piwik no script img

"Schoßgebete" von Charlotte RocheBeziehungsterroristin mit Stuhlwürmern

Der zweite Roman der "Feuchtgebiete"-Autorin Charlotte Roche holt den Leser bei seinen Erwartungshaltungen ab. Er erinnert stellenweise an Elfriede Jelinek.

Frau Roche erklärt heute den Begriff "Divergenz": Brave Frisur, unanständiges Buch. Ist doch ganz einfach, oder? Bild: dapd

BERLIN taz | Mit der erzählerischen Strategie, ihre Ich-Erzählerin alles explizit aussprechen zu lassen, hat die Autorin Charlotte Roche gute Erfahrungen gemacht. Sie führte dazu, dass ihr Debütroman fast so etwas wie einen Fetisch-Charakter annahm. Was benannt ist, ist gebannt! Mit dieser uralten Hoffnung im Rücken ließen sich, "Feuchtgebiete" lesend, die tragikomischen und schlicht auch schrägen Aspekte dessen bearbeiten, ein Körperwesen zu sein.

Lass es raus! In dieser Hinsicht geht der zweite Roman "Schoßgebete" nun gleich gut los. Er beginnt mit einer ausführlich geschilderten Sexszene in dieser ganz eigenen Mischung aus sorgfältig geschilderten Praktiken und skurrilen Details wie den Vorteilen von Heizdecken beim Sex – eine Mischung, die einen als Leser sofort bei den Erwartungshaltungen abholt, die man diesem Buch gegenüber hatte.

Aber das ist wirklich erst der Anfang. Schnell mündet das Buch in ein aus der Ich-Perspektive erzähltes Psychogramm einer ziemlich neurotischen Figur namens Elizabeth Kiehl, die alles perfekt machen will – nicht nur den Sex, auch die Beziehung mit ihrem Mann, die Erziehung ihrer Tochter und auch die Therapie, in die sie seit acht Jahren geht. Und sie weiß auch perfekt selbst, warum sie das alles tut: weil ihre eigene Mutter alles falsch gemacht hat.

"Neuer Mann, alle wieder in sein Haus, Familienshow"; solange der Sex zwischen der Mutter und ihrem Lover gut lief, war alles gut, doch dann wurde der Sex langweilig, die Beziehung ging in die Brüche und Elizabeth musste mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern wieder ausziehen. Bis ein neuer Stiefvater kam. Und so arbeitet diese Elizabeth Kiehl also an der perfekten Beziehung; wenn sie in dem Perfektionsstreben nur etwas nachlässt, so glaubt sie, wird sie verlassen.

Satzfolgen wie Elfriede Jelinek

Dieses Psychodrama fängt Charlotte Roche auf hundert Seiten großartig ein. "Das Kind muss gesund ernährt werden. Da müssen viele Vitamine in den Bauch. Dafür mache ich alles. Weil ich mein Kind liebe." Muss – müssen – ich mache – weil: liebe. Das ist eine tolle Satzfolge, die fast an Elfriede Jelinek erinnert.

Andere Sentenzen sind sehr lustig. Über die Mutter und eine Freundin sagt die Erzählerin einmal: "Darum gehen sie auch beide trotz Megaschaden nicht in Therapie, weil sie das nicht aushalten, die Kritik, die man da hört über sich selbst." Kunstvoll lässt Charlotte Roche die Sprachebenen von Prolltalk und Therapiesprech durcheinanderwirbeln. Und indem sie Stuhlwürmer ins Spiel bringt, zeigt sie, dass sie sich im Analthema weiterhin von niemandem etwas vormachen lassen will.

Die große Herausforderung dieses Buches liegt aber in den mittleren hundert Seiten. So unverblümt wie alles andere wird in ihnen beschrieben, dass hinter dem Verhalten der Elizabeth Kiehl auch das traumatische Ereignis eines Autounfalls liegt, bei der drei ihrer Geschwister sterben und die Mutter schlimme Verbrennungen erleidet.

Vom Trauma erschlagen

Doch Lass-es-raus-Strategien geraten bei Traumata leicht an ihre Grenzen, so wie hier. Es ist zwar schon okay, die Paula-Fox- und Raymond-Carver-Dramaturgie des Verschweigens des emotionalen Kerns – die zudem von Judith Hermann längst im Deutschen adaptiert wurde – einmal volle Kanne links liegen zu lassen. Aber so ein Trauma erschlägt thematisch schnell alles andere; und da hilft es auch nichts, darauf zu verweisen, dass es dieses Ereignis im Leben der Autorin tatsächlich gegeben hat, wie Charlotte Roche es selbst diese Woche im Spiegel-Interview tat. Sie kriegt das schwere Zeichen auf den letzten hundert Seiten nicht wieder eingefangen. Und eigentlich hätte man sowieso viel lieber Genaueres über Elizabeth Kiehl, dieser "Beziehungsterroristin" (Roche), erfahren und über ihre Einsamkeit in der von ihr selbst hergestellten neurotischen Perfektion.

