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Schräges BerlinKann ick da mal durch?

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

So gern der Berliner unschuldige Passanten anpöbelt, so sehr mangelt es ihm an Empörung, wenn es um wichtige Dinge geht. Eine Kolumne aus der neuen Wochenendausgabe der taz.berlin

In Berlin läuft nicht immer alles ganz gerade. Bild: dapd

A n einem dieser letzten schönen Oktobertage fährt eine Frau – gepierct, tätowiert, mit hohen Schnürstiefeln, kurzen Militärhosen, knappem Tanktop und Hund an der Leine, also irgendwie linksalternativ – Fahrrad auf einem Bürgersteig in Kreuzberg. Sie betätigt aggressiv ihre Klingel und brüllt: „Kann ick da ma durch daaaaa?!“ Ich drehe mich um, rühre mich aber nur zögerlich. Die Fahrradhundefrau rauscht einfach zwischen mir und den anderen Fußgängern durch, stellt ihr Rad zehn Meter weiter vor einem Hauseingang ab und schreit mich an: „Du Schlampe du! Jeh doch dahin zurück, wo de herjekommen bist!“

Was meint sie? Den Westen? Das Ausland? Die Provinz? Einen anderen Stadtteil? Töle geiler als Schlampe? Was sie genau denkt, ich will es gar nicht wissen. Ich weiß nur: So klingt Berlin, wenn es empört ist.

Aber so gern der Berliner auch unschuldige Passanten anpöbelt, so sehr mangelt es ihm an Empörung, wenn, sagen wir, Miete und Krankenkassenbeiträge erhöht oder Lohn und Sozialleistungen gekürzt werden. Staat, Arbeitgeber, gar das System öffentlich anpöbeln, ist seine Sache nicht wirklich. Der typische Berliner reagiert auf so was mit eher lauem Unverständnis: „Wat soll’n ditte?“

Bild: taz
Doris Akrap

Und deshalb wird es wohl auch nicht zu einem Platzproblem beim „Karneval der Empörten“ kommen, der an diesem Sonntag das Brandenburger Tor zum „Schwingen bringen“ will. Obwohl: Der diesjährige Aufruf scheint sich geradezu ausschließlich an solche Berliner wie die Fahrradhundefrau zu richten. Den Veranstaltern jedenfalls scheint völlig wurscht zu sein, wer kommt.

Unter das Motto „Ein Narr kommt selten allein“ haben die Organisatoren Folgendes geschrieben: „Pinkeln sie dir ständig ans Bein – hier bist du nicht allein! Macht dich der Tag zu klein – bring dich hier mit ein! Ein Narr kommt selten allein – Trau dich, ein Narr zu sein!“

Als politische Veranstaltung, im Rahmen der Occupy-Proteste im vergangen Jahr entstanden, droht das Ding nun eine Demonstration der Lächerlichkeit zu werden. Und zwar nicht nur wegen dieses lächerlichen Aufrufs oder weil das ganze auch noch am 11. 11. stattfindet. Sondern weil schon im vergangenen Jahr, als die Occupy-Bewegung ihren absoluten Höhepunkt feierte, keiner da war. Von der Bewegung ist kaum etwas übrig geblieben. Wer also soll denn da jetzt noch hingehen?

Nichts gegen Hippies – die haben in den letzen Jahren wenigstens für ihre Bars, ihre Clubs und ihre Spreeuferidylle demonstriert. Aber so ein inhaltsleerer Aufruf würde noch nicht mal einen Franzosen auf die Barrikaden bringen. Flankiert werden soll er noch dazu mit „schönen Kostümen, Instrumenten, friedlicher ausgelassener Feierstimmung, Blumen und Süßigkeiten für die Passanten und Polizisten“. Unerwünscht sind hingegen „Polizeischmährufe (unangemessen), Gewalt (blöd), Transportmittel mit Verbrennungsmotoren (stinken)“. Das ist wirklich zum Wegrennen.

