: „Schon etwas Besonderes“
■ Mehr als Britten: Die „NDR“-Reihe „das neue werk“ präsentiert drei Tage lang Neue Musik aus Großbritannien
Die britische Neue Musik hat vielerorts bis heute mit dem Vorurteil zu kämpfen, keine bedeutenden Namen oder Werke hervorgebracht zu haben. Anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums will die NDR-Reihe das neue werk damit aufräumen. Von heute an veranstaltet man im Rolf-Liebermann-Studio drei Abende lang ambitioniertes Programm mit zeitgenössischer britischer Komposition. taz hamburg sprach mit Dr. Richard Armbruster, Redakteur bei das neue werk.
taz hamburg: Es heißt, das neue werk habe eine britische Tradition – was hat es damit auf sich?
Dr. Richard Armbruster: Anno 1969 waren die Komponisten, die wir jetzt hier haben, noch die „jungen Wilden“ und in Hamburg in unserer Reihe zu Gast. Da wurde sogar ein Film gemacht damals, weil das so eine exzeptionelle Aufführung war, skandalträchtig. Aber ein richtiges Portraitkonzert nur über die englische Neue Musik hat es eben seitdem nicht mehr gegeben. Es ist nicht so, dass die britische Neue Musik, die Ensembles, in Kontinentaleuropa und speziell in Deutschland regelmäßig vertreten wären.
Liegt das an den Briten oder am Kontinent?
Es ist ja klar, dass sich das Musikleben aufgrund der Insellage immer ein wenig abgeschlossen bewegt hat, immer ganz eigene Bahnen genommen hat. Wir machen ja einen Abend mit Chormusik: Und diese hochrangige, ganz wunderbare neue englische Chormusik leitet sich natürlich unmittelbar aus der großen Chortradition der Briten her. Das ist eine gewisse eigene Kontinuität. Warum es angemessen ist, jetzt mal – bevor es alle tun – einen englischen Zyklus zu machen, ist einfach: Man muss sagen, dass es wenige Länder gibt, wo sich eine Szene von Komponisten der 1970er-Generation aufgrund der Qualität ihrer Musik wahnsinnig schnell international durchgesetzt haben. Und das ist schon etwas Besonderes.
Wie lang war der Vorlauf für das Programm?
Armbruster: Ungefähr ein Jahr. Wir haben keine große Orchesterur-aufführung, sonst hätte man das sicher noch länger veranlasst. Das Konzert des NDR-Sinfonieorchesters ist seit anderthalb Jahren geplant, da geht es dann eben zwischen dem Dirigenten und uns sehr lange hin und her, was die Programmauswahl betrifft. Wir haben versucht, das Spektrum möglichst weit zu halten. Dieser ganzen britischen Musik – auch das hat mit der Insellage zu tun – eignet eben nicht dieser starre Darmstädter Akademismus. Diese Musik ist in den meisten Fällen nicht akademisch.
Wird die Neue Musik dort auch anders wahrgenommen?
Das würde ich schon sagen. Die Engländer sind, trotz des Generalverdachtes „Land ohne Musik“, ja unglaublich musikbegeistert. Und da spielt natürlich die Neue Musik eine wichtige Rolle. Viele englische Opern verlassen sich, wenn es um Gesang geht, immer noch auf die traditionelle Deklamation; keine großen Experimente mit der Stimme. Ich finde das faszinierend: diese Bereitschaft, in der Tradition zu stehen, die da eben doch noch spürbar ist. Und wenn Turnage aus der Tradition ausbricht, dann schließt er sich andererseits einer anderen Tradition an, nämlich dem Jazz.
Wer hat die Vergabe der Kompositionsaufträge entschieden?
Das geht zwischen dem NDR-Abteilungsleiter für Orchester und Chor, Rolf Beck, und mir hin und her. Wir arbeiten eng zusammen, mal gebe ich eine Anregung, mal er. Herr Beck entscheidet das natürlich. Und beim neuen werk ist es auch so, dass man ein bisschen einen Hamburgbezug haben soll, das wollen wir nicht leugnen. Und darum kommen jetzt hier wieder mal flankierend zwei Hamburger Komponisten zum Zuge.
Wie ist der Publikumszuspruch?
Wir sind jetzt mehr als halb voll in allen Konzerten, wenn ich das richtig sehe, und der Rest wird dann wahrscheinlich durch die Abendkasse kommen. Um Besucher mache ich mir da überhaupt keine Sorgen. Und man kann jetzt auch nicht immer danach gehen, einerseits etwas Innovatives zu finden und andererseits dem Publikum auf die Ohren zu schauen, was alle vielleicht gerne hören möchten. Man muss auch mal ein Projekt machen, wo man von vornherein damit rechnet, dass man eben nur 200 Leute erreicht, weil es eben so speziell ist. Wo soll das Spezielle sonst ein Forum haben, wenn nicht da?
Interview: Alexander Diehl
„Framing a Shout“ (Klangwerkstatt Weimar; Turnage, Saunders, Ammann, Scartazzini, MacMillan, Ades): heute, 20 Uhr; „Choral Gems“ (NDR-Chor; Britten, MacMillan, maxwell Davies, Harvey, Tavener): morgen, 20 Uhr; „And yet the Evening listens...“ (Klangwerkstatt Weimar; Bedford, Mense, Kuhn): Sonnabend, 18 Uhr; „Wild Things“ (NDR-Sinfonieorchester; Birtwistle, Turnage, Benjamin, Sawer, Knussen): Sonnabend, 20 Uhr; alle Rolf Liebermann Studio, Oberstr. 120
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