Dass einen dieses Buch trotzdem sehr beschäftigen kann, liegt zum einen an der raffinierten Art und Weise, wie rund um das Trauma manche Details indirekt beschrieben werden – etwa die körperlichen und seelischen Schmerzen der Mutter. Und das liegt zum anderen an der sich vielleicht gerade auch im Auseinanderfallen dieses Buches vermittelnden Energie, mit der diese Autorin an die magische Kraft des Aussprechens glaubt.

Wuchtig erzählen kann sie unbedingt. Und produktiver als der Verdacht, dass man hier einer mittelmäßigen Autorin und einem Hype aufsitzt, scheint sowieso die Vermutung zu sein, dass Charlotte Roche eine wirklich großartige Autorin ist, die sich nur erst noch weiter entpuppen muss.

Charlotte Roche: "Schoßgebete". Piper, München 2011, 284 Seiten, 16,99 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • B
    Bea

    Ich habe sie erlebt zur Literaturnacht in Mainz. Eine farblose Persönlichkeit ohne Charisma. Sie mit einer Nobelpreisträgerin zu vergleichen ist ja Hammer. Was hat sie denn mit Elfriede Jelinek gemeinsam ? Ich denke manchmal ich lebe auf einem fremden Planeten.

  • DR
    Dr. rer. nat. Harald Wenk

    Hört sich doch soweit ganz gut an.

  • BR
    Buk Rodjters

    Ich dachte bisher immer, ich bin beim Sex eher brav unterwegs, aber wenn ich so lese, was Charlotte Roche für ganz doll schmutzig und tabuisiert hält, fühle ich mich richtig versaut.

     

    Wenn man bei Facebook sich mal die Fans anschaut, die Charlotte als Befreierin bejubeln, kommt wirklich der Verdacht auf, dass ihre Zielgruppe eher die Heimchen am Herd sind, die beim Wort "Blowjob" schon rot werden und kichern. Für die muss Charlotte Roche natürlich ganz schön mutig wirken.

     

    Bin ich jetzt schon pervers? Wieso glauben alle plötzlich, dass es noch sexuelle Tabus gibt, nur weil C.R. das behauptet? Wenn Sie noch irgendwo in dieser Republik gibt, dann an Stellen und in Örtlichkeiten, die sowieso irrelevant sind.

     

    Z.B. bei der FAZ-Rezensentin von und zu Durchlaucht. Die denkt bestimmt, sie würde bei Charlotte Roche lesen können, wie die "Jugend drauf ist". Wenn man so behütet mit dem Silberlöffel im Mund aufgewachsen ist, wie gesagt, dann kann man auch den Fehler machen, Charlotte Roche für wichtig zu halten.

  • DK
    Dick Kaimann

    "Die große Herausforderung dieses Buches liegt aber in den mittleren hundert Seiten. So unverblümt wie alles andere wird in ihnen beschrieben, dass hinter dem Verhalten der Elizabeth Kiehl auch das traumatische Ereignis eines Autounfalls liegt, bei der drei ihrer Geschwister sterben und die Mutter schlimme Verbrennungen erleidet." Autobiografie! Über den Zusammenhang hätte man ja was sagen können. Das verändert die Beurteilung des Buches doch.

     

    Vielleicht ist die Roche nicht so interessant. Aber das wäre echt ein Diekmann-Thema. Schließlich zwingt einen ja keiner, das zu lesen. Außerdem sind Illies, Kracht oder Stuckrad-Barre inhaltlich viel (b)analer.

  • C
    Cock-Roche

    @ Niklas:

     

    Wieso denn Aufregen? Tu ich gar nicht. Hab Feuchtgebiete gelesen und fand´s langweilig. Als ob sich Teenies auf´m Schulhof unterhalten. Nix besonderes.

    Hab in Schoßgebete reingelesen und finds noch öder. Hat doch aber nix mit Aufregen zu tun.

     

    P.S.: Die Kommentarfunktion ist zum kommentieren da. Du mußtest ja auch...

  • N
    Niklas

    @Cock-Roche und all die anderen

     

    solange sich soviele menschen noch über ein buch aufregen, solange sollten diese bücher geschrieben werden. keiner wird gezwungen ein bestimmtes buch zu lesen, aber der innere zwang zu allem seinen senf dazugeben zu müssen, scheint hier einige kommentator/innen tragischerweise im festen griff zu haben.

     

    @Jengre bringt es auf den punkt.