Im Prinzip ist ja alles gut. Soll sich von mir aus jeder aufregen, worüber er will. Aber worin unterscheidet sich der „Karneval der Empörten“ eigentlich von dieser Fahrradhundefrau? Ich könnte über dieses auf zu dämliche Art entpolitisierte Event empört sein. Sage aber einfach nur: „Wat soll’n ditte?“

Die neue Wochenendausgabe

Dieser Text ist Teil der neuen taz.berlin-Wochenendausgabe. Sie erscheint zum zweiten Mal am 10. November und bietet auf zwölf Seiten Recherche, Interviews, Meinung, Kolumnen und viel Kultur.

Zudem im neuen, zwölfseitigen Wochenendteil der taz.berlin unter anderem:

- Interview mit der Singer-Songwriterin Kat Frankie

- Eine Kritik der neuen Gob Squat-Inszenierung an der Volksbühne

- Ein vierteiliger Rückblick auf die Woche

- Drei Seiten zur neuen Start-up-Gründerzeit in Berlin

Nächste Woche schreibt hier

Enrico Ippolito

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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15 Kommentare

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  • BZ
    Berlin Zugezogen

    @Suse: Alt-Falken? Deutzer? Ach so. Bei Media-Media-Markt als voll dufte Authentico-Berlinerin beworben, aber nicht mal da genommen worden,weil selbst denen zu peinlich? Verstehe.

  • BW
    Berliner Würstchen

    Die ganzen beleidigten Kommentare sind so geil. Ich bin nichts, ich kann nichts, aber irgendwann mal Berlin gezogen und jetzt beleidigt, weil man sich als Berliner in seiner Ehre gekränkt fühlt. Luschen, geht doch einfach weiter oder zurück in Euer Provinznest.

  • V
    vjr

    Schöner Beitrag, ergänzt blendend die Serie "Berliner Bierflaschen unterwegs", oder "Autos abfackeln macht Spass" :-)

     

    Doch zum Kern der Sache "Eine Demo und niemand kommt"

     

    Es ist ja durchaus "gut so", vielleicht ist es – endlich – an der Zeit, statt all den Demos, die nichts bewegen (können), in die Beteiligung, in die echte (nicht die Alibiübungen die den Begriff verhunzt haben).

     

    Herzlich noch aus Zürich, bald mal wieder in Berlin

    Vladimir Rott

    (mehr-demokratie.de > Bürgerbeteiligung)

  • S
    suse

    dori-mäuschen,

    dieses empörtending ist von alt-falken und deutzern ausgerichtet. mit deiner schüttelfrisur kannste mal janz jeschickt gen imauel-kirchstrasse abhoppeln. quatsch mich nich mit deinem "berlin"wissen voll - geh doch nach stuttgart - du olle plunze und atme mir hier nich mein o2 wech

     

    VASTEHSTE !!

  • E
    Eike

    Die taz hat bis jetzt als einzige "klassische" Zeitung in meinen Lesezeichen überlebt, weil hier meiner Erfahrung nach Oberflächlichkeiten und Pauschalisierungen keine Bühne finden. Dachte ich zumindest, bis ich diesen Text las.

     

    "gepierct, tätowiert, mit hohen Schnürstiefeln, kurzen Militärhosen, knappem Tanktop und Hund an der Leine, also irgendwie linksalternativ"

     

    Da fällt mir nichts ein, außer: Bitte nicht! Mich (und hoffentlich einige mehr) seid ihr sonst los.

  • RA
    ralf ansorge

    ich habe 7 jahre in berlin gelebt und muß aus erfahrung sagen ,daß die chance auf so ein "erlebnis" in berlin schon bedeutend größer sind als anderswo in deutschland,von anderen hauptstädten ganz zu schweigen.aber es gibt natürlich auch viele nette leute dort.aber in berlin sind die weniger netten immer besonders laut und unflätig ,besonders manche von denen man es von ihrer äußeren erscheinung her nicht erwartet.da wird man von passanten,denen man zu langsam ist auch schon mal als primäres weibliches geschlechtsmerkmal bezeichnet.

    es gibt wahrlich freundkichere gegenden als unserere tolle hauptstadt.

