■ Mit neuen EU-Mitgliedern auf du und du: Schreckgespenster
Brüssel (vwd) – Wenn der Zeitplan für die EU-Reform nicht doch noch aus den Fugen gerät, werden schon 1997 die Gespräche zur Osterweiterung der EU in eine konkrete Phase treten. Doch eine einfache Erweiterung um Polen, Tschechien, Ungarn, die Slowakei und die sechs anderen mittelosteuropäischen Staaten ohne Reform der gemeinsamen Agrarpolitik könnte zu einem teuren Desaster werden.
Der Europaparlamentarier Klaus Rehder hat für seine Kollegen im Straßburger Parlament ein entsprechendes Strategiepapier erstellt: Darin warnt der SPD-Politiker zwar vor „Kostengespenstern“, gleichzeitig zitiert er aber Modellrechnungen, wonach der Beitritt der zehn MOE-Staaten die Gemeinschaft 1999 etwa 32 Milliarden Ecu (60 Milliarden Mark) kosten werde, wenn auch nur die Hälfte des Rückstands bei den Erträgen aufgeholt und die Agrarsubventionen auf heutigem Stand angesetzt werden sollten. Solche Zahlen lassen die geplante Reform der Agrarpolitik allerdings außer acht. Und wenn – wie vom EU-Gipfel in Kopenhagen 1993 festgehalten – die Teilnahme am Binnenmarkt eine funktionierende und konkurrenzfähige Marktwirtschaft voraussetzt, müßten die neuen Mitgliedern zunächst einen immensen Strukturwandel durchleben.
Zahlen verdeutlichen das: In der EU bietet die Landwirtschaft noch knapp sechs Prozent der Arbeitsplätze, in den MOE- Staaten sind es heute gut 25 Prozent. In der Union trägt die Landwirtschaft etwa 2,5 Prozent zum Sozialprodukt bei, in den MOE-Staaten sind es knapp acht Prozent. Erschwerend kommt hinzu, daß die Verhältnisse national sehr verschieden sind: Im industriell entwickelten Tschechien bietet die Landwirtschaft beispielweise 5,6 Prozent der Arbeitsplätze und steuert 3,3 Prozent zum BIP bei, in Rumänien sind es noch 35 Prozent aller Stellen, die für 20 Prozent des BIP sorgen.
Rehder plädiert in seinem Bericht an das Parlament für eine einheitliche Politik des ländlichen Raums. Nachhaltige Landwirtschaft, Betriebe als ökologische Dienstleister und Landschaftspflege sind hier die Stichworte. Ein spezifischer Fonds nach dem Vorbild des Mittelmeerprogramms soll das Geld bereitstellen.
Ein besonders Problem ergibt sich aus dem Wohlstandsgefälle. So geben die privaten Haushalte in den MOE-Staaten noch 30 bis 60 Prozent ihrer Einkommen für Lebensmittel aus. Die Reform der Landwirtschaft dort darf folglich nicht mit einer Verteuerung von Lebensmitteln finanziert werden.
EU-Agrarkommissar Franz Fischler hatte mehrfach klargestellt: Letztlich werde der Steuerzahler darüber entscheiden, ob sich die Union einen ländlichen Raum leisten will, der gesunde Lebensmittel produziert, Umwelt und Landschaft schont und für Arbeiten und Leben attraktiv ist.
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