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Schreibend die Grenzen verwischen

■ Georges-Arthur Goldschmidt erhielt den Bremer Literaturpreis

Ein renommierter Preis – ein Zeichen gegen falsche Grenzen: Erstmals wurde mit dem Bremer Literaturpreis ein Buch ausgezeichnet, dessen Original in französischer Sprache verfaßt und (von Peter Handke) ins Deutsche übersetzt wurde. Der Preisträger Georges-Arthur Goldschmidt schloß seine Dankesworte damit, daß jede Sprache, genau wie die Menschen, nur existieren könne, weil es die anderen gebe: „Schreiben heißt nichts anderes, als die falschen Grenzen zu verwischen, statt sie zu ziehen.“

Eine kluge Entscheidung der Jury. Dieser Erzähler umreiße, wie Wilfried F. Schoeller in seiner Laudatio hervorhob, „einen Raum, der zwischen Wirklichkeit und Vorstellung liegt“. In diesem Raum beschwört der Schriftsteller Variationen über die Angst. Goldschmidt trifft sie an in den Wäldern seiner Kindheit: in der Gestalt des ermordeten jüdischen Hausierers, dem man einen Gedenkstein setzte und den er immer wieder über das Laub kriechen sieht. Die Angst folgte ihm auf der Flucht vor den deutschen Soldaten, die ihn, den geflohenen deutschen Internatszögling, im französischen Dorf suchten, und sie „umriß ihm all sein Inneres, sie hob ihn heraus aus dem Luftraum wie jemand Nackten, für jedermann sichtbar“. 1938 war das jüdische Kind, zehn Jahre alt, aus Reinbek bei Hamburg fortgeschickt worden, um der Deportation zu entgehen. Die Mutter sah er nie wieder, der Vater überlebte das Lager Theresienstadt nur für kurze Zeit. Wenn Georges-Arthur Goldschmidt heute deutsch spricht, ist die hamburgische Einfärbung ebenso deutlich zu hören wie die französische. Italien, Frankreich, das Internat in Savoyen, schließlich Paris – Stationen eines Exils, das der Erwachsene nicht mehr verließ. Nicht zwischen, auf zwei Stühlen sitze er; in beiden Sprachen zu Hause. Goldschmidt wurde Lehrer, übersetzte Goethe, Nietzsche, Stifter, Freud, Handke. Franzose wurde er, um zu überleben, denn Sprache, „das war auch diese undefinierbare und immer deutlichere Angst, die nicht aufhört, das Kind, das nichts versteht, in die Zange zu nehmen...“

Die deutsche Sprache, unversehrt, unberührt und dennoch geprägt „vom absoluten Verbrechen“, stellte sich der Erinnerung in den Weg. Goldschmidt konnte erst in der Übertragung – durchaus im Sinne Freuds – ins Französische seine Geschichte finden, in kunstvollen Bildern, einander überlagernd, „als gelte es, die weiße Fläche des Papiers mit einem sich verdichtenden Netz von Linien, Schriftzügen und Bilderfolgen zu bedecken, als wäre jeder Anfang eines Buches tief im anderen vergraben“ (Schoeller). Seine Bücher, vom „Spiegeltag“ über den „Garten in Deutschland“, die „Absonderung“ bis zum jetzt ausgezeichneten „Der unterbrochene Wald“ sind keine Dokumente „jüdischen Schicksals“, sondern artikulieren Vergangenes im Sinne Walter Benjamins, das heißt, „sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt“ (Berliner Kindheit um 1900). Die Bilder der Kindheit greifen in das literarische Ich ein, das der Erzähler schafft, um nicht von sich selbst zu reden, die Distanz nicht zu verlieren, und im obsessiven Schmerz des Opfers bannt er sie, für den flüchtigen Moment und für immer; „die Angst stak in ihm: ein dicker, harter Schaft, gleich einer Leerstelle.“ In der Angst, im Schmerz und im Verlust findet sich der Schriftsteller Goldschmidt wieder, und in seinen Büchern macht er sich, mit sich überlagernden Motiven und Variationen, auf die immergleiche Reise: „Seit jenem Tag im Jahr 1938 hatte die Reise immerzu angedauert, ein kompakter Punkt im Innern, über dem Herzen, gleich einem Gepäckstück, das ausgepackt werden wollte.“ Jeder Versuch, die Spannung zwischen Reise und vertrautem Ort aufzulösen, führt unweigerlich in die Nähe des Abgrunds, und Goldschmidts scheinbar mühelose Bewegungen von Bild zu Bild, seine schmerzhafte Beschwörung des Passionsweges des jüdischen Kindes sind Versuche, die „Leerstelle“ im Fegefeuer des Erinnerns spürbar zu machen und sich den Schmerz nicht zu ersparen. Vielleicht müssen wir uns daran gewöhnen, so Wilfried F. Schoeller in seiner Rede, „daß Heimat im 20.Jahrhundert vorwiegend besteht als Bild von Exilanten, fast nur vorhanden ist als Verlust, als Abdruck einer Spur, die in die Fremde führt, als Schatten“.

Der jüdische Junge, der sich schuldig fühlte und schämte für das, was er war, wird in Georges- Arthur Goldschmidts Büchern zum Zeugen seiner selbst. Indem das Opfer seine Angst ansieht, erlöst es sich von ihr. Auf seiner Reise rettete er die deutsche Sprache, indem er sie in die Emigration mitnahm, ins Menschliche, und in seiner Rede zitierte er Paul Celan, der den Bremer Literaturpreis 1958 verliehen bekam: „Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem. Aber sie mußte nun hindurchgehen durch ihre Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die Tausenden Finsternisse todbringender Rede.“ Wenn man sich aus der Angst befreit, so Georges-Arthur Goldschmidt heute im Gespräch, ist es wie eine Wiederauferstehung. Lore Kleinert

Georges-Arthur Goldschmidt: „Der unterbrochene Wald“. Amman-Verlag, 34 DM.

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