■ Schöner Leben: Haptische Frustrationen
Nehmen wir nur mal die Lloyd-Passage an einem vorweihnachtlichen Samstagmittag. Menschenmassen schieben sich her und hin; und wer als Querverkehr die Ströme frech durchbrechen will oder unvermittelt stehenbleibt, weil er vergessen hat, was er eigentlich hier soll, bekommt einen ersten Eindruck haptischen Unwohlseins. Denn sofort reiben sich voluminöse Daunen- und Fleece-Jacken an dem Passanten, der die Marschroute vergessen hat. Man muß das entschuldigen. TrägerInnen moderner Daunenjacken – ein Abfallprodukt der Weltraum-, nein: der Trekking-Forschung –, die auch aus Spargeltarzans aufgeblasene Kerle zum Fürchten machen und aus Fettsäcken Panzer, bedürften eigentlich eines Führer-, wenn nicht Waffenscheines: Leute, die aus solchen Jacken rausgucken, wissen einfach nicht mehr, wo sie aufhören und wieviel Luft und Umgebung sie verdrängen. Und so kommt es allenthalben und allerorten, besonders natürlich in der Winterzeit, zu jenen immer haarscharf vor der Rempelei angesiedelten Körperkontakten, untermalt von typischen Schlürfgeräuschen sich begegnender Kunstfasern.
Wenn die Daunenmenschen in ihren Autos sitzen, klappt hingegen alles mit katzenhafter Geschmeidigkeit. Da riskieren sie aufs schönste ihr Leben, um auf schmalen zweispurigen Autobahnen zügig und zentimeternah an der LKW-Kolonne vorbeizuziehen. Wir sind aber keine Katzen, die, obwohl vollständig von Haaren umgeben, immer wissen, wo sie noch durchpassen. Bei Daunenmenschen klappt das schon im Schrittempo nicht mehr. Und so sieht man sich unversehens Pelle an Pelle mit Leuten, die man eigentlich lieber gesiezt hätte oder am liebsten gar nicht getroffen. Sind die Fast-Rempeleien möglicherweise unbewußte Maßnahmen, um die vielbeklagte Atomisierung der Gesellschaft anzuprangern? Wollen die Daunenmenschen uns was mitteilen? Das gilt es herauszufinden. Warum nicht an einer belebten Bartheke, wo sich LederjackenträgerInnen die Rücken reiben? Da sind bestimmt auch haptische Genüsse darunter. Alexander Musik
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