: Schönwetterkriegsschiffe und Krankenwagen Von Ralf Sotscheck
Die Iren müssen alles kaputtmachen: Nachdem die chinesischen Terrakotta-Soldaten vor sechs Jahren rund um die Welt gereist waren, fiel ihnen ausgerechnet in Dublin die Decke auf den Kopf, ein gutes Dutzend Grabwächter des ersten Kaisers von China wurde beschädigt. Diesmal hätte es fast ein ganzes Schiff erwischt. Das wäre ein Spaß gewesen, handelte es sich dabei doch um den Flugzeugträger „John F. Kennedy“, den Stolz der US-Marine. Die irische Lotteriegesellschaft hatte den „Star des Golfkriegs“ für eine Woche in die ostirische Hafenstadt Dun Laoghaire eingeladen. Kaum angekommen, wurde er von einem Brückenkahn gerammt. Die beiden großen Risse befanden sich jedoch vier Meter über der Wasserlinie. Das sei nicht mal Saddam Hussein gelungen, „als wir den Irak damals mit 3 Millionen Pfund Bomben beschossen“, meinte Feldwebel Bill Torpey konsterniert.
Die Löcher in seinem schönen Flugzeugträger waren nicht das einzige, was im Lauf der Woche schiefgegangen war. 160.000 Menschen wollten unbedingt an Bord des US-Kahns, doch die Lotteriegesellschaft hatte nur 10.000 Eintrittskarten zu verlosen. Die vermeintlichen Glückspilze fanden sich am Mittwoch an der Pier ein, viele hatten sich einen Tag frei genommen. Doch dann machte ihnen das lausige irische Wetter einen Strich durch die Rechnung: Niemand kam aufs Schiff, und keiner kam herunter. Die Hauptgewinner durften mit einer Fähre um den Flugzeugträger herumfahren, die zum Abendessen geladenen Ehrengäste mußten zum improvisierten Imbiß in die Residenz der US-Botschafterin Jean Kennedy- Smith, der Cousine des Kriegsschiffnamensgebers. Und 500 Matrosen, die auf Landgang waren, mußten die Nacht im Freien auf der Pier verbringen.
„Unsere Moral war völlig im Eimer“, sagte Torpey, „aber die Einstellung der Iren war phantastisch.“ Das habe die Matrosen wiederaufgerichtet. Klarer Fall von Sprachproblem. Dabei heißt es immer, Iren und US-Amerikaner sprächen die gleiche Sprache. Was Torpey für aufmunternde Worte hielt, waren in Wahrheit hämische Bemerkungen über das Schönwetterkriegsschiff. „Wenn Saddam mitbekommt, daß ihr durch ein bißchen Wind und Regen lahmzulegen seid, seid ihr geliefert!“ rief ein erboster Lotteriegewinner.
Die 400 Demonstranten, die gegen den „imperialistischen Pomp“ protestierten, hielt die Schiffsbesatzung offenbar für eine Delegation aus der Grafschaft Wicklow, die ihr Gastgeschenk abholen wollte. Die „John F. Kennedy“ hatte nämlich einen betagten Krankenwagen mit Linkssteuer und 130.000 Kilometern auf dem Tacho aus Florida für die Partnerstadt mitgebracht.
Nur der irische Premier John Bruton war beeindruckt. Das Boot sei größer als das irische Nationalstadion Croke Park und höher als das höchste Gebäude Dublins, Liberty Hall, bemerkte er staunend, als er am US-Nationalfeiertag, dem 4. Juli, mit seinem gesamten Kabinett und 1.200 Honoratioren an Bord ging. Jean Kennedy-Smith verlas eine Botschaft von Bill Clinton, und Schiffskapitän Chuck White erklärte: „Wir sind das Exekutivorgan der amerikanischen Diplomatie.“ Schade, daß die beiden Risse nicht unterhalb der Wasserlinie waren.
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