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Schränke grüßten nicht

Handball-Europacup: Wallau-Massenheim gewann gegen den FC Barcelona mit 19:14  ■ Aus Frankfurt Matthias Kittmann

Was fasziniert eigentlich an einer sportlichen Leistung? Sicher, artistische Tore sind ein Genuß, und an genialen Spielzügen berauscht sich des Kenners Blick. Doch wirklich große Momente stellen sich beim Zuschauer erst ein, wenn eine außergewöhnliche Leistung, dieser unbedingte Wille einer Mannschaft zum Erfolg, auch dem Betrachter fast körperlich spürbar wird. In wirklich wichtigen Momenten auch Nennenswertes zu leisten, wird mit dem Begriff „die Big Points machen“ nur unzureichend umschrieben. Und erst recht läßt sich nicht erschöpfend erklären, warum einige Teams diese psychologische Festigkeit als Voraussetzung für große Siege in großen Momenten haben und andere nicht. Die Handballer der SG Wallau-Massenheim haben diese Fähigkeit mit ihrem 19:14 gegen den FC Barcelona im Halbfinal- Hinspiel des Europapokals der Pokalsieger erneut bewiesen, aber keiner kann so richtig erklären, warum.

Seit 1991 spielt diese Mannschaft (unter drei verschiedenen Trainern) auf ihren wichtigsten Positionen unverändert zusammen, und glaubte man vermeintlichen Experten, so hatten einige Leistungsträger schon damals ihren Zenit überschritten. Statt dessen wurden sie zweimal nacheinander Deutscher Meister und 1992 IHK- Pokalsieger. Ein Jahr später trafen sie zum ersten Mal in einem europäischen Halbfinale auf den FC Barcelona, der schon damals als ein absolutes Topteam gehandelt wurde. Doch Wallau-Massenheim spielte zu diesem Zeitpunkt seinen vielleicht besten Handball und warf die Katalanen nach einem brillanten 24:20 im Hinspiel aus dem Wettbewerb. Und jetzt gar fünf Tore Unterschied gegen ein Team, das mit der spanischen Nationalmannschaft fast identisch ist, während Wallau in der Bundesliga sogar gegen Nettelstedt verliert.

Unterschätzt hat Barcelona Wallau diesmal garantiert nicht, da war schon Trainer Rivera vor, der die Schmach von 1993 miterlebt hat. „Die waren vor dem Spiel absolut heiß“, erzählt Wallaus Spielmacher Martin Schwalb, „die haben uns noch nicht mal begrüßt, obwohl ich die meisten schon seit Jahren kenne.“ Mit dem Selbstbewußtsein einer Mannschaft, die in der spanischen Liga im Schnitt 30 Tore wirft, ging sie in dieses Spiel, und den ersten Wurf von Enric Masip bekam Torhüter Peter Hofmann erst gar nicht zu sehen, geschweige denn zu fassen. Doch es sollte Masips einziges Feldtor bleiben. Denn die Wallauer Defensive zog den „riesigen Schränken“ von Barcelona – und Schwalb breitet als erklärende Geste beide Arme aus, als wolle er eine Litfaßsäule umfassen – ganz schnell den Nerv. „Wir haben das vorher analysiert und festgestellt, daß“, grinst Schwalb, „wenn einer von denen den Ball hat, er ihn nicht so schnell abgibt. Die wollen dann einfach die ,Bude‘ machen, wie sie es gewöhnt sind. Wir brauchten denjenigen in Ballbesitz dann nur noch in die Doppelzange zu nehmen.“ Soweit die Theorie. In der Praxis „haben wir einfach geil gespielt“.

Während Schwalb das sagt, zieht er seinen rechten Fuß nach, schon in der achten Minute war er umgeknickt: „Mein Knöchel ist schon seit Jahren fertig, da kann man nix mehr machen.“ Außer daß er vor dem Spiel und in der Halbzeit eine schmerzstillende Spritze bekommt: „Es klingt komisch, aber daran gewöhnt man sich irgendwann.“

„Barça“ allerdings weniger an seinen „persönlichen Feind“, den 39jährigen Keeper der SG Wallau, Peter Hofmann: „Das habe ich schon vor zwei Jahren gemerkt, daß die mir liegen.“ Weil der 117 Kilo schwere und 2,10 Meter große Russe Andrej Tschepkin als Kreisläufer von der Wallauer Abwehr völlig abgemeldet wurde, schoß Barcelona vorwiegend aus dem Rückraum – und traf damit die Stärke Hofmanns. 15 Würfe wehrte er im Lauf des Matches ab, seine beiden Gegenüber gerade mal sechs.

Keine Frage, es war eher das zähe Ringen zweier taktisch und physisch gleichwertiger Mannschaften denn ein genialer Ballzauber. Um so mehr wog das, was Boris Becker als „mentales Ding“ bezeichnet. Die zweite Halbzeit, in die Wallau mit einem innerhalb von fünf Minuten herausgeworfenen 12:8 ging, war dafür ein Lehrstück. Die Gastgeber warfen in diesen 30 Minuten nur drei Feldtore – eine im Grunde lächerliche Ausbeute – und bauten den Vorsprung trotzdem noch um ein Tor aus, obwohl sie mit vier Siebenmetern sogar noch einen weniger bekamen als die Katalanen. Doch Schwalb traf jedesmal, während Barcelona zweimal an Hofmann scheiterte. Und „Barça“ schoß gegen die vom überragenden Finnen Mikael Kaellman organisierte Wallauer Abwehr ebenfalls nur drei Feldtore. That makes the difference – faszinierend.

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