Schottische Band Mogwai: Hits für Partys und schwere Zeiten
Immer dieses Zittern: Der Widerspruch ist ein zentrales Moment in der Musik von Mogwai. Das Überraschende beflügelt die Band noch immer.
Man mag es kaum aussprechen, aber es gibt Momente bei dem Konzert von Mogwai in Berlin, da muss man an die uferlosen Klangwelten von U2 denken, an den Anfang von „Where the Streets have no Name“. Mogwai erheben genau dieses Ungefähre zum Prinzip, das sich noch nicht aufgelöst hat: Eine Art Zwischenwelt entsteht so, und bei dieser Band darf sie sich entfalten, für sich stehen.
Manchmal machen Mogwai auch ziemlich laute Rockmusik. Am Schluss des Konzerts spielen die vier Schotten „Old Poisons“, eine schrille Hendrix-Hommage, noch härter und rockiger als auf ihrem neuen Album „Every Country’s Sun“. So wirkt der Song auch parodistisch. Seht her, das können wir auch, sagen Mogwai. Aber wir wissen, dass es nur noch ironisch geht.
Mogwai haben eine erstaunlich stabile Karriere hingelegt, gegründet 1995 in Glasgow und seitdem ohne Brüche als Quartett tätig (zeitweise ergänzt durch den Gitarristen John Cummings). Neun Studioalben, der Soundtrack zur Serie „Les Revenants“, etliche Remixe und eine sehr zugewandte Fangemeinde. „Happy Songs for Happy People“ von 2004 war ihr erster weltweiter Erfolg. Düstere Synthesizer, verzerrte Gitarren, kaum verständlicher Gesang, wenn überhaupt. Ein organischer Sound, der mal nach Postrock, mal nach Filmmusik klang, mit Celli, Glockenspielen. Da kam zusammen, was nicht zusammengehört, und es passte doch.
Ohrfeigen für die Alt-Right-Bewegung
Das Überraschende beflügelt die Band noch immer. Und die Tatsache, dass sie Schotten sind. Barry Burns, der in der Band Keyboards, Gitarre, Bass und zweiten Gesang übernimmt, lebt in Berlin und führt mit seiner Frau Rachel eine Kneipe in Neukölln. Wer dort mit ihm Bier trinkt, kommt schnell auf zwei Gesprächsthemen: Fußball, genau genommen Celtic Glasgow. Und zweitens, warum England nichts kapiert hat.
Dass der Brexit die Schotten erzürnt, ist bekannt. Mogwai sind in diesem Punkt politisch. Sänger Stuart Braithwaite postete kürzlich zur These, dass ein schottischer Verbleib in der EU das Brexit-Problem abfedert und ohnehin klug wäre. Nebenbei verteilt er noch Ohrfeigen an die Alt-Right-Bewegung. Sein Twitter-Account ist eine große politische Debatte. Im Blog von Barrys Kneipe „Das Gift“ ist es nicht anders, dort geht es etwa um Missbrauch in der Musikindustrie. Mit ihrem Europa-Bekenntnis steht die Band nicht allein. Beim Referendum im vergangenen Sommer haben sich klare 62 Prozent für den Verbleib in der EU ausgesprochen.
Wenn Mogwai nun auf Tour sind, hört man aber weniger Politik und mehr ein knorriges Fazit des Pop der letzten 25 Jahre. Deswegen sagen auch alle Einzelheiten über Klang und Instrumente nichts über das Charakteristische dieser Band aus. Es gibt bei Mogwai auch keinen Frontmann, dafür ein organisches Gebilde.
Braithwaite, der meist singt, ist immer verhalten am Mikrofon gewesen. Er verfremdet seine Stimme oft durch Effekte wie den Vocoder und unterstreicht damit, dass seine Stimme nur ein Instrument unter vielen ist.
Mit „Party in the Dark“ ist Mogwai klassischer Pop gelungen, der gleichzeitig dem Experiment zugeneigt ist und die Stimmen verzerrt. Und dann schwirren noch Ambient-Töne umher. Obwohl das alles nicht gleichzeitig funktionieren dürfte, ist der Song wunderbar geworden. Ein Hit für Partys wie für schwere Herzen.
Mogwai: „Every Country’s Sun“ (PIAS/Rough Trade); live: 2. 11., Täubchental, Leipzig; 3. 11., Backstage, München.
Es gibt ein Zittern in der Musik von Mogwai, das mehr ist als nur das Vibrato der seltsamen Orgeln. Selbst in diesen Momenten, in denen sie uns in Noise-Nebel taucht, bleibt immer dieser Widerspruch. Sie hüllt ein, aber nicht wohlig, Zweifel bleiben. Elend und Traurigkeit der Welt schwingen im Sound von Mogwai immer mit. So sehr, dass es einem auch mal kurz die Kehle einschnüren kann. Und genau das macht Mogwai so stark.
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