträge, die wohl eher die künstlerische Opposition repräsentieren sollen. Diedrich Diederichsen ist mit einer Mikrogeschichte des Hamburger Karolinenviertels dabei – zugleich ein Nekrolog auf drei Tote des letzten Jahres (Hilka Nordhausen, Helmut Salzinger, Frank Zappa); Roberto Ohrt erzählt seine psychogeographischen Theoriegedanken auf einem Spaziergang durch den Hamburger Hafen. Eher zu den künstlerischen Versuchen läßt sich auch ein Interview mit dem Berliner NOlympia-Komitee zählen, dessen vier SprecherInnen, ähnlich wie L.U.P.U.S, angenehmerweise auf autonome Kraftgesten verzichten — und auch sonst bescheiden genug sind, die Verhinderung von Olympia 2000 vor allem auf das Konto der unglaublichen Dumm- und Piefigkeit des offiziell-politischen Berlinertums zu schreiben: In Berlin, das ist wohl wahr, scheinen Politik und Verbrechen tatsächlich noch von der Abstraktion des Wertgesetzes unbeleckt sehr anschaulich ineinanderzugreifen.
In solchen Momenten kommt in der Beute schon mal ein Quentchen Humor auf. Am erstaunlichsten diesbezüglich aber die autobiographische Reflexion von Paul S. Beatty über „Gangsterism“, ein Text, dessen Witz und Eleganz einen zwischen dem vielen klappernden Reden von „Gesamtanalyse“ und „ideologischen Verschiebungen“ nachgerade superangenehm berühren muß. Hier erfährt man wenigstens mal was – wie es Leuten tatsächlich geht, was für Gedanken sie sich über Leben und Lage machen; die komplizierten Codes „schwarzer“ Identitätsbildung werden beschrieben, auch die Punkte, wo sie zur Falle werden, und ganz nebenbei fallen fundamentale Sätze wie „das einzig überhaupt Schwarze an mir war meine Hautfarbe“.
Da kann man dann schön drüber nachdenken. Hätte ich Die Beute im Buchladen käuflich erworben, ich hätte mich vor allem dieses Artikels wegen nicht geärgert. Thomas Groß
„Die Beute – Politik und Verbrechen“, 1/94 (erscheint vierteljährlich), 14 DM.
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