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Schöner Schütting

■ Der Sitz der Handelskammer Bremen hat 450jähriges Baujubiläum / Prächtiger Bildband über die Geschichte des prächtigen Hauses

Wer links oder rechts die sandsteinerne Freitreppe zum „Schütting“ hochsteigt, den Löwentürknauf drückt und die schwere bleiverglaste Holztür hinter sich schließt, läßt leiernde Drehorgelspieler, Pommestüten-StadtbummlerInnen und hostessbewehrte Fremdengruppen ganz hinter sich. Dicke Teppiche auf Steinfliesen und Parkett schlucken jeden Schall. Massive eicherne Treppenstufen knarren gerade so, wie es ihrem Alter zukommt: gediegen. Ihr Haus Schütting am Markt nennt die Handelskammer selbst „das Rathaus der Wirtschaft“: Hier soll nicht nur gehandelt, sondern gegenüber dem Rathaus Selbstbewußtsein demonstriert und Reichtum repräsentiert werden: mit Sandstein, Marmor und Edelhölzern, schwerem Silber und farbigem Glas.

Mit silbernen Löffeln durften denn auch gestern JournalistInnen in zarten Goldrand-Kaffeetassen rühren: Zum 450-Jahre-Baujubiläum des Kaufmannshauses gegenüber vom Bremer Rathaus präsentierte die Handelskammer einen prächtigen Bildband mit Fotos von Alfred Rostek und einer kenntnisreichen Bau-Geschichte, der der stellvertretende Leiter des Landesamtes für den Denkmalschutz, Dr. Peter Hahn, geschrieben hat.

„Man sieht nur, was man weiß“, findet Dr. Hahn, und des

halb gibt es in dem Buch viel zu lernen und dazu viel zu sehen. Bewußt wurde auch eine Vielzahl von Detailfotos aufgenommen, die die BetrachterIn nicht nur er

freuen, sondern instruieren und nachprüfbar machen sollen, was im Text behauptet wird.

Wer zum Beispiel dem Rathaus den Rücken kehrt und die Fassade

des Schütting ins Auge faßt, erkennt ganz oben in der Mitte des Daches den erkerartigen „Zwerchgiebel“, das letzte Werk der Renaissance in Bremen. Poseidon, der Gott des Meeres, steht auf der Spitze, unschwer an seiner hochgereckten Harpune zu erkennen. Zu seinen Füßen lehnen sich zwei „leichtgeschürzte Frauenfiguren“ (Hahn) aus Stein an den Erker: links die allegorische Darstellung der Klugheit, 'Prudentia‘, mit griechischen Sandalen und einem Spiegel in der Hand; rechts die Hoffnung, 'Spes‘. - „Das sind die Kardinaltugenden der Bremer Kaufleute: immer klug sein und immer hoffen“, erklärte Hahn. Zusammen mit Poseidon und dem göttlichen Beistand von Hermes (mit Hütchen und geflügelten Füßen) und Artemis, der Herrin der Jagd und der Meere, kann das bremische Handelsschiff in der Mitte der Figurengruppe unbeschadet durch die Meere kommen.

Fünf Jahrhunderte Geschichte von Bau und Inventar am Beispiel Schütting hat Dr. Hahn in Archiven akribisch recherchiert und zusammengetragen. Was heute so steinern steht, als sei es nie anders dagewesen, wird als Gesamtkunstwerk verschiedener Baumeister und als das Ergebnis zahlreicher radikaler Um-und Ausbauten deutlich. Die harmonische Fassade mit dem symmetrischen säulenverzierten Portal war

knapp 300 Jahre lang ein spätgotischer Saalbau mit zu Unrecht vernachlässigten Schmuckgiebeln rechts zur Langen -und links zur Schüttingstraße, ein „riesengroßer kalter Kasten“ (Hahn). Erst in der „Franzosenzeit“ um 1812, als das Gebäude zum Justizpalast der französischen Präfektur der Departements der Wesermündungen umfunktioniert wurde, versetzte man das Portal von der Ecke Schüttingstraße in die Mitte der Fassade.

Und als der Schütting sich Ende des 19. Jahrhunderts inmitten seiner dekorativ historistisch aufgemotzen Nachbarn mit seinem „fleckiggrauen, verwitterten Öldarbenanstrich“ (Hahn) eher schäbig auszunehmen begann, wurde die Marktfassade erneuert. Den Sandstein des Anstoßes dazu gab Handelskammer-Mitglied Franz Schütte, der 100.000 der veranschlagten 130.000 Mark zur Verfügung stellte. Von der geplanten figurenreichen Fassadenmalerei wurde dann aber auf bremische Art Abstand genommen und dem Sandstein den Vorzug gegeben: „Die haben damals überlegt, wie lange hält das, wie oft braucht man ein Gerüst, wie oft muß man nachbessern“, malte Dr. Hahn die Entscheidungsfindung aus.

1944 brannte der Schütting fast völlig nieder; „Prudentia“ und „Spes“ überlebten unbeschadet im Focke-Musseum. Man entschied sich für einen Rückbau des Zustandes von 1594, den die Handelskammer 1947/48 durchführen ließ. An ein Kupferdach war bei der Materialknappheit nicht mehr zu denken. Und die Dachsteine waren aus den Steinbrüchen nur durch ein Kompensationsgeschäft zu bekommen: Schebelplatten gegen einige Fässer Hering. Susanne Paa

450 Jahre Haus Schütting von Dr. Peter Hahn, Hrsg. Handelskammer Bremen, Schünemann-Verlag, 38 Mark

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