  • C
    Cock-Roche

    @ Kultur:

     

    So sieht´s aus, seit Wochen im Netz. Wen will die eigentlich schocken? 12 jährige Klosterschülerinnen??? schnarch...

  • S
    Steffen

    Ich hab das Buch gerade gelesen und finde es auch ziemlich gut. Verklemmtere Naturen sollten noch hinreichend von "Feuchtgebiete" gewarnt sein und einfach die Finger davon lassen. Auch hier gilt, wie bei jedem anderen Buch auch, nur wer es gelesen hat,kann sich hinterher bei Nichtgefallen auch das Maul drüber zerreißen. Buch und Autorin vorab zu "dissen",können wir allen Kai Diekmann Freunden bei facebook überlassen(und wer will da schon zugehören).

    Kernsatz für mich:"Durch Sex kann ich die Angst für einen Augenblick vergessen". Klar ist das Buch eine Therapiesitzung,aber wer das durchgemacht hat, wie die Roche, hat jeden Grund dazu. Und schreiben kann sie auch absolut überzeugend, das findet man oder frau eben nicht an jeder Ecke im Internet! Meine 16,99€ kann sich Frau Roche ruhig verdienen, da bereue ich keinen Cent von.

  • P
    Penthesilea

    Nicht dass mich Frau Roches pseudoliterarische Befindlichkeitsblähungen die Bohne interessierten, aber hat die TAZ auch Rezendenten/-Innen im Human Resources Pool, die deutsche Grammatik inklusive Kasus und Syntax beherrschen? Von etwas wie knackiger journalistischer Schreibe will ich gar nicht erst reden.

  • DA
    Dirk Amann

    Schon wieder ein "moderner" Roman, der unbedingt natürlich braucht: Sex, Sex Sex, Schmutz, Körperflüssigkeiten und Drogen. Sansation, Sansation, Sansation!! Die Werbemaschinerie des Verlagskonzerns funktioniert ja gut, alle berichten darüber, damit die Kasse ordentlich klingelt. Da versteh ich immer mehr Autoren wie Marco Meng, die ihre Sachen dann lieber selbst herausgeben als sich der Kulturschickeria anzupassen.

  • J
    Jengre

    Na, liebe Kommentierende? Selbst was Besseres geschrieben? Und hab ichs erraten: Keiner wills veröffentlichen?

     

    Na so ein Jammer aber auch!

  • M
    maria

    Ist das eine große Leistung die Themen zu behandeln, die früher als Tabu gegolten haben, aber nicht wegen der Schwierigkeit ode Tiefe usw, sondern weil sie wirklich unangenehm sind und heimlich bleiben sollten? und das ist keine Scheinheilgkeit, das ist normal und natürlich, dass das, was einen auf ein Klo-Niveau führen kann, nicht so bemerkbar gemacht wird. Was bleibt von Frau Roche,wenn alle "tabuierten" Details ihren Büchern wegnehmen? wohl ein übler Geruch.

  • M
    mackenzen

    'Prolltalk und Therapiesprech'

     

    na dann! damit begibt sich die 'kritik' auffe gleiche ebene wa?! die elfriede mit der hier voellig daneben verglichen wird -obwohl sie noch lebt- rotiert doch im grab! das is echt schon unverschaemt die mit der auch nur irgendwie zu vergleichen! die roche die ne nette is nur nich unbedingt auch nur irgendwie gut schreiben kann: braucht die auch noch die taz? fuer ne noch hoehere verkaufsrate?! wir werden sehn dass sie nie den literaturnobelpreis bekommt...

  • Q
    quarktasche

    ein postmoderner roman ....

  • K
    KFR

    Der Psychiater scheint wenig erfolgreich, weiss jemand wer das ist ?

  • J
    Jannis

    Wichtigsten Sätze aus dem Buch (jugendfreie Version):

     

    "** ****** er ********* *****, ****** nicht ************ ****** Hauptsache ** ******* *** Verkaufszahlen!"

     

    "Ich ******* **** **************** ******* Leser **** ******** Deppen **** reichlich Geld verdienen!"

     

    "******** **** gewissermaßen *****, **** ************** Schundliteratur ****** ****** ********* jede Menge ******* Zaster *****."

     

    "*** *** irgendwie **** traurig, **** ***** Sexualleben ****** nicht interessant *********** erstunken *** erlogen."

  • K
    kultur

    der übliche anal-und oral-porno-emotions-bekenntnis-quark einer geltungssüchtigen, den mensch im internet umsonst finden kann.

  • A
    Alekto

    Klingt gut - ich freu mich auf das Buch! =)

  • P
    Piet

    Geschmeidige Jubelstrecke.

     

    Aber noch zuviel Kritik drin!