: Schon vorher tot
■ betr.: "Begräbt der Fall der Mauer Rot-Grün in Berlin?" von Max Thomas Mehr, taz vom 23.7.90
betr.: „Begräbt der Fall der Mauer Rot-Grün in Berlin?“ von Max Thomas Mehr, taz vom 23.7.90
Wenn doch alles so einfach wäre, nicht wahr? Die Frage, ob Rot-Grün durch die veränderte politische Situation hier begraben wird, ist zwar richtig gestellt, nicht aber ist der Fall der Mauer die Todesursache - Rot-Grün war längst, wie sagt man, klinisch tot... (...) Bei der kleinen Aufzählung verdienter Zuckerle für die AL, über die man auch noch geteilter Meinung sein kann, wurde wohl das Gros an bitteren Pillen unterschlagen. Wenn mich mein Zeitgefühl nicht gänzlich verlassen haben sollte, waren die Wohnungsmisere, die Häuserräumungen, das Theater um das HMI und die Stromtrasse, der Knatsch um die Flüchtlingsweisung und das kommunale „AusländerInnen„-Wahlrecht und um den Schichauweg noch vor der „Wende“ in der DDR. An positiven Momenten fällt mir auf Anhieb außer einigen kleinen Basteleien an der Fassade nichts ein.
Nein, die Koalition war schon vorher k.o. Ich kann mtm insofern Recht geben, als daß die AL es verschlafen hat, aus der neuen politischen Entwicklung etwas zu machen. Ideen für neue Formen linker Zusammenarbeit kommen ebensowenig von der AL, wie sie Konsequenzen aus ihren eigenen offensichtlichen strukturellen Schwächen gezogen hat. Aber weder hat das etwas mit „Linksradikalismus“ (seit neuestem abwertend?) zu tun, noch weist das Zauberwort „Ökologie“ den Ausweg. Nicht zuletzt hat die AL nämlich ihre eigenen Möglichkeiten unterschätzt. Klar regiert die SPD hier wie überall. Und die AL hat sich rasch austricksen lassen. Nicht einmal das hat Momper heute noch nötig: Wenn's Probleme gibt, wird einer Senatorin einfach die Kompetenz entzogen.
Kann mir mal jemand verraten, mit welchem Konzept und mit welchen Erfolgen die AL ausgerechnet für Rot-Grün in den Wahlkampf ziehen sollte? Mutige Leute hätten der AL bei ihrer „Jahrhundertchance“ auch gut angestanden. Vielleicht sollte sie jetzt den Mut haben, sich einzugestehen, daß sie als alternative Partei einfach überholt ist und neue (!) linke Ideen gefragt sind. Denn wenn es zwei Parteien an der Regierung in West-Berlin gibt, dann ist die AL davon zur Zeit die schlechtere SPD.
Carola Reichel, West-Berlin
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