  • H
    Hans

    Passiert mir in Berlin ständig, dass ich auf der Straße "angemacht" werde. Würde da nur nochmal unterscheiden. Da gibt es einmal sowas wie eine "normale" Kommunikation, die etwas derber ausfällt, als z. B. in westdeutschen Großstädten. Daneben gibt es in Berlin auffallend viel Menschenfeindlichkeit auf der Straße gegen, ähm eigentlich alles was nicht in das eigene Provinzdenken passt. Für europäischen Großstädte ist das wirklich einzigartig. Als hätten sich Städte nie verändert. Ich frag mich dann meistens wie man so ein Denken aufrecht erhalten kann, ohne in der tiefsten Provinz zu wohnen.

  • H
    haha

    soso, süßigkeiten für die polizei also... muss da nur ich an quetschenpaua denken?

     

    "kuchen für die bullen - peace!

    kaffe für die bullen - we shall!

    und lieder für die bullen - overcome!

    die euch paar stunden später - ein bisschen!

    dafür in die fresse hauen - frieden!"

     

    im vergleich zum mediaspree-/megaspree-spektrum ist occupy-berlin doch die größte ansammlung an esoterikern, hippies, verschwörungstheoretikern - schlicht: spinnern -, die berlin seit langem bei politischen aktionen gesehen hat.

  • P
    Paul

    Leider, Frau Akrap, haben Sie Recht. Irgendwie sogar mit Ihrer zuspitzenden Pauschalisierung.

     

    Der alltägliche Umgangston ist überwiegend aggressiv. Das Verhalten sowieso. Von unhöflich läßt sich da in sehr vielen Fällen nicht mehr sprechen. Die vielen Gewalttaten sind doch "lediglich" die völlig entgleisten Ereignisse, denen unendlich viele "normale" gegenüberstehen, die es z.B. als verbale Angriffe in der Regel nicht in die Medien schaffen.

     

    PS:Ob diese Frau nun linkes oder rechtes Outfit trägt, ist dabei allerdings völlig gleichgültig.

  • F
    Fußgänger

    Bin ich der Einzige, der beim Lesen dachte:

     

    Weg mit den Arschlochradfahrern!

  • P
    Pete

    Ist das eine überflüssige Kolumne ? Das Berlin voller Leute ist, die noch nie einen Radweg gesehen haben ? Wichtigere Dinge, die in keinem Zusammenhang dazu stehen ? Was bekommt die Autorin dafür an Honorar ? Fragen über Fragen ???

  • A
    anke

    @brokenhill:

    Mag sein. Anders, als in den höheren Klassen, glauben ja in der Grundschule auch manche Leute (Lehrer wie Schüler) noch daran, dass Erwachsensein etwas mit Vernünftig(er-)sein zu tun hat – oder doch wenigstens haben sollte. In sofern wäre es tatsächlich nicht weiter erstaunlich, würde da jemand einen Preis gewinnen, der sich öffentlich fragt, was der Scheiß soll. Du bist offenbar über diesen Punkt längst hinaus. Schade. Und da hatte die taz sich gerade erst gefragt, ob sie ihre Leser womöglich ernst nehmen sollte...!

  • JM
    J. Murat

    Also echt, Doris, Tattos, Piercings, Militarylook und Fahrrad mit Hund als "irgendwie linksalternativ" wahrzunehmen ist so voll Provinz dass besagte Dame wohl richtig lag mit ihrer Aufforderung.

    Aber nur Mut, eines Tages wirst auch Du glauben, dazu zu gehören.

  • II
    irgendwo in Berlin

    Irgendwie stellt sie alle Berliner so da, wie die Frau auf dem Rad....als ob wir nichts könnten als pöbeln...und andere über den Haufen fahren. Sorry, es soll auch Berliner geben, die genau das Gegenteil von dem sind, was hier beschrieben wird.Und wenn ich diese Sätze lese, kann ich nur den Kopf schütteln. Soll auch Berliner geben, die richtiges Hochdeutsch können :P

  • B
    brokenhill

    Na das ist doch wirklich ein schöner Beitrag. Ich glaube damit würde die junge Journalistin bestimmt einen der ersten plätze im Journalismus Wettbewerb einer Grundschule gewinnen.